Die Bahnstation Como in Italien.
hintergrund

Zugverbindungen über die Grenze Auslandsreisen mit der Bahn sind kompliziert

Stand: 22.05.2023 16:12 Uhr

Das Umweltgewissen der Menschen in Deutschland wächst. Von der Verkehrswende sollte die Bahn sehr profitieren. Doch will man mit dem Zug ins Ausland reisen, wird es meist kompliziert und teuer.

"Mehr als 21 Millionen Menschen fuhren 2022 mit dem Zug über eine deutsche Grenze", verkündete die Deutsche Bahn in diesem Monat - so viele wie noch nie. Aber was ist diese Zahl wert? Zum Vergleich: Mit dem Flugzeug überquerten im gleichen Zeitraum knapp 150 Millionen Menschen deutsche Grenzen, also sieben Mal so viele. Und selbst der Fernverkehr mit Bussen befördert gut 16 Millionen Reisende ins Ausland.

Das möchte die Bahn gerne zu ihren Gunsten ändern und baut derzeit ihren Fernreiseverkehr aus. Viel zu langsam, sagen Verkehrsexperten. Umweltbewusstsein sei nur eine Motivation, den Zug zu nutzen, meint Philipp Kosok, Projektleiter Öffentlicher Verkehr des Thinktank Agora Verkehrswende: "Entscheidend sind aber andere Faktoren wie die Reisegeschwindigkeit, eine Direktverbindung und natürlich der Preis." Gerade bei den Direktverbindungen sieht es aber schlecht aus. Und das bringt dem Reisenden erhebliche Nachteile.

Vier Tickets auf dem Weg nach Barcelona

Der erfahrene Bahnfahrer Detlef Neuß, Bundesvorsitzender des Fahrgastverbandes Pro Bahn, wollte zu einer Konferenz nach Barcelona fahren und beschreibt seine Erfahrung so: "Ticket Nummer eins: Von Mönchengladbach aus fahren wir nach Aachen. Ticket Nummer zwei: von Aachen mit dem Thalys nach Paris. Ticket Nummer drei: von Gare du Nord nach Gare de Lyon. Ticket Nummer vier: Gare de Lyon nach Barcelona. Alle Tickets wurden einzeln online erworben. Ein durchgehendes Ticket kann nicht gebucht werden."

Das Hauptproblem bei solchen Buchungen: Für jeden Teilabschnitt ist ein anderes, meist ausländisches Unternehmen zuständig. Deshalb hat der Fahrgast auch keine durchgehenden Fahrgastrechte. Verpasst man beim häufigen Umsteigen einen Zug, verfallen die weiteren Tickets, weil im Ausland meist eine Zugbindung mit Reservierung existiert. Die Fahrpläne - gerade wenn das Ziel keine große Stadt ist - sind international nicht aufeinander abgestimmt, so dass auch lange Wartezeiten entstehen können. Außerdem ist der Kauf einzelner Tickets ins Ausland sehr teuer, verglichen mit durchgehenden Strecken.

DB-Konzern verteidigt sein Angebot

Eine Bahnsprecherin hält dagegen und verteidigt das Angebot auf Anfrage: "Ihre Aussage, dass 'die Bahn fast keine durchgehenden Angebote ins Ausland anbietet', können wir nicht nachvollziehen." Es gebe auf ausgewählten Strecken in die Schweiz, nach Frankreich oder Belgien sogar mehrere Verbindungen täglich, auf der Strecke Frankfurt-Brüssel sogar einen Zwei-Stunden-Takt. "So bedienen wir in Kooperation mit unseren Partnerbahnen die große Nachfrage nach Direktverbindungen, insbesondere in Metropolen, aber auch in beliebte Urlaubsregionen wie Österreich, Südtirol oder die Toskana." Täglich biete die Bahn 55.000 Reisenden 250 Direktverbindungen ins Ausland.

Will man aber nicht nach Paris, sondern nach Rennes, nicht nach Wien, sondern nach Klagenfurt, nicht nach Amsterdam, sondern nach Alkmaar, dann wird es umständlich und zeitaufwendig, bestätigt auch Verkehrsexperte Kosok von Agora Verkehrswende. "Es gibt zu wenig internationale Verbindungen, und es fehlt an einer europäischen Buchungsplattform für alle Bahnfahrten. Die europäischen Bahnen sind bei Information und Buchung völlig unzureichend vernetzt. Das hat die Flugbranche längst viel besser gelöst." 

Das Schienennetz ist überlastet und alt

Als Hauptproblem nennt er aber das Schienennetz. Innerdeutsch könne die Bahn die Reisenden aus dem Luftverkehr in naher Zukunft aufnehmen. Um auch den europäischen Flug- und Straßenverkehr auf die Schiene zu verlagern, reiche die Kapazität aber nicht aus. "Aktuell fahren so viele Züge wie noch nie durch Deutschland. Viele Hauptstrecken sind voll. Die Fahrgäste merken das an anhaltend hohen Verspätungen. Zu lange haben wir das Netz schrumpfen und altern lassen."

Pro Bahn fordert die Deutsche Bahn und die anderen europäischen Eisenbahnverkehrsunternehmen deshalb dazu auf, ihren Service zu verbessern. "Wir fordern die Schaffung eines gemeinsamen Vertriebssystems mit durchgehenden Tickets und Fahrgastrechten. Hier sollte aber auch die Politik aktiv werden, und ein solches System fordern und unterstützen."

Die Bahn verspricht Besserung

Erkannt hat die Deutsche Bahn das Problem und will daran weiterarbeiten. "Die Deutsche Bahn verfolgt das Ziel, grenzüberschreitendes Reisen in Europa auf der klimafreundlichen Schiene für die Fahrgäste noch attraktiver und bequemer zu machen", erläutert die Bahnsprecherin. "Daher arbeiten wir ständig daran, das Angebot von Fahrkarten für grenzüberschreitende Züge weiter auszubauen. Das gelingt uns auch sehr gut, noch nie waren so viele internationale Verbindungen online bei der DB buchbar wie heute."

Doch nicht nur beim Ticketing klaffen noch große Lücken, auch die Angebote selbst sind löchrig, weshalb die Bahn Teil der "europäischen Nachtzug-Allianz" wurde. Hier greift die Deutsche Bahn teilweise auf ausländische Anbieter zurück und erklärt das so: "Im Wettbewerb der Bahn mit Auto und Flieger braucht es Teamplayer statt Einzelkämpfer. Und es braucht Spezialisten, zum Beispiel die der Österreichischen Bundesbahnen (ÖBB) für das Wagenmaterial. Wir stellen Lokführer und Loks, organisieren die Trassen-, Stations- und Energienutzung und spielen im Vertrieb eine entscheidende Rolle."

All das rückt bequeme und günstige Bahnreisen durch ganz Europa aber nicht wirklich in greifbare Nähe. Agora-Experte Kosok hat deshalb eine überlegenswerte Alternative für Bahn-Fans auf Lager. Er fragt: "Warum nicht einmal den umkehrten Weg gehen und das Ziel anhand der Verbindung wählen. Gerade, seit sich Berlin und München zu europäischen Zentren des Nachtzugverkehrs entwickeln, gibt es immer mehr spannende Destinationen, die sich von dort ohne Umstieg über Nacht erreichen lassen." Gut zumindest für all die, die auch mal andere entscheiden lassen, wo man mal Urlaub machen könnte.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 09. Mai 2023 um 08:30 Uhr.