Der EU droht die Spaltung Die Euro-Länder lassen Europa zurück
Die Beschlüsse des Euro-Gipfels sind in aller Munde. Alle? Nein. Fast nebenbei haben die 17 Euro-Länder die Basis für neue Strukturen in der EU gelegt. Deutlich zeichnet sich eine Zwei-Klassen-Gesellschaft ab: der Club der 17 gegen die zehn Nicht-Euro-Länder. Es soll eigene Gipfel geben, ein Euro-Präsident ist angedacht.
Es ist noch nicht lange her, da formulierten Bundeskanzlerin Angela Merkel und Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy in Paris die Idee einer gemeinsamen Wirtschaftsregierung in der Euro-Zone. Ziel: bessere Zusammenarbeit, engere Abstimmung und dadurch letztendlich auch mehr Kontrolle der Wirtschafts- und Finanzpolitik. Es soll nicht noch einmal passieren, dass ein Euro-Land geschönte Zahlen vorlegt, wie im Fall Griechenland.
Zudem wollen sich die Euro-Länder gegen Blockadespiele innerhalb der EU wappnen. Denn zur Verschärfung der Schuldenkrise trug auch bei, dass sich die 27 EU-Länder sehr lange als handlungsunfähig erwiesen. Zu viele unterschiedliche Interessen machten eine Einigung unmöglich.
Erst große Runde, dann kleiner Kreis
Das soll sich nun ändern. Sichtbare Vorboten dieser Entwicklung: Schon beim Gipfel am Sonntag trafen sich zunächst die EU-Länder in großer Runde. Beim anschließenden Euro-Gipfel im kleinen Kreis waren sie unerwünscht. Das gleiche Prozedere am Mittwoch. Zuerst gab es einen EU-Gipfel, dann traf sich der "Club der 17" zum eigenen Euro-Gipfel. Und im kleinen Kreis kam man zu Entscheidungen: Schuldenschnitt für Griechenland, Bankenbeteiligung, Maximierung der Mittel des Euro-Rettungsschirms EFSF - das war mehr als allgemein erwartet wurde.
Separate Strukturen nehmen nun inzwischen konkrete Formen an. Auf dem informellen Gipfeltreffen in Brüssel einigten sich die 17 Staats- und Regierungschefs der Euro-Länder darauf, künftig regelmäßige eigene Gipfeltreffen zu vereinbaren, die nicht unbedingt zusammen mit den EU-Gipfeln abgehalten werden müssen. In der Abschlusserklärung heißt es zudem, dass ein Präsident für die mindestens zweimal jährlich stattfindenden Euro-Gipfel gewählt wird. Zudem wird eine ständige Euro-Arbeitsgruppe eingerichtet, die einen hauptamtlichen Präsidenten in Brüssel erhält. Diese Gruppe soll inhaltliche Vorschläge aus der EU-Kommission erhalten.
Ein Kommissar wird "Euro-Kümmerer"
Um zu verhindern, dass sich die Euro-Zone von den restlichen zehn EU-Mitgliedern zu weit abkoppelt, soll es einmal monatlich Treffen der Chefs des EU-Rates, der EU-Kommission und der Euro-Zone geben. Auch der Chef der Europäischen Zentralbank (EZB) soll dazu eingeladen werden. Die Euro-Staaten sollen die anderen zehn EU-Mitglieder umgehend von ihren Entscheidungen informieren. Zugleich wird aber betont, dass in der Euro-Zone eine immer stärkere Koordinierung der Wirtschafts- und Finanzpolitik angestrebt wird.
Zuständig für diese Koordinierung in der Euro-Zone soll EU-Währungskommissar Olli Rehn werden. Er soll sozusagen zum "Euro-Kümmerer" werden. Der Finne werde einen stärkeren Status bekommen und für die Koordinierung des Euro zuständig sein, kündigte EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso an. Offiziell wird Rehn Vizepräsident der EU-Kommission mit dem Zuständigkeitsbereich Wirtschaft, Finanzen und Euro.
Mit dem neuen Job solle Rehn dafür sorgen, die Wirtschaftsregierung innerhalb der Eurozone zu koordinieren, zu überwachen und durchzusetzen, sagte der Kommissionspräsident. Es sei auch aus "symbolischer Sicht wichtig, dass wir einen Kommissar haben, der sich um den Euro kümmert", betonte er.
Merkel will keine Spaltung, aber ...
Die inzwischen sichtbare Spaltung der EU gefällt Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht - eigentlich. "Das will ich nicht, das ist nicht vernünftig", betonte sie. Zugleich mahnte sie aber, dass auch Deutschland sehr wohl einen Vertrag nur für die Euro-Zone anstreben werde, wenn Länder wie Großbritannien eine Änderung des EU-Vertrages insgesamt verhindern. Denn das Ziel, sich immer weiter verschuldende Euro-Staaten stärker an die Kandare nehmen zu können, müsse auf jeden Fall erreicht werden.
Der Kanzlerin, aber auch ihren Kollegen in der Euro-Zone ist klar, dass man sich angesichts der Spannungen an den Finanzmärkten die üblichen Blockadespiele der Integrationsverweigerer in der EU nicht mehr leisten kann. So platzte Frankreichs Präsident Sarkozy nach Angaben von Diplomaten am Sonntag der Kragen. Er warf dem britischen Premier David Cameron vor, den Euro einerseits abzulehnen und stets Fortschritte bei der EU-Integration zu blockieren, andererseits aber immer mitreden zu wollen.
Vorbild Schengen?
Eine stärkere Abstimmung der Euro-Länder und verbindliche Regeln für ihre Finanzpolitik - Stichwort: gemeinsame Wirtschaftsregierung - ist aber rechtlich nur mit einem geänderten oder neuen EU-Vertrag möglich. Dafür plädiert die Bundeskanzlerin seit Wochen vehement. Das Problem: Alle 27 EU-Länder müssten zustimmen. Und wenn das nicht möglich ist? Dann müssten die 17 Euro-Länder einen eigenen Vertrag beschließen. Dass auch die Bundeskanzlerin längst in diese Richtung denkt, zeigt der CDU-Europa-Leitantrag für den Parteitag im November: Ausdrücklich wird dort an das Voranpreschen nach dem Vorbild der Grenzvereinbarungen im Schengen-Abkommen erinnert.