Automobilkonzern Mercedes und das Problem mit der AfD
Öffentlich distanziert sich Mercedes von der AfD. Doch Kontraste-Recherchen werfen Fragen im Umgang mit der Partei auf. Im Mittelpunkt: ein Landtagsabgeordneter aus Brandenburg, der gut über interne Vorgänge des Automobilkonzerns informiert ist.
In der deutschen Wirtschaft macht man sich offenbar Sorgen über das Umfragehoch der AfD. Hervor geht das zum Beispiel aus einer Befragung des Instituts der deutschen Wirtschaft (IW) unter den Hauptgeschäftsführern der Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbände. Deren Mehrheit befürchtet, die Partei könnte langfristige Auswirkungen haben. Die Verbände haben Angst, der Wirtschaftsstandort Deutschland könnte für Fachkräfte wie für Investoren unattraktiver werden.
Die Frage, wie die deutsche Wirtschaft mit der AfD umgeht, wird auch öffentlich verhandelt. Immerhin hat das Bundesamt für Verfassungsschutz die AfD als rechtsextremistischen Verdachtsfall eingestuft. In der Wirtschaft werde gegen die Partei zu wenig getan, beklagte etwa Christian Kullmann, Chef des Chemiekonzerns Evonik, gegenüber der "Süddeutschen Zeitung".
Kullmann warnte eindringlich, auch weil die Partei seiner Ansicht nach der Volkswirtschaft schadet. Man müsse Farbe bekennen. "Bei uns kommen keine AfD-Funktionäre auf den Hof, zu Werksbesuchen werden die nicht empfangen."
Warnungen vor der AfD
Auch der Vorstandsvorsitzende von Daimler Truck, Martin Daum, hat sich deutlich positioniert. "Focus Online" sagte er, das Erstarken der AfD und deren Nationalismus schadeten der deutschen Wirtschaft. "Wenn wir um uns rum, außerhalb unserer Grenzen, immer nur die Bösen sehen, den Feind - dann hat diese Haltung immer zum Desaster geführt."
Hauptaktionär von Daimler Truck ist die Mercedes-Benz-Group. Öffentlich bekennt sich Mercedes-Benz zu "Toleranz, Offenheit und Fairness", wie es in ihrem Nachhaltigkeitsbericht 2022 heißt. Diversität sei ein Erfolgsfaktor. Dem ARD-Politikmagazin Kontraste schreibt der Konzern, die AfD vertrete wirtschaftspolitische sowie in Teilen der Partei verfassungs- und fremdenfeindliche Positionen, die mit seinen Werten nicht vereinbar seien.
"Die AfD steht für Positionen, die unserer Sicherheit und unserem Wohlstand die Grundlage entziehen", so Eckart von Klaeden. Der ehemalige CDU-Bundestagsabgeordnete und Staatsminister im Kanzleramt leitet heute die für Lobby-Arbeit zuständige "External Affairs"-Abteilung von Mercedes-Benz.
Kontakt zu AfD-Politiker
Recherchen offenbaren nun jedoch Vorgänge, die Fragen zum Umgang des Konzerns mit der AfD aufwerfen. Nach Kontraste-Informationen soll es deshalb interne Kritik an von Klaedens Abteilung gegeben haben.
Dabei soll es auch um Kontakte zu Steffen John gegangen sein, der für die AfD im brandenburgischen Landtag sitzt. John ist wirtschaftspolitischer Sprecher seiner Fraktion und war zumindest zwischenzeitlich offenbar bestens über Vorgänge im Mercedes-Werk in Ludwigsfelde informiert.
Laut Sitzungsprotokollen erzählte John in einer Ausschusssitzung am 5. Oktober 2022, dass das US-amerikanische Unternehmen Rivian eine erst wenige Wochen zuvor verkündete Kooperation mit Mercedes-Benz bereits wieder gestoppt habe. Mercedes-Benz und Rivian hatten geplant, gemeinsam Elektro-Vans zu entwickeln.
Dass die Pläne für eine Zusammenarbeit gescheitert waren, wurde erst im Dezember 2022 bekannt - und damit rund zwei Monate nach Johns Äußerungen im Landtag. Wie der AfD-Politiker zu seinem Einblick ins Innenleben des DAX-Konzerns kommen konnte, bleibt bis heute ein Rätsel. Auf Anfrage von Kontraste wollte John sich dazu nicht äußern.
Vertrauliche Gespräche mit der AfD
Gut dokumentiert ist hingegen ein "Arbeitsbesuch" des AfD-Politikers im Mercedes-Werk in Ludwigsfelde im November 2022. John berichtete davon selbst in einem bis heute auf Facebook öffentlich einsehbaren Beitrag, in dem er sich beim Standort-Verantwortlichen von Mercedes-Benz bedankte, sowie bei einem Lobbyisten des Konzerns.
Beide Männer nannte er damals namentlich. Inzwischen will John noch nicht einmal mehr sagen, wie der Termin zustande gekommen war. Bei diesem sei es lediglich um Informationsaustausch zur Entwicklung des Werkes und den Zukunftsprognosen gegangen, schreibt er Kontraste per E-Mail. "Es wurde im gegenseitigen Verständnis um Vertraulichkeit gebeten. Entsprechend dieser Vereinbarung, kann ich an dieser Stelle mich zu den weiteren Details nicht äußern."
Mercedes-Benz teilt auf Anfrage mit, man spreche keine Einladungen an einzelne AfD-Politiker aus. Die Initiative für den Werksbesuch sei vom Büro von Steffen John ausgegangen, der Besuch sei nach internen Leitlinien geprüft worden. "Die letztendliche Entscheidung zur Stattgabe der Anfrage wurde unter Einbeziehung aller relevanten Stellen im Unternehmen sowie unter Abwägung aller relevanten Aspekte getroffen."
Cheflobbyist war einbezogen
Offenbar hielt es Mercedes-Benz nicht für notwendig, beim Besuch des AfD-Abgeordneten den Betriebsrat einzubeziehen. Weder dem Konzernbetriebsrat noch dem Betriebsrat im Werk in Ludwigsfelde sei der Termin bekannt gewesen, teilt der Gesamtbetriebsratsvorsitzende Ergun Lümali auf Anfrage von Kontraste mit.
Mutmaßlich wäre der Besuch beim Betriebsrat auch auf wenig Begeisterung gestoßen. "Als IG-Metall-Betriebsräte zeigen wir klare Kante gegen rechtspopulistische Hetze, Rassismus und Fremdenfeindlichkeit", schreibt Lümali. Man distanziere sich von jeglicher Form von Radikalität und faschistoiden Zügen im gesellschaftlichen und politischen Umfeld. "Statt Ausgrenzung und Nationalismus setzen wir uns für Solidarität, Toleranz und Respekt der Menschen untereinander ein."
Mitgetragen haben soll Johns Werksbesuch nach Kontraste-Informationen "External Affairs"-Leiter Eckart von Klaeden. Bereits in der Vergangenheit scheint von Klaeden innerhalb des Konzerns Unmut auf sich gezogen zu haben. Obwohl sich die Mercedes-Benz-Spitze der Elektromobilität verschrieben hat, soll der Cheflobbyist laut einem Bericht des "Manager Magazins" damit kokettiert haben, "manche Dinge etwas anders zu sehen".
Entsprechende Äußerungen sollen bei einer Videokonferenz zur Strategie von Mercedes-Benz gefallen sein, laut der bis 2025 alle neuen Fahrzeugarchitekturen vollelektrisch sein sollen.
Mercedes-Benz teilt dazu auf Anfrage mit, die Arbeit der Abteilung "External Affairs" folge der nachhaltigen Geschäftsstrategie des Konzerns. "Der Bereich arbeitet sehr erfolgreich und mit uneingeschränkter Unterstützung des Vorstands." Eckart von Klaeden vertrete die Konzernstrategie uneingeschränkt.
385.753 Euro für eine Vertragsauflösung
Ein AfD-Politiker, der gegen solche Vorhaben ankämpft, ist der baden-württembergische Bundestagsabgeordnete Dirk Spaniel. Er wird dem formal aufgelösten "Flügel" der Partei zugerechnet. Bevor er 2017 ins Parlament einzog, arbeitete Spaniel für Mercedes-Benz. 385.753 Euro brutto war dem Konzern der Aufhebungsvertrag wert, um den AfD-Politiker nicht mehr auf seiner früheren Position als Entwicklungsingenieur beschäftigen zu müssen.
Geschlossen wurde dieser Vertrag allerdings erst zum 7. Dezember 2022. Zu diesem Zeitpunkt saß Spaniel schon fünf Jahre lang als Obmann seiner Fraktion im Verkehrsausschuss des Bundestags.