Lahmende Konjunktur Wie kann Deutschlands Wirtschaft wieder wachsen?
Der deutschen Wirtschaft geht es nicht gut. So klar die Analyse ist, so strittig sind die möglichen Auswege aus der Konjunkturkrise. An welchen Stellschrauben könnte man drehen?
Wirtschaftswachstum - das war gestern. Aber schon bei der Analyse, warum Deutschland konjunkturell gerade so schlecht dasteht, liegen die Einschätzungen in der Politik weit auseinander. Ganz wild durcheinander geht es bei der entscheidenden Frage: Wie kann die Wirtschaft in Deutschland dauerhaft wieder wachsen und so für Verteilungsspielraum sorgen? Gute Ideen gibt es einige.
Das Problem: Die Wirtschaft wächst nicht
Nur um 0,2 Prozent soll die Wirtschaft in Deutschland in diesem Jahr wachsen - das ist die Prognose im Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung, die Wirtschaftsminister Robert Habeck in dieser Woche vorgestellt hat.
Weder aus dem Inland noch aus dem Ausland kommen derzeit Wachstumsimpulse. Der Export steigt in diesem Jahr nach einem deutlichen Rückgang 2023 wieder, doch eben nur leicht um 0,6 Prozent. Und im Inland ist vom privaten Konsum und den Investitionen der Unternehmen auch nicht viel zu erwarten. Doch dass es im Moment nicht rund läuft, ist das kleinere Problem.
Das große Problem: Potenzialwachstum dauerhaft niedrig
Viel gravierender sind die schlechten Aussichten für die kommenden Jahre. Die werden deutlich am sogenannten Potenzialwachstum. Das ist - vereinfacht ausgedrückt - die vermutliche Wachstumsrate der Wirtschaft in Deutschland, wenn keine besonderen Ereignisse für höheres oder niedrigeres Wachstum sorgen.
Ausgerechnet haben das die "Wirtschaftsweisen". Ergebnis: In den nächsten zehn Jahren wächst die Wirtschaft deutlich langsamer als in der Vergangenheit - es stehen also ökonomisch zehn magere Jahre bevor. Die Konsequenz: Deutschland muss viel mehr tun, damit die Wirtschaft zumindest so stark wächst wie möglich, auch wenn das weniger ist als in der Vergangenheit.
Wachstumsbremsen gibt es einige: zu viel Bürokratie, Fachkräftemangel, eine vernachlässigte Infrastruktur, im internationalen Vergleich hohe Steuern und so weiter.
Im Vergleich hohe Unternehmenssteuern
Deutschland ist ein Land, in dem Unternehmen vergleichsweise hohe Steuern zahlen. Das zeigt der Vergleich mit den anderen großen europäischen Ländern und den USA: Deutschland mit 28,5 Prozent und Spanien mit rund 29 Prozent haben die höchste effektive Steuerbelastung für Unternehmen.
Großbritannien liegt mit rund 26 Prozent im Mittelfeld, Frankreich und Italien mit rund 24 Prozent darunter. Die USA sind mit einer effektiven Steuerbelastung von 27,5 Prozent kaum günstiger als Deutschland.
In Deutschland zahlen Unternehmen seit der großen Steuerreform der damaligen rot-grünen Bundesregierung Anfang der 2000er-Jahre knapp 30 Prozent Unternehmenssteuern (die sich im Wesentlichen aus der Körperschafts- und der Gewerbesteuer zusammensetzt). Dass die effektive Steuerbelastung in Deutschland derzeit bei 28,5 Prozent liegt, hat das Zentrum für Europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim errechnet.
Viele Jahre lag Deutschland im Mittelfeld der Industrieländer, andere Staaten wie Frankreich und die USA hatten erhebliche höhere Steuersätze von bis zu 40 Prozent. Doch in den vergangenen Jahren haben viele Ländern ihre Unternehmenssteuern erheblich gesenkt. In Frankreich und den USA beispielsweise zahlen Unternehmen jetzt niedrigere Steuern als in Deutschland.
Steuersenkungen als Wachstumstreiber?
Finanzminister Christian Lindner fordert deshalb die Abschaffung des Soli für Unternehmen - das würde den nominalen Steuersatz senken. Habeck will unter anderem die Abschreibungsmöglichkeiten für Unternehmen verbessern.
Beide Varianten haben nach Einschätzung von Ökonomen einen wachstumssteigernden Effekt. Wie groß der ist, ist allerdings umstritten. Die Union will Unternehmenssteuern deutlich senken auf ein Niveau von 25 Prozent. Das würde nach Berechnungen des ZEW allerdings zu Steuerausfällen von 30 Milliarden Euro im Jahr führen - Vorschläge zur Gegenfinanzierung fehlen bislang.
Bürokratieabbau ist notwendig
Beim Thema Bürokratie sind sich die Parteien im Grundsatz ziemlich einig, doch das sind sie schon seit Jahren. Wirken würde ein Abbau von Vorschriften vermutlich mittelfristig.
Der Effekt wäre doppelt: In einigen Branchen würden durch niedrigere Anforderungen die Kosten sinken (etwa in der Bauindustrie), in vielen Bereichen der Aufwand für die Bearbeitung sowohl in den Unternehmen als auch bei den beteiligten Behörden - eine Regelung, die es nicht gibt, muss auch nicht kontrolliert werden. Auch das hat eine kostensenkende Wirkung.
Investitionen in die Infrastruktur
Politiker und Ökonomen sind sich außerdem darüber weitgehend einig, dass Deutschland wieder deutlich mehr für seine Infrastruktur tun muss. Die staatlichen Investitionen sind auch schon deutlich gestiegen. Doch bis der über viele Jahre entstandene Investitionsstau behoben ist, wird es viele Jahre dauern.
Insgesamt fehlen Arbeitskräfte
Der Fachkräftemangel ist in Deutschland jetzt schon ein Mangel nicht nur an Fachkräften, sondern an Arbeitskräften insgesamt - und die Babyboomer beginnen gerade erst, in Rente zu gehen. Darum wird der Anteil der Menschen im typischen Erwerbsalter von 18-67 Jahren im Verhältnis zur Gesamtbevölkerung in den kommenden Jahren deutlich kleiner.
Aus Sicht vieler Ökonomen ist der Kampf gegen den Fachkräftemangel der entscheidende Punkt bei der Frage, wie wieder mehr Wachstum entstehen kann. Denn wenn nicht genug Mitarbeiter da sind, helfen auch nicht mehr Aufträge - die muss ja jemand auch abarbeiten.
An diesem Punkt zeigt sich aber auch, dass ein konsequentes Ausschöpfen des Arbeitskräftepotenzials für die Parteien schwierig ist, weil die eigene Klientel betroffen ist. So sperrt sich die SPD bislang gegen die Abschaffung der Rente mit 63 Jahren und die Union möchte am Ehegattensplitting festhalten. Würde man beides abschaffen, stünden dem Arbeitsmarkt voraussichtlich mehr Menschen zur Verfügung. Konsequente Wirtschaftspolitik geht also quer über die Parteigrenzen hinweg.
Neue Industrien fördern
Deutschland ist ein Land der Industrie und des verarbeitenden Gewerbes - das hat in den vergangenen Jahrzehnten viel zum Wirtschaftswachstum beigetragen. Derzeit jedoch geraten Branchen wie Autoindustrie, Maschinenbau und Chemie unter Druck. Für die Wirtschaftspolitik stellt sich die Frage: Lieber "alte" Industrien zu stützen oder "neue" Industrie fördern?
Ökonomen wie die Wirtschaftsweise Ulrike Malmedier fordern ein stärkere Zukunftsorientierung mit Fokus auf junge und innovative Bereiche wie Künstliche Intelligenz, Biotech oder Umwelttechnologie.
Welches Fazit kann man ziehen?
Klar ist, dass die Wirtschaftspolitik derzeit deutlich stärker gefordert ist als noch im vergangenen Jahrzehnt. Durch die Schuldenbremse sind die staatlichen Möglichkeiten stärker beschränkt als in den meisten anderen Ländern. Darum ist es entscheidend, das vorhandene Geld möglichst effizient einzusetzen - also so, dass der stärkste Impuls für dauerhaftes Wirtschaftswachstum dabei herauskommt. Daran werden die verschiedenen Vorschläge zur Steigerung des Wachstum gemessen werden.