Dieselskandal Neuer Ärger für Mercedes-Benz
Nach Informationen von BR und "Spiegel" verlangt das Kraftfahrtbundesamt von Mercedes-Benz Aufklärung wegen kritischer und mutmaßlich unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem EU-6-Motor. Fahrzeug-Stilllegungen sind eine Option.
Das Schreiben des Kraftfahrt-Bundesamtes (KBA) stammt von Anfang Juli und ist acht Seiten lang. Es liegt BR Recherche und dem "Spiegel" vor. Detailliert skizziert die Behörde darin drei Abschalteinrichtungen, die sie bei Untersuchungen der Motorsteuerungssoftware einer Mercedes-E-Klasse 350 Blue TEC mit Euro 6-Motor (OM642) nachgewiesen hat. Das KBA bewertet sie als "kritisch bzw. als unzulässig".
Bei einer der entdeckten Strategien funktioniert die Abgasreinigungsanlage des Dieselfahrzeugs nur in einem bestimmten Außentemperaturbereich. Solche so genannten "Thermofenster" hat der Europäische Gerichtshof im vergangenen Jahr für unzulässig erklärt. Eine weitere Strategie sorge dafür, dass abhängig von bestimmten Fahrbedingungen unterschiedliche Mengen einer Harnstoff-Lösung in die Abgasreinigungsanlage eingespritzt werden.
Detaillierte bzw. hinreichende Gründe für die Zulässigkeit der Abschalteinrichtung […] wurden von Ihnen nicht übermittelt", stellt das KBA dazu fest. Kritisch sieht die Behörde zudem, dass eine dritte Strategie dafür sorgt, die Wirksamkeit des SCR-Katalysators von der Temperatur der Luft abhängig zu machen, die bei der Abgasreinigung angesaugt wird.
KBA droht mit Stilllegung von Fahrzeugen
Bis zum 27. Juli sollte der Automobilhersteller "geeignete Abhilfemaßnahmen" mitteilen. Andernfalls behalte sich das KBA vor, die örtlichen Zulassungsbehörden zu informieren, damit diese eine "Betriebsuntersagung" prüfen können - eine Stilllegung der Fahrzeuge also.
Nach Informationen von BR und "Spiegel" hat das Unternehmen mit Erfolg eine Verlängerung dieser Frist beantragt. In den nächsten Wochen muss Mercedes-Benz der Behörde das weitere Vorgehen erläutern. Das Bundesverkehrsministerium, dem das KBA untersteht, ist ebenfalls eingebunden.
Konzern: "Wir kooperieren vollumfänglich"
Ein Mercedes-Sprecher bestätigte den Vorgang auf Anfrage. "Zu den von Ihnen beschriebenen Funktionalitäten stehen wir seit längerer Zeit in einem Austausch mit dem KBA", teilte er mit. Das Anhörungsverfahren laufe noch, die finale Entscheidung der Behörde in der Sache bleibe abzuwarten. "Wir kooperieren vollumfänglich", so der Sprecher weiter.
Unklar ist noch, um wie viele Fahrzeuge es geht. Das KBA hat Mercedes-Benz in dem Schreiben aufgefordert, innerhalb einer bestimmten Frist "die Anzahl der produzierten Fahrzeuge […] zu benennen", in denen die aufgeführten Strategien zum Einsatz gekommen sind. Am Ende könnten mehrere tausend Fahrzeuge betroffen sein. Der Konzern wollte sich zu weiteren Details "in einem laufenden Verfahren" nicht äußern.
Mit dieser Begründung lehnte auch das KBA eine detaillierte Stellungnahme ab. Schriftlich teilte die Behörde lediglich mit: "Bei dem Vorgang gehe es um ein Modell, das sich bereits seit 2019 in einer freiwilligen Software-Update Maßnahme des Herstellers befindet."
Der Diesel-Skandal belastet das Verhältnis von KBA, Ministerium und Mercedes-Benz seit Jahren. Wiederholt hatte die Behörde wegen mutmaßlich unzulässiger Abschalteinrichtungen Rückrufe von Mercedes-Diesel-Modellen angeordnet. Der Konzern wehrt sich dagegen vor dem Verwaltungsgericht in Schleswig. Nach Unternehmensangaben befinde sich das Verfahren in einem frühen Stadium, "Verhandlungstermine sind uns noch nicht bekannt".
Umwelthilfe sieht sich durch KBA-Schreiben bestätigt
Die Deutsche Umwelthilfe (DUH) sieht sich durch die Einschätzung des KBA in seiner seit Jahren vertretenen Haltung bestätigt, dass es sich um illegale Manipulationen von Abgassoftware handelt. DUH-Chef Jürgen Resch fordert über diesen Fall hinaus vom Bundesverkehrsministerium, sämtliche Abgasmessungen und Dokumente zu "amtlich festgestellten Abschalteinrichtungen" zu veröffentlichen, damit "endlich den knapp zehn Millionen Besitzern von Betrugsdiesel-Fahrzeugen bei der Durchsetzung ihrer Rechte" geholfen werden könne.