China-Importe Warum VW nagelneue E-Autos verschrotten lassen will
Ein Autohändler bietet 22 aus China importierte Elektro-SUVs von Volkswagen an. Der Hersteller lässt die Fahrzeuge konfiszieren und fordert die Verschrottung. Worum geht es bei dem Streit?
"Das ist eine Katastrophe. Das ist so, als wenn ich den Platz gefunden habe, wo mein geklautes Eigentum ist." Fassungslos steht Gregory Brudny nur wenige Meter vor einer Lagerhalle im brandenburgischen Lindow (Mark). In der Halle befinden sich 22 Elektroautos von Volkswagen. Sie gehören eigentlich dem Autohändler Brudny, einem Geschäftsmann mit russischem und israelischem Pass, der seit 30 Jahren in Deutschland tätig ist.
Doch sie wurden im vergangenen Jahr alle beschlagnahmt. Und nach dem Willen von Volkswagen sollen die 22 Neuwagen verschrottet werden. "Das ist mein Eigentum. Wie kann man Eigentum vernichten?", sagt Brudny. "Ich habe nichts geschmuggelt, alles war absolut legal."
Modell ausschließlich für chinesischen Markt
Die beschlagnahmten Autos sind VW-Modelle des Typs ID.6, die aus China importiert wurden. Diesen XXL-SUV mit bis zu sieben Sitzen produziert und verkauft Volkswagen ausschließlich für den chinesischen Markt. 2021 wurde das Modell "als Wohnzimmer auf Rädern" in China vorgestellt. Anfängliche Überlegungen, diesen großen SUV auch in Europa zu vermarkten, hat Volkswagen Ende 2022 wieder verworfen.
Für die Automobilexpertin Helena Wisbert vom CAR Center Automotive Research ist das eine durchaus nachvollziehbare Entscheidung. Der ID.6 passe nicht in das derzeitige Produktprogramm von VW. "Volkswagen mangelt es eher an kleineren, kompakteren Elektroautos anstelle von noch größeren SUVs", so Wisbert.
Absatzziele von VW in China bisher nicht erreicht
China ist der weltweit größte Automarkt auch für E-Autos mit jährlich 6,3 Millionen Neuzulassungen. Hier sieht Volkswagen Marktchancen sowohl für den kleineren ID.4 als auch den großen ID.6. Doch der Absatz der elektrischen Modelle von Volkswagen bleibt bisher hinter den Erwartungen zurück. Er stieg zwar seit 2021 kontinuierlich von rund 70.000 verkauften E-Autos auf rund 190.000 im vergangenen Jahr. Die erhofften Verkaufszahlen wurden dabei aber nie erreicht. Immerhin kratzte Volkswagen 2023 knapp an der Zielmarke von 200.000. Aber auch nur, weil im letzten Quartal die Preise massiv gesenkt wurden.
VW habe in China zu spät erkannt, dass die Kundschaft dort von einem E-Auto ein ganz anderes Niveau an Konnektivität, Digitalisierung und digitalen Serviceleistungen erwarte als in Europa, sagt Expertin Wisbert. "Volkswagen ist nicht schnell genug gewesen, um diese Ansprüche der Kundinnen und Kunden in China zu bedienen. Und hat dadurch Marktanteile verloren."
Exportunternehmen nutzen Preiskampf
Der Preiskampf in China bei Elektroautos hat stattdessen dazu geführt, dass staatlich lizensierte chinesische Exportunternehmen den Handel auch mit den vollelektrischen ID-Modellen von Volkswagen für sich entdeckt haben. Der ID.6 mit sieben Sitzen kostet den chinesischen Endkunden umgerechnet rund 26.000 Euro. In Deutschland verlangen Händler schon für den kleineren ID.3 deutlich mehr, nämlich rund 39.000 Euro. Durch dieses enorme Preisgefälle sei "dieser Anreiz entstanden, Fahrzeuge vermeintlich günstig in China einzukaufen und dann zu einem höheren Preis in Europa zu verkaufen", erklärt Wisbert.
Uniland Motors, eines dieser chinesischen Exportunternehmen, bewirbt offensiv den weltweiten Vertrieb insbesondere der beiden Volkswagen-SUVs ID.4 und ID.6. Letzterer kostet als Exportprodukt umgerechnet rund 41.000 Euro. Was immer noch vergleichsweise günstig ist für einen so großen SUV, auch wenn bei der Einfuhr nach Deutschland noch Zoll und Steuern hinzukommen.
Die Auslieferung nach Europa läuft zusammen mit anderen Fahrzeugen über große Autofrachter. Rund 40 Tage lang geht es über die Ozeane nach Europa zu den wichtigsten Auto-Umschlaghäfen wie Seebrügge oder Antwerpen in Belgien. Dort werden die E-Autos auf Lkw verladen.
Der Autohändler Gregory Brudny hat seine importierten ID.6-Modelle dann nach Neuruppin im nördlichen Brandenburg gebracht. Zuvor hatten alle ID.6-Modelle eine Einzel-Betriebserlaubnis erhalten, nach einer entsprechenden Anpassung für den europäischen Markt. Dazu gehört zum Beispiel auch eine Software für eine Menüführung auf Deutsch im Cockpit.
Konzern sieht Markenrechte verletzt
Doch Volkswagen hält das Vorgehen des Händlers für illegal. Der Konzern sieht sich in seinen Markenrechten verletzt. Allein Volkswagen sei berechtigt zu entscheiden, ob und wann ein Modell wie der ID.6 auch in Europa eingeführt werde. Dieser Argumentation folgte das Landgericht Hamburg. Es untersagte dem Autohändler per Einstweiliger Verfügung und später auch per Urteil, "zum geschäftlichen Verkehr in der Europäischen Union das Zeichen VW im Kreis und ID.6 für Kraftfahrzeuge zu benutzen".
Die Markenrechtsexpertin Martina Merker von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Berlin kann die Entscheidung nachvollziehen. Die Rechtslage sei hier eindeutig. Nur Volkswagen als Markeninhaberin der Marke ID.6 könne entscheiden, ob und wann das Produkt in welche Märkte eintritt. Erst danach ist der Handel mit dieser Marke auch Dritten erlaubt.
"Deswegen geht VW auch so vehement dagegen vor in einer Art und Weise, die auch meines Erachtens richtig ist", so die Markenrechtsexpertin. "Damit nämlich Dritte nicht motiviert werden, dem markenunabhängigen Autohändler das nachzumachen."
Anwälte, Gerichtsvollzieherin und Polizei erscheinen
Die Vehemenz von Volkswagen haben das Autohaus in Neuruppin und Gregory Brudny zu spüren bekommen. Die VW-Anwälte von Volkswagen erschienen mit Gerichtsvollzieherin und Polizei im Autohaus, die Autos wurden beschlagnahmt - um sie vernichten zu lassen. Die Geschäftsführerin des Autohauses, Cornelia Krell, fühlte sich überrumpelt: "Die Gerichtsvollzieherin hat zu mir gesagt: Frau Krell, wenn Sie das nicht machen, dann können Sie auch ins Gefängnis kommen. So eindeutig wurde mir das gesagt. Ich habe mich total hilflos gefühlt. Ich hatte doch nichts verbrochen."
Will Volkswagen auch die E-Auto-Produktion in Deutschland schützen? VW-Werke wie in Zwickau sind derzeit nur zu 60 Prozent ausgelastet. Expertin Wisbert verweist in diesem Zusammenhang auf die in Europa gerade zurückhaltende Kaufbereitschaft bei Elektroautos. Werde dann ein höher positioniertes Elektroauto angeboten, "dann würde der ID.6 den ID.4 am Ende noch kannibalisieren".
Angebote auch in anderen europäischen Ländern
Doch längst gibt es auch in anderen europäischen Ländern Autohändler, die aus China importierte ID.6 anbieten. In Zürich will ein freier Händler den XXL-SUV für 49.500 Schweizer Franken verkaufen, umgerechnet rund 52.000 Euro. Allerdings ist hier im Cockpit und auf dem Display neben Chinesisch nur Englisch als Sprache verfügbar. Auch in Tschechien (Prag), Polen (Krakau) und Litauen (Vilnius) haben freie Autohändler importierte Modelle im Angebot.
Von Volkswagen heißt es dazu, das Markenrecht gelte für alle europäischen Märkte - somit auch in Polen oder Tschechien. Juristisch vorgegangen ist der Konzern gegen China-Importe in diesen Ländern jedoch bisher nicht. Ganz vermeidbar sei es nicht, dass Fahrzeuge aus China importiert werden, sagt CAR-Expertin Wisbert. "Wenn aber ein Präzedenzfall im Heimatmarkt Deutschland droht, dann liegt hier ein viel größeres Augenmerk vor als in einem anderen Land."
Autohändler Brudny hat gegen die Entscheidung des Landgerichts Hamburg Berufung eingelegt. Für ihn gehe es auch um viel Geld, beklagt er: "Meine Autos sind weg, das bedeutet einen Verlust über zwei Millionen Euro", klagt er. "Das ist ein großer Verlust." Der Streit um die 22 Fahrzeuge geht im Mai vor dem Oberlandesgericht Hamburg in die nächste Runde. Bis dahin warten sie in einer Lagerhalle in Lindow (Mark) auf ihre mögliche Vernichtung.
Private Importe sind ein anderer Fall
Wer privat ein Fahrzeug wie den ID.6 aus China importiert, ist übrigens rechtlich besser gestellt - ähnlich wie bei privaten US-Importen. Denn eine Privatperson handelt nicht gewerblich, wie die Expertin Merker erklärt. "Markenrecht ist gewerblicher Rechtsschutz. Und insofern würden die Markenrechte hier gegenüber der Privatperson versagen."
Was man wissen sollte: Die für China produzierten E-Autos verfügen über andere Ladestecker als in Europa. Doch hierfür gibt es Adapter. Der unterschiedliche Ladestecker sei auch kein Hinderungsgrund für eine Einzel-Betriebserlaubnis, schreibt das Kraftfahrtbundesamt: "Im Typengenehmigungsverfahren werden keine Anforderungen hinsichtlich der Ausgestaltung des fahrzeugseitigen Ladesteckers definiert." Was bleibt, ist jedoch das Problem mit Service und Ersatzteilen.