Ein ICE der Deutschen Bahn verlässt den Hauptbahnhof in München.
Analyse

Bahn-Bilanz Verspätete Zukunft 

Stand: 30.03.2023 14:37 Uhr

Die Passagierzahlen der Bahn steigen stark. Auch wirtschaftlich geht es ihr besser. Die Konzernleitung will sie zum Verkehrsmittel der Zukunft machen - und gönnt sich höhere Bezüge. Die Gegenwart zeigt: Die Bahn ist am Anschlag.

Eine Analyse von Andre Kartschall, rbb

Bahnchef Richard Lutz kann relativ gute Nachrichten verkünden: Rund 40 Prozent mehr Passagiere im Fernverkehr, mehr Umsatz als jemals zuvor und ein operativer Gewinn von 1,3 Milliarden Euro. Die Bilanz für 2022 sieht deutlich besser aus als die der Vorjahre. Die Bahn hat das Corona-Tief endgültig hinter sich gelassen. Mehr Menschen als jemals zuvor wollen in Deutschland Bahn fahren. 

Paradoxerweise liegt genau hier das Problem. Denn die Bahn kann nicht mehr. Das Schienennetz ist bereits heute quasi voll ausgelastet: Mehr Züge fahren zu lassen geht einfach nicht. Und die Bahnen, die fahren, sind so unpünktlich wie nie zuvor. 

Spät, später, Deutsche Bahn

65,2 Prozent der Fernzüge kamen 2022 pünktlich an - also weniger als sechs Minuten zu spät, so lautet die Definition. Heißt im Umkehrschluss: Das Risiko, zu spät zu kommen, lag bei mehr als einem Drittel. Blöd für Bahnkunden - besonders, wenn sie noch einen Anschlusszug erreichen wollen. 

Immer wieder führt die Bahn den Investitionsrückstand im Schienennetz als Hauptgrund für die Unpünktlichkeit ins Feld. Und tatsächlich sind Gleise und Bahndämme vielerorts überaltert, Brücken marode und Stellwerke störungsanfällig. Die Strategie der Bahn: mit aufwändigen Generalsanierungen sollen ganze Abschnitte modernisiert werden. Das heißt aber auch: Vollsperrungen für wichtige Verbindungen über Monate. Und das Programm soll über Jahre laufen. 

Jahrzehnt der Baustellen

Bahnchef Lutz stellt für die nahe Zukunft auch nur leichte Verbesserungen in Aussicht. Sein bescheidenes Ziel: "Wir wollen unsere Pünktlichkeit dieses Jahr auf deutlich mehr als 70 Prozent verbessern." Mehr scheint nicht drin in Anbetracht der überfüllten Gleise und vielen Baustellen. 

Verkehrsminister Volker Wissing, der sich in die Bilanzpressekonferenz der Bahn zuschaltete, beantwortet die Frage danach, wann die Bahn denn wieder ihren Fahrplan halbwegs einhalten kann, trocken: "Die Bahn ist dann pünktlich, wenn wir das Hochleistungsnetz geschaffen haben. Und dieses Hochleistungsnetz ertüchtigen wir in diesem Jahrzehnt." 2030 als Zielmarke für eine pünktlichere Bahn also: Das zeigt, wie groß die Aufgabe ist, vor der der Staatskonzern steht. 

Kritiker wie der Chef der Lokführergewerkschaft GDL, Claus Weselsky, sehen die Dauerbaustellen schon als Feigenblatt, hinter dem sich der Bahnvorstand verstecken kann, während die Züge des Konzern auf Jahre unpünktlich fahren: "Jetzt hat man eine neue Ausrede, nach dem Motto: Wir machen jetzt Generalsanierung und dann ist die Pünktlichkeit sowieso nicht zu halten." 

Tafelsilber zu verkaufen?

Wirtschaftlich geht es der Bahn derweil besser als zuletzt. Der operative Gewinn von mehr als einer Milliarde Euro kommt allerdings nicht durch das Kerngeschäft - den Personenverkehr - zustande. Hier fährt das Unternehmen weiter Verluste ein. Die Logistiktochter DB Schenker glänzt unterdessen mit dem sechsten Rekordjahr in Folge. Der operative Gewinn stieg hier 2022 auf satte 1,8 Milliarden Euro. Das machte den Verlust von minus 600 Millionen Euro aus dem Eisenbahngeschäft mehr als wett. 

Anke Hahn, ARD Berlin, zum wirtschaftlichen Zustand der Deutschen Bahn

tagesschau24 15:00 Uhr

DB Schenker transportiert Waren weltweit, per Schiff, Lkw und Flugzeug. In Zeiten von angespannten Lieferketten setzten viele Kunden auf die Verlässlichkeit des Unternehmens - das machte sich auch im Ergebnis bemerkbar. Doch die Zukunft der einzigen zuverlässigen "Cash Cow" im Konzern ist ungewiss, seit der Bund als Alleineigentümer der Bahn den Auftrag erteilt hat, einen Verkauf zu prüfen. Die Bahn betont, ein Verkauf komme nur in Betracht, wenn dieser wirtschaftlich sinnvoll sei. Die Prüfung läuft noch. 

Milliardenverlust für dieses Jahr erwartet

Für das laufende Jahr rechnet die Bahn derweil nicht mit einem Gewinn für den Gesamtkonzern. Stattdessen dürfte das operative Minus nach derzeitiger Schätzung rund eine Milliarde Euro betragen. Hintergrund sind die gestiegenen Energiekosten, höhere Einkaufspreise für Güter und Dienstleistungen und eine möglicherweise deutliche Lohnerhöhung für die Beschäftigten.

Vor allem aber schlagen die dringend notwendigen Investitionen in die Infrastruktur zu Buche. Hier will das Unternehmen auch ohne Finanzierungszusagen des Bundes in Vorleistung gehen. Das Schienennetz sei so marode, dass eine Sanierung keinen Aufschub zulasse, heißt es aus dem Unternehmen.

Erhöhte Bezüge und Boni für den Vorstand

Die Konzernspitze selbst bekam im vergangenen Jahr mehr Geld ausgezahlt. Die Bezüge von Bahnchef Lutz haben sich gegenüber 2021 mehr als verdoppelt und lagen laut Geschäftsbericht bei 2,24 Millionen Euro. Sie setzen sich zusammen aus einem Grundgehalt von fast 970.000 Euro und einem Bonus von mehr als 1,26 Millionen.

Infrastrukturvorstand Berthold Huber landete bei einer Gesamtvergütung von 1,41 Millionen Euro (2021: 662 000 Euro), Personalvorstand Martin Seiler verdiente 1,39 Millionen Euro (2021: 659 000 Euro). Sämtlichen Vorstandsmitgliedern wurde im vergangenen Jahr ein erfolgsabhängiger Bonus gezahlt. 2021 und 2020 erhielten die Vorstandsmitglieder solche Boni den Geschäftsberichten zufolge nicht.

Johannes Frewel, RBB, 30.03.2023 12:36 Uhr

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete tagesschau24 am 30. März 2023 um 14:10 Uhr.