Menschen stehen im Wasser eines Sees.
Kontext

Hitze und Klimawandel "Häufigkeit hat ganz klar zugenommen"

Stand: 16.08.2024 12:26 Uhr

Weil die Sterblichkeit im Winter höher als im Sommer ist, wird im Netz behauptet, dass Warnungen vor Hitze Panikmache seien. Zudem sei der Klimawandel nicht die Ursache für Hitzewellen. Doch das greift zu kurz.

Von Julia Kuttner, ARD-faktenfinder

Eine vor einigen Tagen veröffentlichte Studie zu Hitzetoten sorgt für Diskussionen in den sozialen Netzwerken. Aus dem in der Fachzeitschrift "Nature Medicine" veröffentlichten Papier des Instituts ISGlobal geht hervor, dass das Jahr 2023 das mit den zweitmeisten Hitzetoten der vergangenen zehn Jahre war. Laut der Studie sind im Jahr 2023 in Europa schätzungsweise 47.690 Menschen an den Folgen von Hitze gestorben.

"Nach der 'Corona-Pandemie' - jetzt der WHO-ausgelobte Massen-Hitze-Tod", "wieder ein Grund, Panik zu verbreiten", "schöne reisserische Klima-Panik-Meldung", lauten Kommentare im Netz dazu. Als ein Beleg, dass das alles nicht so schlimm sein könne mit der Hitze, wird immer wieder aus Statistiken zitiert, dass mehr Menschen an Kälte sterben als an Hitze. So schreibt zum Beispiel Martin Sichert, Gesundheitspolitischer Sprecher der AfD im Deutschen Bundestag: "[... ] faktisch haben wir kein Problem mit Hitze sondern eines mit Kälte. Im Winter, der 2 Tage weniger hat, sterben jedes Jahr Zehntausende Menschen mehr als im Sommer." Doch der Vergleich ist irreführend.

"Klassische Form von Whataboutism"

Es ist zunächst Fakt, dass in den Wintermonaten mehr Menschen sterben als in den restlichen Monaten. Das belegen Zahlen des Statistischen Bundesamts. Ein Grund ist, dass der menschliche Körper in der kalten und dunklen Jahreszeit anfälliger für Krankheiten ist. "Aber das ist eine klassische Form von Whataboutism", sagt die Ärztin Andrea Nakoinz. "Nur weil Leute auch an Kälte sterben, heißt es ja nicht, dass es nicht so schlimm ist, wenn Menschen an Hitze sterben. Vor allem, wenn die Anzahl derer, die an Hitze sterben, zunimmt."

Nakoinz arbeitet für die Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit, die es sich unter anderem zur Aufgabe gemacht hat, über die gesundheitlichen Auswirkungen der Klimakrise aufzuklären. Sie berät unter anderem Krankenhäuser zum Thema Hitzeschutz.

Wie anpassungsfähig ist der Mensch?

Die Autoren der eingangs erwähnten Studie schreiben, dass anscheinend eine Anpassung der Menschen an die Hitze stattgefunden hat. Die Menschen seien weniger hitzeanfällig als zu Beginn des Jahrhunderts, "was wahrscheinlich auf den allgemeinen sozioökonomischen Fortschritt, die Verbesserung des individuellen Verhaltens und Maßnahmen des öffentlichen Gesundheitswesens wie die nach dem Rekordsommer 2003 durchgeführten Pläne zur Hitzeprävention zurückzuführen ist".

Nakoinz warnt jedoch: "Die Anpassungsfähigkeit des Menschen ist nach oben hin sehr stark begrenzt." Der Körper könne zwar zum einen Wärme abgeben durch Strahlung. Die Blutgefäße würden weiter, es fließt mehr Blut durch die Haut. "Dadurch ist die Fläche größer und der Körper kann mehr Wärme abstrahlen. Das funktioniert aber nur so lange, wie es draußen kühler ist als die Körperkerntemperatur von 37 Grad Celsius."

Der zweite Aspekt sei das Schwitzen, durch das der Körper Wasser abgebe, das auf der Haut verdunstet. "Dadurch kühlt man ab. Wenn die Luftfeuchtigkeit aber hoch ist, dann funktioniert das nicht mehr richtig und dann staut sich die Wärme im Körper." Die Gefahr sei größer, "wenn es heiß ist und die Luftfeuchtigkeit zudem noch hoch ist". "Das ist dann richtig gefährlich, weil es ganz klare körperliche Grenzen gibt", so Nakoinz.

Schwierigkeit, hitzebedingte Todesfälle zu erfassen

Hitzebezogene Todesfälle sind nicht einfach zu erfassen. Denn Hitze als direkte Todesursache, etwa bei einem Hitzschlag oder einem Sonnenstich, wird eher selten angegeben. Deshalb sind Mediziner und Statistiker auf die Auswertung von Todesfällen und den Vergleich zwischen heißen und weniger heißen Sommern angewiesen. Sterben in Wochen mit hohen Temperaturen mehr Menschen als in vergleichbaren Wochen in anderen Jahren, dann wird diese Übersterblichkeit als hitzebezogen angenommen.

"Bei Hitzewellen nehmen die Krankenhausaufnahmen zu", sagt Nakoinz. Zwar seien die meisten an einer Vorerkrankung gestorben, doch die Hitze hat den Körper zusätzlich belastet. "Das ist genau die Schwierigkeit, das festzulegen. Woran sterben die Leute und erkennt der Arzt, der den Tod feststellt, dass das ein Hitzetoter ist?", so Naikonz.

Die Schwierigkeit, hitzebezogene Todesfälle zu erfassen, erklärt auch die unterschiedlichen Zahlen, die kursieren und die in sozialen Netzwerken erwähnt werden. So führt das Robert Koch-Institut (RKI) seit Jahren Auswertungen zu hitzebedingter Sterblichkeit durch. Das RKI führt niedrigere Zahlen an als die oben erwähnte Studie. Ging diese für 2022 von etwa 8.200 hitzebedingten Sterbefällen in Deutschland aus, schätzte das RKI diese Zahl dagegen nur auf etwa 4.500.

"Die unterschiedlichen Zahlen kommen deshalb zustande, weil das RKI einen anderen Schwellenwert für Hitze verwendet als die europäische Studie", so das RKI. "Während die Forscherinnen und Forscher der europaweiten Studie bereits bei einer Wochenmitteltemperatur von etwa 17 bis 18 Grad Celsius von hitzeassoziierten Todesfällen ausgehen, verwendet das RKI einen höheren Schwellenwert von etwa 20 Grad Celsius Wochenmitteltemperatur."

mal angenommen, 25.07.2024 00:01 Uhr

"Hitzeperioden führen zu Anstieg der Mortalität"

Geringere Zahlen bedeuten aber nicht, dass es kein Problem mit Hitze gibt. "Hitzeperioden führen in Deutschland regelmäßig zu einem Anstieg der Mortalität", schreibt das RKI. Und solche Wetterlagen nehmen zu. Klimawandel-Leugner argumentieren nun im Netz, dass es auch schon früher immer wieder heiße Tage und Hitzeperioden gab. "Grundsätzlich ist das natürlich richtig. Aber die Häufigkeit hat in den vergangenen Jahren und Jahrzehnten ganz klar zugenommen", sagt Stefan Muthers vom Deutschen Wetterdienst (DWD).

Der DWD verfügt über sehr lange Wetteraufzeichnungen. "Beispielsweise gibt es eine klimatologische Kenngröße, die nennt sich der heiße Tag. Das ist ein Tag, an dem das Maximum der Lufttemperatur 30 Grad Celsius überschreitet. Wenn man sich diese Daten in einer Zeitreihendarstellung anschaut, sieht man einen ganz klaren Zunahme-Trend", erklärt Muthers. "Wir erwarten durch den Klimawandel eine Zunahme von Hitzewellen. Sie kommen häufiger vor, dauern tendenziell länger und die Intensität steigt."

Forschende sehen die Klimakrise als treibenden Faktor für die Hitzerekorde. Die ausgestoßenen Treibhausgase sorgten dabei zum einen für global höhere Temperaturen, aber auch für immer intensiveres und häufigeres Extremwetter.

Daten belegen den Trend

Daten belegen diesen Trend. Laut der US-Behörde für Ozean- und Atmosphärenforschung (NOAA), die über Daten der vergangenen 175 Jahre verfügt, dürfte 2024 auf jeden Fall eines der fünf heißesten Jahre aller Zeiten werden. Die US-Behörde verwies auf eine Serie von Hitzewellen am Mittelmeer und in Golfstaaten. Copernicus und die US-Wissenschaftler stimmten zudem darin überein, dass die Ozeantemperaturen im Juli diesen Jahres die zweitwärmsten seit Beginn der Aufzeichnungen waren. Nach Angaben der Vereinten Nationen steigen die Temperaturen in Europa schneller als in den übrigen Erdteilen.

Das UN-Kinderhilfswerk UNICEF weist in einer aktuellen Studie darauf hin, dass heute jedes fünfte Kind in einer Gegend lebt, in der es mindestens doppelt so viele extrem heiße Tage gibt wie in den 1960er-Jahren. Wie aus einer am 14. August veröffentlichten Auswertung hervorgeht, ist an den Wohnorten von weltweit 466 Millionen Kindern die Zahl der Tage mit Temperaturen von mehr als 35 Grad Celsius heute doppelt so hoch wie in den Kindheitstagen ihrer Großeltern.

"Durch den menschengemachten Klimawandel haben sich in den letzten Jahrzehnten in Deutschland und Europa die Anzahl der Tage über 30 Grad Celsius im Schnitt verdoppelt", macht auch Peter Hoffmann vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung klar. "Wenn sich im Sommer besonders heiße Südwestlagen hartnäckig festsetzen, kann die Hitzebelastung in Teilen Europas ohne ausreichende Vorsorge lebensbedrohlich werden. Eine Verharmlosung der Gefahren ist deshalb unangebracht, wenn man sich die aktuellen und langfristigen Entwicklungen vergegenwärtigt. Was heute noch als Ausnahme erscheint, kann bald schon zur Regel werden."