Naher Osten Region der Konflikte
Der Krieg zwischen der Hamas und Israel hat immer größere Auswirkungen auf den gesamten Nahen Osten - und darüber hinaus. Gleichzeitig kämpfen Saudi-Arabien und der Iran um ihren Einfluss in der Region. Ein Überblick.
ISRAEL UND SEINE NACHBARN
Mit dem Überfall der militant-islamistischen Hamas auf Israel am 7. Oktober vergangenen Jahres mit 1.200 Toten und etwa 200 verschleppten Geiseln ist die seit Jahren angespannte Lage im Nahen Osten eskaliert.
Als Reaktion auf das Massaker greift Israels Armee seitdem Ziele im Gazastreifen an und versucht mit Bodentruppen, die Terrororganisation zu zerschlagen und die verbliebenen Geiseln zu befreien.
Israel gründete sich am 14. Mai 1948 mit dem Mandat der Vereinten Nationen (UN) als jüdischer Staat im damaligen britischen Mandatsgebiet Palästina. Der UN-Teilungsplan sah auf dem Gebiet getrennte Siedlungsgebiete für Juden und die arabisch sprechenden Bewohner Palästinas vor. Noch am selben Tag griffen Ägypten, Jordanien, Libanon, Syrien und der Irak den neuen Staat an. Israel gewann den Krieg. In dessen Folge flohen Hunderttausende Menschen aus Israel oder wurden von dort vertrieben. Gleichzeitig mussten fast ebenso viele Juden aus arabischen Ländern fliehen.
Seitdem hat es neben weiteren Kriegen zahlreiche Friedensbemühungen gegeben. In den Osloer Verträgen einigten sich Israelis und Palästinenser 1993 zunächst auf eine friedliche Koexistenz und gegenseitige Anerkennung, einschließlich des Existenzrechts Israels. Die Palästinenser sollten in einer Zwischenphase den Gazastreifen und das Westjordanland selbst verwalten, während Israel sich aus den Gebieten zurückzieht. Ziel war die schrittweise Vorbereitung einer Zwei-Staaten-Lösung. Umgesetzt wurde das Abkommen trotz vieler Bemühungen nicht. Seit 2014 hat es keine ernsthaften Verhandlungen zwischen Israel und den Palästinensern mehr gegeben.
Lage im Gazastreifen und im Westjordanland
Israel erfuhr nach dem Terrorangriff der Hamas Solidarität, insbesondere in den Staaten des Westens. Inzwischen stößt das militärische Vorgehen im Gazastreifen aber weltweit auf Kritik. Etwa 25.000 Zivilisten sollen nach Angaben der von der Hamas kontrollierten Behörden im Gazastreifen bislang ums Leben gekommen sein, mehr als 62.000 Menschen seien verletzt worden. Die Angaben lassen sich nicht unabhängig überprüfen.
Südafrika hat Israel am Internationalen Gerichtshof wegen Völkermords angeklagt. Israel weist die Vorwürfe zurück.
Israels Armee hat nach eigenen Angaben mittlerweile weite Teile des nördlichen Gazastreifens besetzt und zahlreiche Stützpunkte der Hamas zerstört. Ziel Israels ist es, die Hamas aus dem gesamten Gebiet zu vertreiben. Eine dauerhafte Präsenz im Gazastreifen hat Israels Premier Benjamin Netanyahu nicht ausgeschlossen, doch sollen dort keine Siedlungen entstehen. Außerdem ist eine Pufferzone im Gespräch.
Gleichzeitig gibt es im von Israel besetzten Westjordanland vermehrt Zusammenstöße zwischen Palästinensern und jüdischen Siedlern. Deren Siedlungsgebiete haben sich in den vergangenen Jahren immer weiter zu Lasten der palästinensischen Bevölkerung ausgedehnt, was international auf breite Kritik stößt.
Der lange von Ägypten kontrollierte Gazastreifen wurde 1967 nach dem Sechs-Tage-Krieg von Israel besetzt. Erst 2005 zog sich Israel von dort zurück, israelische Siedlungen wurden geräumt. Im Jahr darauf kam durch die bislang letzten dort abgehaltenen Wahlen die militant-islamistische Hamas an die Macht. Die Hamas war aus der ebenfalls islamistischen Muslimbruderschaft in Ägypten entstanden.
Das Westjordanland steht seit 1967 ebenso wie Ostjerusalem größtenteils noch unter israelischer Besatzung. Die über die Region verteilten Palästinensischen Autonomiegebiete werden von der Partei Fatah regiert. Sowohl Hamas als auch Fatah beabsichtigen die Vernichtung Israels zum Zwecke der "Befreiung Palästinas".
Die Golanhöhen, ein Felsplateau oberhalb des Sees Genezareth, wurden 1967 ebenfalls von Israel besetzt und sind seit 1981 annektiert - was international von den meisten Staaten nicht anerkannt wird. Der Großteil der ehemals syrischen Bevölkerung wurde von Israel von den Golanhöhen vertrieben, Syrien beansprucht das Gebiet für sich.
Hisbollah greift Israel aus dem Libanon an
Im Grenzgebiet zwischen Israel und seinem nördlichen Nachbarn Libanon gibt es bereits seit Jahren militärische Auseinandersetzungen zwischen Israels Armee und der im Libanon mächtigen Hisbollah. Die vom Iran unterstützte "Partei Gottes" ist eine islamistisch-schiitische Organisation und Miliz, die ebenso wie die Hamas Israel das Existenzrecht abspricht.
Seit dem Hamas-Massaker vom 7. Oktober gibt es vermehrt Raketenangriffe auf Israel, die regelmäßig mit Gegenangriffen beantwortet werden. Eine weitere Eskalation zwischen Israel und Hisbollah scheint jedoch von beiden Seiten derzeit nicht gewollt.
Angriff Israels auf Syrien
Bereits kurz nach dem Angriff der Hamas am 7. Oktober bombardierte Israel syrische Flughäfen in Damaskus und Aleppo. Experten sahen darin eine Warnung an das syrische Regime, den Iran und auch die Hisbollah, die von Israel seit 1967 besetzten Golanhöhen nicht anzugreifen.
Seit Beginn des Bürgerkriegs in Syrien im Zuge des "Arabischen Frühlings" 2011 hat Israel Hunderte Luftangriffe auf Ziele in Syrien geflogen. Dabei hat es sowohl Stellungen der Regierungstruppen als auch Kämpfer der libanesischen Hisbollah-Miliz und andere vom Iran unterstützte Kräfte wie etwa die iranischen Revolutionsgarden angegriffen. Letztere waren im Bürgerkrieg dem syrischen Machthaber Baschar al-Assad zur Hilfe geeilt und sind seitdem ein Machtfaktor im Land. Bis 2018 unterstützte Israel mehrere Rebellengruppen in Syrien mit Waffenlieferungen.
Ende Dezember wurde in der Hauptstadt Damaskus ein einflussreicher iranischer General getötet - vermutlich bei einem israelischen Angriff. Der Iran drohte daraufhin Israel mit Vergeltung. Anfang Januar tötete die israelische Armee nach eigenen Angaben einen Raketenexperten der islamistischen Hamas in Syrien.
SAUDI-ARABIEN UND DIE ARABISCHE HALBINSEL
Einer der großen Machtfaktoren im Nahen Osten ist Saudi-Arabien. Mit Israel befindet sich das wahhabitische Königreich seit 1948 offiziell im Kriegszustand. Dennoch hatte sich das Verhältnis zwischen den beiden Ländern in den vergangenen Jahren verbessert. Man stand sogar kurz vor einem Annäherungsabkommen, das jedoch nach der Eskalation im Gazastreifen von Saudi-Arabien auf Eis gelegt wurde - viele Beobachter vermuten, dass dies Teil des Kalküls der Hamas gewesen war.
Riad sieht sich als muslimische Führungsmacht und hat sich seit Kriegsbeginn wieder eindeutig an die Seite der Palästinenser gestellt. Der saudische Kronprinz Mohammed bin Salman forderte im November auf einem arabisch-islamischen Gipfel einen sofortigen Waffenstillstand im Gazastreifen. In Bezug auf das Westjordanland sagte Salman, "Besatzung, Besiedlung und Belagerung" müssten beendet werden.
Zuletzt hatte der israelische Präsident Izchak Herzog jedoch betont, er sehe in der Normalisierung der Beziehungen zu Saudi-Arabien ein Schlüsselelement für ein Ende des Krieges gegen die Hamas.
Stellvertreterkrieg im Jemen
Saudi-Arabien größter Konkurrent im Nahe Osten ist jedoch der Iran. Die seit Langem angespannte Beziehung zwischen beiden Ländern ist vor allem religiös begründet: In Saudi-Arabien leben mehrheitlich sunnitische Muslime, im Iran Schiiten. Dennoch hatten sich die beiden Regionalmächte zuletzt angenähert. Im vergangen Jahr trafen sich zum ersten Mal seit langer Zeit die Außenminister beider Länder.
Im Jemen führen die zwei Staaten dennoch einen Stellvertreterkrieg: Saudi-Arabien unterstützt zusammen mit einer internationalen Koalition aus Ägypten, Bahrain, den Vereinigten Arabischen Emiraten und dem Sudan die jemenitische Regierung im Kampf gegen die vom Iran unterstützten schiitischen Huthi-Milizen. Der seit 2014 bestehende Konflikt und seine Folgen zählen zu den schlimmsten humanitären Katastrophen weltweit. Zuletzt gab es jedoch Zeichen, die auf ein eventuelles Ende der Auseinandersetzungen hindeuten.
Ein jemenitischer Junge verkauft im von den Huthi-Rebellen kontrollierten Sanaa Modelle von einem von Huthi gekaperten Schiff.
Huthi-Milizen stören Welthandel
Die Huthi wiederum sehen sich in Solidarität mit den Palästinensern als Verbündete der Hamas und nutzen ihre geografische Lage, um seit Monaten Handelsschiffe mit angeblich israelischem Bezug im Roten Meer anzugreifen.
Viele Reedereien meiden seitdem das Rote Meer und die Fahrt durch den Suezkanal und wählen alternative Routen für ihre Schiffe - mit weitreichenden Folgen für den Welthandel. Eine internationale Allianz unter Führung der USA begann daraufhin, Stützpunkte der Huthi im Jemen anzugreifen.
Katar: Prestige durch Vermittlerrolle
Im Krieg zwischen Israel und der Hamas tritt Katar als Vermittler auf. Einerseits unterstützt das Emirat nicht nur den Gazastreifen mit Geld- und Sachmitteln, es hat auch enge Kontakte zu militanten Islamisten wie etwa die Muslimbruderschaft in Ägypten, die Taliban in Afghanistan und eben die Hamas. In der Hauptstadt Doha leben hochrangige Hamas-Vertreter, die Organisation hat dort seit 2012 ein Büro.
Andererseits sind Katars diplomatischen Versuche auch erfolgreich: So vermittelte man etwa die Freilassung einiger Geiseln aus der Gewalt der Hamas. Vergangene Woche erklärte sich Katar bereit, den israelischen Geiseln im Gazastreifen Medikamente zu liefern. Der israelische Sicherheitsberater Tzachi Hanegbi bezeichnete die diplomatischen Bemühungen Katars als "entscheidend".
Experten vermuten, dass es Katar vor allem um sein Prestige und um weltweite Anerkennung geht. Das Land habe mit keinem anderen Land Probleme und werde daher als Vermittler akzeptiert.
Spannungen zwischen Syrien und Jordanien
Ganz im Norden der Arabischen Halbinsel eskalierte in den vergangenen Wochen ein Konflikt, der zunächst einmal nichts mit der klassischen Nahost-Problematik zu tun hat. Jordanien kämpft seit Jahren gegen den Drogenhandel in seinem Nachbarland. Syrien gilt als einer der weltweit größten Hersteller der Droge Captagon. An der Nordgrenze kommt es regelmäßig zu Zusammenstößen, da Schmuggler Jordanien als Transitland für den Rauschgiftschmuggel nutzen.
Am 18. Januar wurden bei mutmaßlich jordanischen Luftangriffen auf Ziele in Syrien mindestens neun Menschen getötet. Bereits Anfang Januar hatte die jordanische Luftwaffe laut der Syrischen Beobachtungsstelle für Menschenrechte in London mehrere Ziele mutmaßlicher Drogenschmuggler angegriffen und mindestens drei Menschen getötet.
IRAN
Der Iran zählt seit der islamischen Revolution zu den größten Feinden Israels. Regelmäßig rufen die Mullahs in Teheran zur Auslöschung Israels auf und sprechen dem Land sein Existenzrecht ab. Während der 1979 abgesetzte Schah Reza Pahlavi noch enge und freundschaftliche Beziehungen zur Regierung in Jerusalem pflegte, sieht sich Teheran heute als führende Kraft der "Achse des Widerstands" - einer vom Iran finanzierten weltweiten antiwestlichen und israelfeindlichen Allianz, zu der etwa die Huthi-Milizen und die Hisbollah im Libanon zählen.
Drohungen gegen Erzfeinde Israel und USA
Mehrfach hatte der Iran angekündigt, auch der Hamas kriegerisch zur Seite zu stehen. Drohungen Richtung Israel und den USA sind aus der Islamischen Republik immer wieder zu hören.
Zuletzt war das Anfang Januar der Fall, als bei Selbstmordattentaten auf eine Gedenkfeier zum Jahrestag der Tötung des iranischen Generals Soleimani mindestens 95 Menschen ums Leben kamen. Obwohl sich die Terrororganisation "Islamischer Staat" (IS) dazu bekannte, richtete die iranische Führung den Volkszorn auf die USA und Israel.
Noch kein Interesse an direkter Konfrontation
Noch sind den Worten selten Taten gefolgt. Bislang habe der Iran kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel und den USA, analysiert die Iran-Expertin Azadeh Zamirirad. Der Iran sehe sich bislang als Profiteur des Krieges im Gazastreifen und versuche, seinen Einfluss in der Region stetig auszubauen.
Das Zögern der nach Ägypten zweitstärksten Militärmacht im Nahen Osten hat sicher auch innenpolitische Gründe. Die Mehrheit der Bevölkerung würde einen Krieg wohl nicht mittragen. Zwei Drittel der Iraner leben unter der Armutsgrenze, die monatlichen Millionenzahlungen an ausländische Verbündete wie Hisbollah im Libanon, Huthi im Jemen und Hamas im Gazastreifen stoßen bei vielen Iranern auf Kritik.
Vergangene Woche beschoss der Iran Ziele in Syrien und im Norden des Iraks. In Syrien galten die Angriffe Stellungen des "Islamischen Staats", im Irak einem vermuteten Spionagezentrum des israelischen Geheimdienstes Mossad.
Angriffe auf iranische Separatisten in Pakistan
Zudem griffen iranische Raketen und Drohnen "Extremisten" in Pakistan an - gemeint waren Separatistengruppen in der Grenzregion, die einen unabhängigen Staat in der iranischen Ostprovinz Sistan und Belutschistan und der pakistanischen Westprovinz Baluchistan errichten wollen. Die Atommacht Pakistan rief daraufhin ihren Botschafter im Iran zurück und nahm seinerseits "anti-pakistanische militante Gruppen" im Iran ins Visier.
Inzwischen beteuern beide Seiten, sich um Deeskalation bemühen zu wollen.