Europäische Zentralbank Sinken die Zinsen noch weiter?
Im Juni kappten die Euro-Währungshüter erstmals seit Jahren den Leitzins. Nun ist die Frage: Welchen Kurs wird die Europäische Zentralbank in den kommenden Monaten verfolgen?
Erstmals seit fast fünf Jahren senkte die Europäische Zentralbank (EZB) im vergangenen Monat die Zinsen. Nach knapp neun Monaten auf Rekordhoch verringerten die Euro-Währungshüter den Leitzins um 0,25 Prozentpunkte auf 4,25 Prozent. Jetzt kommt das Entscheidungsgremium, der EZB-Rat, wieder zusammen - und die Finanzwelt blickt nach Frankfurt am Main. Mit der Frage, ob die Zinssenkung weitergeht.
Das Zentrum für europäische Wirtschaftsforschung (ZEW) in Mannheim fragte Finanzmarktexpertinnen und -experten. "Die meisten Befragten gehen davon aus, dass die EZB im September und Dezember 2024 die Zinsen senken wird. Allerdings gehen sie nicht von einer linearen Abwärtsbewegung der Zinssätze aus, sondern erwarten vielmehr Phasen, in denen der EZB-Rat die Zinssätze auf dem Niveau der vorangegangenen Sitzungen belassen wird", erklärt Alexander Glas, Projektleiter für den ZEW-Finanzmarkttest. Das würde auch zur Ankündigung von EZB-Chefin Christine Lagarde passen, bei geldpolitischen Anpassungen datenbasiert vorzugehen.
"Keinerlei Signale für Zinssenkung"
Auch Volker Wieland vom Frankfurter House of Finance der Goethe-Universität glaubt nicht, dass die EZB diese Woche erneut die Zinsen senkt. Der Druck der Politik auf die Notenbank sei nicht besonders hoch. "Auch das Zinsniveau im Euroraum ist nicht exorbitant hoch, niedriger als in den USA, wo auch keine Zinssenkung aktuell stattfindet", so Wieland.
Da stimmt Jörg Krämer, Chefvolkswirt der Commerzbank ein: "Keinerlei Signale für eine Zinssenkung. Alles andere wäre eine riesige Überraschung."
Aber Jörg Krämer sieht weiter Senkungen des Einlagezinses in der nahen Zukunft. Er kann sich vorstellen, dass ab September die EZB den Zins von jetzt 3,75 Prozent in drei Schritten bis zum ersten Quartal 2025 auf drei Prozent senken wird. "Wichtig ist dabei, dass die Notenbank bei der Inflation-Bekämpfung auch auf den letzten Metern konsequent bleibt." Denn das Inflationsproblem sei noch nicht gelöst, so Krämer.
Die Angst vor Inflation
Ulrich Kater, Chefvolkswirt der Deka Bank ist da verhalten optimistisch. "Die EZB erwartet, dass sich die Preissteigerungen im Durchschnitt aller Preise in zwei Jahren wieder bei zwei Prozent im Jahr einpendeln. Von der jetzigen Inflationsrate von 2,5 Prozent fehlt da nicht mehr viel", sagt der Ökonom. Die Löhne holten immer noch die Einbußen für Beschäftigte aus der Phase hoher Inflation auf, aber die Steigerungen verlangsamten sich. "Es besteht durchaus eine realistische Chance, dass die Erwartungen der EZB aufgehen."
Für Jörg Krämer sind die Lohnsteigerungen, aber auch die Preissteigerung von vier Prozent im Dienstleistungsbereich Zeichen dafür, dass das Inflationsziel der EZB noch weit weg sei. "Die Zinssenkung im Juni war aus meiner Sicht wegen der Inflationsrisiken zu früh", so der Chefvolkswirt.
Was sollen Sparer tun?
Wenn die Inflation sich Richtung zwei Prozent bewegt, schöpfen einige Sparer wieder Hoffnung. Schließlich verfällt der Wert ihres Ersparten nicht mehr so schnell. Die Zinsen fürs Geldanlegen waren zuletzt gestiegen. Aber das könnte sich ändern, so Ulrich Kater, von der Deka Bank: "Die Zinsen bei kurzfristigen Anlagen, also beim Tagesgeld und bei kurzlaufenden Sparbriefen, werden wieder etwas zurückgehen. Sie reichen wie so häufig nicht aus, um die Inflation zu schlagen.
Daher sollten Sparerinnen und Sparer schon frühzeitig auf langfristige Anlageformen wie Aktien setzen." So sehen es viele Experten. Für sie bleibt vor allem mal wieder nur der Aktienmarkt.
Wohin steuert die europäische Währungsunion?
Besorgniserregend sei eher die Entwicklung bei den Staatsanleihen, so Volker Wieland. Denn etliche Länder des Euroraums, wie Frankreich, Spanien und Italien würden immer mehr Schulden aufnehmen. Das führe dann, wie bei den aktuellen politischen Verunsicherungen in Frankreich zu sehen sei, zu Zinsaufschlägen.
Schnell könnte die Politik dann wieder bei der EZB mit der Forderung vorstellig werden, zu intervenieren. Aber noch sei das nicht so weit. Eine Staatsschuldenkrise stehe nicht vor der Tür.