Irans Angriffe auf Irak und Syrien "Kein Interesse an einer direkten Konfrontation"
Der Iran habe die Ziele der jüngsten Militärschläge im Irak und in Syrien bewusst gewählt, sagt Expertin Zamirirad im Interview: Sie sollten ein Signal an Israel und die USA senden, ohne das Eskalationspotenzial in der Region zu steigern.
tagesschau.de: Der Iran hat Ziele im Irak und in Syrien beschossen. Offiziell handelt es sich dabei um Vergeltungsschläge für Angriffe auf den Iran. Halten Sie diese Begründung für glaubwürdig?
Azadeh Zamirirad: Teheran reagiert damit auf zwei Ereignisse, die für die iranische Führung blamabel waren. Da ist zum einen der Terroranschlag in Kerman, zu dem sich der "Islamische Staat" bekannt hat. Mit Vergeltungsschlägen versucht Iran hier das Gesicht zu wahren und Kontrolle auszustrahlen. Man hat ja jahrelang den Einsatz der Revolutionsgarden in Syrien unter anderem damit begründet, dass hier der IS bekämpft wird und so Terroranschläge vom iranischen Boden ferngehalten würden. Das ist aber nicht gelungen, wie der größte Terroranschlag in der Geschichte der Islamischen Republik mit mehr als 90 Toten gerade erst wieder gezeigt hat.
Zum anderen ist das die Reaktion auf den Tod eines ranghohen Kommandeurs der Revolutionsgarden, der Ende Dezember in Syrien bei einem Angriff ums Leben kam, wofür der Iran Israel verantwortlich macht. Teheran versucht nun, die Abschreckungskulisse wieder aufzubauen. Irak und Syrien dienen hier aber vor allem als Schauplätze, um entsprechende Signale an Israel und die USA zu senden.
Azadeh Zamirirad ist die stellvertretende Forschungsgruppenleiterin der Region Afrika und Mittlerer Osten bei der Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP).
tagesschau.de: Warum hat Teheran gerade diese Ziele in Syrien und im Irak gewählt?
Zamirirad: Die Auswahl der Ziele deutet darauf hin, dass Iran nach wie vor kein Interesse an einer direkten Konfrontation mit Israel oder den USA hat. Man hat sich Orte in Nordsyrien und vor allem in der irakischen autonomen Republik Kurdistan ausgesucht, in denen keine israelischen oder amerikanischen Toten zu erwarten sind. Denn das würde dazu führen, dass eine direkte militärische Auseinandersetzung kaum noch zu vermeiden wäre. Gleichzeitig wurde beispielsweise behauptet, man hätte eine israelische Geheimdienstbasis in Kurdistan getroffen. Dabei versucht Teheran nach wie vor, eine direkte militärische Auseinandersetzung zu vermeiden.
"Iran agiert am liebsten aus zweiter Reihe"
tagesschau.de: Mehrere ballistische Raketen sind doch in der Nähe eines noch im Bau begriffenen US-Konsulats bei Erbil niedergegangen. Hat das iranische Militär bewusst daneben gezielt?
Zamirirad: Das Signal an die US-Amerikaner, dass man in die Nähe dieses Konsulats zielt, aber eben nicht das Gebäude selbst ins Visier nimmt, ist konsistent mit der Art der militärischen Reaktion und Angriffe, die wir von der Islamischen Republik in den letzten Jahren, insbesondere seit 2019, gesehen haben. Dahinter steht der Versuch, Abschreckung aufzubauen, gleichzeitig Vergeltung zu üben und dabei dennoch unterhalb der Eskalationsschwelle zu einer kriegerischen Auseinandersetzung zu bleiben.
Das ist natürlich sehr riskant, weil es sehr schnell zu Fehlern kommen kann, da Angriffe sich eben nicht zu 100 Prozent kalkulieren und kontrollieren lassen. Nach wie vor agiert der Iran aber am liebsten aus zweiter Reihe - über seine nichtstaatlichen und substaatlichen Verbündeten in der Region, die so genannte Achse des Widerstands.
tagesschau.de: Der Iran unterstützt auch die Huthi, die jetzt gerade im Roten Meer Frachtschiffe angreifen und ebenso die Hisbollah im Libanon. Beide sind Teile der "Achse des Widerstands". Warum unternimmt er jetzt doch direkte Kampfhandlungen und bleibt nicht bei seiner Unterstützerrolle anderer Kräfte?
Zamirirad: Die Anschläge direkt auf iranischem Boden und die Tötung eines ranghohen Kommandeurs der Revolutionsgarden überschreiten rote Linien, die Teheran für sich gesetzt hat, wenn es darum geht, selbst direkt aktiv zu werden. Über solche roten Linien verfügen alle Akteure in der Region. Die sind nirgends formalisiert oder festgeschrieben, aber in der Regel bekannt. Hier kommt es aber auch immer wieder zu Verschiebungen und gegenseitigem Austesten.
Der Iran setzt aber weiter in erster Linie darauf, den eigenen Einfluss in der Region auszuweiten, unter anderem durch finanzielle, logistische und militärische Unterstützung von Gruppen wie der Hisbollah, der Hamas, den Huthis und einer Reihe weiterer militanter Gruppen in Syrien und im Irak. Damit untergräbt der Iran aktiv die Souveränität zahlreicher Staaten in der Region.
"Teheran sieht sich außenpolitisch im Aufwind"
tagesschau.de: Gehen Sie davon aus, dass der Iran sich nun wieder mit eigenen Raketenangriffen zurückhalten wird?
Zamirirad: Es wäre in jedem Fall Teil der übergeordneten iranischen Kalkulation, dass man am meisten vom Krieg zwischen Israel und der Hamas profitiert, wenn man in der zweiten Reihe bleibt. Im Moment sieht sich Teheran außenpolitisch im Aufwind. Man ist der Auffassung, dass hier gerade eine ganz fundamentale Kräfteverschiebung im Nahen Mittleren Osten zugunsten Teherans und der Achse des Widerstands stattfindet.
Der sogenannte Revolutionsführer Ayatollah Chamenei, die mächtigste Person im iranischen Staat, hat ja nach dem Überfall der Hamas vom 7. Oktober davon gesprochen, dass Israel irreparablen Schaden davongetragen hätte. Iran sieht den Krieg als Zäsur für die geopolitische Ordnung in der Region, aber auch darüber hinaus. Diese wahrgenommene Position der Stärke wäre durch eine direkte militärische Konfrontation gefährdet. Denn in einer direkten Auseinandersetzung wäre der Iran militärisch Israel und den USA ganz klar unterlegen.
tagesschau.de: Wovon profitiert der Iran in der momentanen Lage konkret?
Zamirirad: Der Iran profitiert zum einen davon, dass Israel sich seit Monaten im Krieg mit der Hamas befindet und dafür erhebliche finanzielle und politische Ressourcen aufbringen muss. Die israelische Bodenoffensive in Gaza und die humanitäre Not vor Ort ist für Israel ja auch bereits mit Reputationsfolgen auf internationaler Ebene einhergegangen. Das versucht Teheran propagandistisch auszuspielen: Bilder von toten Kindern in Gaza, vom Leid und der humanitären Not, die wir ja auch tatsächlich in Gaza sehen.
Gleichzeitig feiert der Iran für sich außenpolitische Erfolge, beispielsweise das Normalisierungsabkommen mit Saudi-Arabien, wodurch jahrelange Spannungen am Persischen Golf vorerst zumindest teilweise abgebaut werden konnten. Die sicherheitspolitische Bedeutung der USA in dieser Region nimmt aus iranischer Sicht dadurch ab. Aus der Perspektive Teherans verschieben sich die Kräfteverhältnisse gerade überall auf der Welt, zugunsten der Islamischen Republik. Da ist natürlich einiges an Wunschdenken dabei.
Das Gespräch führte Jasper Steinlein, tagesschau.de