Warten beim Stromzählerwechsel "Wie sollen wir so die Energiewende hinbekommen?"
Die Solaranlage ist bereits auf dem Dach, doch der Strom wird nicht ins öffentliche Netz eingespeist. Der Grund: Der Stromzähler ist noch nicht ausgetauscht. Das kann für Hausbesitzer frustrierend sein.
"Der Stromzählerwechsel ist einer der Knackpunkte, sozusagen das Nadelöhr", sagt Otto Dräger. Er ist Projektleiter bei der Solarfirma ageff in Freiburg. Sie installiert Photovoltaikanlagen und kümmert sich auch um alle Antragsformulare, die damit zusammenhängen. Bei 80 Prozent der Kunden gehe es um Einfamilienhäuser. Die Firma holt sich - wie andere Firmen auch - vom Kunden eine Vollmacht, damit sie alles übernehmen kann.
Dann geht der Bürokratiedschungel los. Die Firma stellt unter anderem zunächst die Einspeiseanfrage beim Netzbetreiber, später dann den Antrag für den Zählerwechsel. In dem Einzugsgebiet, in dem Dräger tätig ist, sind fünf verschiedene Netzbetreiber zuständig. "Je nach Netzbetreiber ist es immer anders. Es gibt kein einheitliches System. Manche Netzbetreiber haben digitale Portale, über die alles läuft, und bei anderen geht alles noch per E-Mail", schildert er die Situation.
Warten auf den Zweirichtungszähler
Dann heißt es warten auf die Einspeisezusage, später warten auf den Zählerwechsel. "Bei kleineren Anlagen wie bei Einfamilienhäusern reicht es, wenn nach vier Wochen keinerlei Reaktion vom Netzbetreiber kommt, um die Anlage in Betrieb zu nehmen." Die Besitzer kleinerer Anlagen könnten sich dann zumindest schon selbst mit dem Strom der Solaranlage versorgen, so Dräger. "Die Anlage wird aber so eingestellt, dass noch nichts eingespeist wird." Denn solange es keinen Zweirichtungszähler gebe, könne die Einspeisemenge nicht dokumentiert werden.
Zweirichtungszähler bedeutet, dass zum einen gezählt wird, was man selbst zusätzlich an Strom verbraucht, wenn die Solaranlage nicht ausreicht. Zum anderen wird dokumentiert, was durch die Solaranlage in das öffentliche Netz eingespeist wird. Wenn dieser Zweirichtungszähler fehlt, entgeht zum einen dem Kunden Geld, nämlich die Einspeisevergütung; zum anderen könnte die Anlage schon Solarstrom produzieren, der ins Netz fließt. Doch das geht eben nicht.
"Wir haben Kunden, die warten auf diesen Zählerwechsel Monate", erzählt Dräger. Je nach Netzbetreiber seien die Wartezeiten unterschiedlich lang. "Bei manchen kann man online den Termin angeben, der Zähler wird ausgetauscht, alles schnell und simpel. Doch dann gibt es Netzbetreiber, da hört man Ewigkeiten nichts, ruft wieder und wieder die Hotline an."
"Man ist ein Bittsteller"
Peter Wortelkamp, ein Kunde der ageff GmbH, hat acht Monate auf den Zählerwechsel gewartet. Im Juli 2022 wurde seine Anlage fertig gestellt, und dann passierte erstmal - nichts. "Ich stand frustriert vor unserem Hauskraftwerk, musste zusehen, wie die Anlage bei Sonnenschein runterregelt, weil unsere Batterie geladen ist und wir nicht einspeisen können. Es ist unfassbar. Wie sollen wir so die Energiewende hinbekommen?"
Irgendwann habe er selbst bei der Hotline angerufen. "Das ist frustrierend. Man ist ein Bittsteller, man muss warten und erfährt einfach nichts. Keine Rückmeldung, woran es liegt", kritisiert er. "Da ergreift man als Privatmann die Initiative und investiert, natürlich auch aus Eigennutz, aber dann erfährt nicht mal, woran es hakt." Wie viel Geld ihm in diesen acht Monaten entgangen ist, weiß er nicht. Darum gehe es ihm aber nicht in erster Linie, sondern wie mit ihm umgegangen werde.
Solar-Fachmann Dräger gibt ein Beispiel: Eine durchschnittliche Solaranlage mit Speichersystem auf einem Einfamilienhaus produziere, wenn sie optimal nach Süden ausgerichtet ist, circa 10.000 Kilowattstunden pro Jahr. Wenn der Zweirichtungszähler nicht installiert sei, dann entgehe dem Kunden bei 8,2 Cent pro Kilowattstunde im Jahr circa 7.000 Kilowattstunden, also 574 Euro.
Nachfrage und Engpässe durch neue Gesetze
Dass sich der Einbau des Zweirichtungszähler allerdings ein Jahr hinziehe, das sei selten der Fall, sagt Dräger. Der Hauptgeschäftsführer vom Fachverband Elektro- und Informationstechnik Baden-Württemberg, Andreas Bek, sieht den Grund für die langen Wartezeiten vor allem darin, dass die Nachfrage nach Anlagen gerade sehr groß ist.
Bei Neubauten von Wohngebäuden in Baden-Württemberg gibt es eine gesetzlich verordnete Photovoltaik-Anlagenpflicht, und es gibt eine Nachrüstpflicht bei Dachsanierungen. Hinzu kämen, so Bek, die enorm gestiegenen Energiepreise und vergleichsweise günstigen Preise von Photovoltaik-Modulen.
"Viele Netzbetreiber können mit dieser Entwicklung kaum mithalten, nachdem beispielsweise auch der Ausbau der Ladeinfrastruktur für E-Mobile rasch voranschreitet." Zudem erforderten der Rückbau von Öl- und Gasheizungen beziehungsweise der Tausch gegen Wärmepumpen zusätzliche Meldungen an die Netzbetreiber. Damit steige die Zahl der Anmeldeprozesse enorm - "zulasten der Elektro-Handwerksunternehmen und zulasten ihrer Kunden", räumt Bek ein.
Selbstständiger Zählerwechsel theoretisch möglich
Die Bundesnetzagentur weist darauf hin, dass der Anlagenbetreiber bei Verzögerungen des notwenigen Zähleraustauschs durch den Netzbetreiber auch selbst einen eigenen Zähler einbauen lassen darf, um die Anlage ohne weitere Verzögerung in Betrieb nehmen zu können. Dies sei im Mai 2023 im Rahmen einer Gesetzesreform aufgegriffen worden.
Henning Lorang ist Geschäftsführer der KLE Energie GmbH, einer Solarfirma in Rheinland-Pfalz, an der Grenze zum Saarland. Auch er kennt aus seinem Gebiet die Verzögerungen. Rechtlich sei es zwar inzwischen möglich, selbst den Zähler auszutauschen. Aber zum einen wüssten viele das nicht, und zum anderen wolle man sich auch die grundsätzliche Zusammenarbeit mit den Netzbetreibern nicht erschweren. "Eigentlich müssen Handwerker, die Photovoltaik-Anlagen installieren, Energiejuristen sein, um mit Netzbetreibern auf Augenhöhe verhandeln zu können", meint Lorang.
Was sich die Betriebe wünschen, fasst Bek so zusammen: "Weniger Bürokratie und vor allem ein digitalisiertes System für Netzanschlüsse bei allen Stromnetzbetreibern. Bundesweit sind es mehr als 900 Netzbetreiber." Bis 2025 soll es ein vereinheitlichtes System geben, aber bis dahin sei es noch ein langer Weg.