Aufreger und wichtige Themen So lief der Wahlkampf in Thüringen
Bei der Thüringer Landtagswahl am Sonntag geht es um viel: AfD-Rechtsaußen Höcke könnte Wahlsieger werden, die CDU mit der Wagenknecht-Partei anbandeln. Welche Themen den Wahlkampf dominierten.
Kurz vor der Landtagswahl steigt in Thüringen die Spannung. Während die Grünen, FDP und SPD um ihre Existenz im Landtag bangen, liefern sich CDU und AfD einen Machtkampf. Kinderpornografie-Vorwürfe sorgen bei den Linken für innerparteiliche Spannungen, Ex-DDR-Bürgerrechtler werfen dem neu gegründeten Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) vor, einen "nationalen Sozialismus" zu wollen.
Und trotzdem schwebt über allem die Frage: Wie werden die als gesichert rechtsextrem geltende AfD und das neu gegründete BSW abschneiden?
Die Linke: Innerparteiliche Spannungen
Lange war Bodo Ramelow für die thüringische Linke das Ass im Ärmel. Der Ministerpräsident ist laut Umfragen der beliebteste Politiker im Freistaat. Das scheint aber nicht auf seine Partei abzufärben. Die anstehende Landtagswahl könnte das schlechteste Wahlergebnis seit mehr als 25 Jahren für die Partei bringen. Aber nicht nur die schlechten Zahlen machen der Partei zu schaffen.
Innerparteilich gab es zuletzt starke Spannungen. Anfang August wurden Vorwürfe gegen Markus Gleichmann laut. Der Linken-Landtagsabgeordnete wird verdächtigt, Kinderpornografie besessen zu haben. Laut Staatsanwaltschaft wurden seine Wohnung, sein Abgeordnetenbüro sowie zwei Linke-Wahlkreisbüros durchsucht und mögliche Beweismittel sichergestellt.
Bodo Ramelow sowie die beiden Parteivorsitzenden der Thüringer Linken, Ulrike Grosse-Röthig und Christian Schaft, forderten ihren Parteikollegen dazu auf, seine Ämter bis zur Klärung der Vorwürfe niederzulegen. Gleichmann kam dem nach. Zu den Vorwürfen schweigt er. Auch seine Anwältin äußerte sich auf Nachfragen von MDR THÜRINGEN nicht.
Das führt zu Unmut bei den Genossinnen und Genossen. Aus der Partei heißt es, Gleichmann sei moralisch dazu verpflichtet, Stellung zu beziehen. Andernfalls müsse er auf einen möglichen Sitz im Landtag verzichten und sich vollständig aus der Politik zurückziehen. Der Linken-Landtagsabgeordneten Kati Engel reichte das nicht aus. Sie kritisierte den Umgang ihrer Partei mit den Vorwürfen und verließ die Partei.
Grüne: "Existenzwahl" und Anzeige gegen Höcke
Vor der Landtagswahl sieht es für die Grünen in Thüringen nicht gut aus. Die Partei droht, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern und den Einzug in den Landtag zu verpassen. Ihre Spitzenkandidatin Madeleine Henfling gibt zu, in Thüringen hätten die Grünen schon immer einen "Existenzwahlkampf" geführt. Schon bei den letzten Landtagswahlen war es knapp für die Partei, gemeinsam mit der SPD und der Linken bildeten sie in den vergangenen fünf Jahren eine Minderheitsregierung.
In der zukünftigen Landesregierung werden die Grünen aller Voraussicht nach keine Rolle spielen. Trotzdem machte der grüne Minister für Umwelt, Energie und Naturschutz, Bernhard Stengele, Schlagzeilen, als er Anfang August als Privatperson Anzeige gegen die beiden AfD-Landessprecher Björn Höcke und Stefan Möller wegen des Verdachts der Volksverhetzung stellte.
Hintergrund waren Teile eines Liedes des nationalistischen Lyrikers Franz Langheinrich, das die AfD auf der ersten Seite ihres Wahlprogramms zitiert. Stengele bezeichnete das als "weitere Grenzüberschreitung" der AfD, die das Fundament der Demokratie in Deutschland gefährde. Mit seiner Anzeige wolle er "ein Stoppschild" setzen, so der Spitzenkandidat.
BSW: Ex-DDR-Bürgerrechtler warnen vor Koalition
Laut aktuellen Wahlumfragen hat das neu gegründete Bündnis Sahra Wagenknecht realistische Chancen, in Regierungsverantwortung zu kommen. Demnach kommt die Partei aktuell auf knapp 20 Prozent. Die Thüringer CDU etwa schließt eine Koalition nicht aus.
Doch nicht alle sehen dem positiv entgegen. So warnten ehemalige DDR-Bürgerrechtler vor einer Regierungsbeteiligung des BSW nach den Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. In einem offenen Brief, der auf der Plattform X veröffentlicht wurde, kritisierten sie die außenpolitischen Positionen der Partei, insbesondere zum Krieg in der Ukraine. Dabei appellierten die Autorinnen und Autoren an die "demokratischen Parteien" - insbesondere die CDU - keine Koalition mit der Wagenknecht-Partei einzugehen und sich klarer von dessen "nationalen Sozialismus" abzugrenzen.
Sahra Wagenknecht sieht in dem Brief den gezielten Versuch der Diskreditierung ihrer Partei. Und nicht nur der macht der Parteichefin zu schaffen. Drei Tage vor der Landtagswahl kam es bei einer Veranstaltung des BSW auf dem Domplatz in Erfurt zu einer Farbattacke gegen Wagenknecht.
AfD: Zwischen Warnung, Drohung und Kündigung
Die Thüringer AfD gilt als gesichert rechtsextrem. Den Umfragen zufolge wird die Partei mit knapp 30 Prozent stärkste Kraft in Thüringen. Das hat den Chef der Gedenkstätte Buchenwald Jens-Christian Wagner Mitte August dazu veranlasst, knapp 350.000 Haushalten in Thüringen einen Brief zu schreiben. Der Inhalt hat es in sich. Die AfD wolle: "das Leiden der Opfer des Nationalsozialismus auch in thüringischen Konzentrationslagern Buchenwald und Mittelbau-Dora tilgen".
Wagner verweist in seinem Schreiben auf Parteichef Björn Höcke, der in der jüngeren Vergangenheit versucht habe, die "nationalsozialistische Sprache wieder salonfähig zu machen". Davon lasse sich Höcke, so Wagner, auch von zwei Gerichtsurteilen nicht abhalten. Nach seinem offenen Brief an die Wähler des Landes erhält Wagner unter anderem Morddrohungen. Wagner erstattete Anzeige - die Polizei ermittelt.
Unterdessen entzieht Robert Sesselmann in Sonneberg, der einzige AfD-Landrat Deutschlands, dem Hauptamtlichen Beigeordneten Jürgen Köpper (CDU) die Verantwortung für die Ausländerbehörde. Köpper sei angeblich Schuld an einer unzureichenden Arbeit der Kreisverwaltung in diesem Bereich.
Auslöser war die Kritik von CDU-Landeschef Mario Voigt im MDR-Politik-Talk "Fakt ist!" gewesen, in der er Sesselmann vorwarf, wie eine "lahme Ente" beim Thema Arbeitspflicht für Asylbewerber zu agieren. Der Aussage Voigts pflichtete CDU-Generalsekretär Christian Herrgott bei, Landrat des Saale-Orla-Kreises. Der Vorwurf: Im AfD-geführten Landkreis Sonneberg seien weniger als zehn Asylbewerber zur Arbeit verpflichtet worden. Im CDU-geführten Saale-Orla-Kreis von Herrgott seien es dagegen 100 gewesen.
Zu einem brisanten Zwischenfall kam es zudem in Jena-Lobeda. Dort wurde eine Wahlkampfveranstaltung von Björn Höcke von Demonstranten blockiert. Die Folge: Höcke floh zu Fuß unter Personenschutz vor der Menge. Die Polizei setzte Pfefferspray und Schlagstöcke ein. Die Veranstaltung musste abgesagt werden. Der Vorfall ist auch deshalb heikel, weil mehrere Demonstranten, darunter Juso-Chef Philipp Türmer, behaupten, dass das Höcke-Auto Menschen angefahren habe.
Die linke Landtagsabgeordnete Katharina König-Preuss forderte nach dem Vorfall von Thüringens Innenminister Georg Maier (SPD) zu klären, "warum es zur Gewalteinwirkung von Polizeikräften auf eine Versammlung gegen rechts in Jena kam". AfD-Landessprecher Torben Braga sagte im MDR, dass der Polizei der nötige politische Rückhalt fehle, um die Rechte der größten Oppositionspartei in Thüringen zu schützen.
SPD: Tod von Abgeordneten überschattet Wahlkampf
Der Tod des Weimarer Landtagsabgeordneten Thomas Hartung führte Ende Juli zu großer Trauer bei der SPD. Der bildungs- und migrationspolitische Sprecher der SPD-Landesfraktion war von 2009 bis 2014 und erneut seit 2017 Mitglied des Landtags.
Thomas Hartung steht auf der Landesliste der Thüringer SPD für die Landtagswahl. Laut der Landespartei bleibt diese Liste unverändert, da sie bereits gewählt wurde. Hartung wird also nicht durch einen Ersatzkandidaten für das Direktmandat ersetzt. Nach der Wahl würde nun der nächste Kandidat oder die nächste Kandidatin auf der Liste seinen Platz im Landtag einnehmen, sofern er oder sie kein Direktmandat erzielt.
Glaubt man den Umfragen, schafft es die SPD bei den Wahlen mit rund sieben Prozent nur knapp in den Landtag. Für SPD-Chef und Innenminister Georg Maier hat das mehrere Gründe: Die Schwäche der Bundes-SPD, das sinkende Ansehen des Kanzlers, die anhaltende Rolle seines Landesverbands als Juniorpartner in Koalitionen - erst mit den Linken, davor mit der CDU. Vermutlich wird diese Rolle der SPD bei der kommenden Regierungsbildung erneut zuteil.
FDP: Kemmerich und die Altlasten
Es ist der 5. Februar 2020, an dem Thomas Kemmerich für bundesweites Aufsehen sorgt. An jenem Tag hat sich der FDP-Landesvorsitzende mit Stimmen der AfD zum Thüringer Ministerpräsidenten wählen lassen - ein Novum im bundesdeutschen Politikgeschehen. Sogar die damalige Bundeskanzlerin Angela Merkel schaltete sich ein und sprach von einem "unverzeihlichen Fehler". Die Folge: Die Bundes-FDP entzog Kemmerich die Unterstützung.
Fünf Jahre später wirkt das noch nach: Für den Wahlkampf in Thüringen muss Kemmerich auf private Spenden setzen, um fehlende Mittel der Bundespartei auszugleichen. Mit Erfolg: Mehr als 600.000 Euro habe man für den sehr kleinen Landesverband mit nur 1.300 Mitgliedern akquirieren können. Und auch sonst gibt sich Kemmerich kämpferisch. Im Wahlkampf setzt der gebürtige Aachener auf provokante Aussagen auf seinen Wahlplakaten. Bezogen auf seinen Rücktritt nach seiner Wahl zum Ministerpräsidenten heißt es dort: "Zurückgetreten, um Anlauf zu nehmen".
Anspielung auf 2020: Kemmerichs Plakate im Wahlkampf
Auch gegenüber den Chefs in Berlin zeigt er sich selbstbewusst. Eine Stimme für ihn sei "ein Votum gegen die Ampel". Diese kämpferische Ader scheint aber nichts an den schlechten Umfragewerten der FDP in Thüringen zu ändern. Aktuell liegt die Zustimmung bei rund drei Prozent.
Sollte Kemmerich wider Erwarten in den Landtag einziehen, könnte er in Berlin rehabilitiert werden. Gelingt ihm das nicht, könnte Kemmerichs Fauxpas von 2019 doch noch Folgen haben und ein verspätetes Ende seiner Politik-Karriere bei der FDP bedeuten.
CDU: Plagiats- und Lügen-Vorwurf zur Unzeit
Kaum neun Monate ist es her, dass die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft Erfurt gegen Thüringens CDU-Chef Mario Voigt eingestellt wurden. Nun droht erneut Ungemach. Diesmal wegen eines Plagiatsvorwurfs. Die TU Chemnitz hat rund zwei Wochen vor der Wahl routinemäßig ein "Verfahren bei Verdacht auf wissenschaftliches Fehlverhalten" in Gang gesetzt.
Der umstrittene österreichische Kommunikationswissenschaftler Stefan Weber hatte die Universität darüber informiert, dass in Voigts Arbeit 46 Plagiate zu finden seien. Die Untersuchung durch die Universität läuft.
Die Thüringer CDU weist die Vorwürfe zurück. Generalsekretär Christian Herrgott sagte dem MDR, der Plagiatsvorwurf sei bereits im Frühjahr von einem Experten geprüft und für nicht stichhaltig befunden worden. Voigt habe seine Promotion nach bestem Wissen und Gewissen erstellt.
Die CDU liegt in den Umfragen mit rund 23 Prozent der Stimmen als zweitstärkste Kraft hinter der AfD. Dieser Vize-Status veranlasste Voigt, einen energischen Wahlkampf gegen die starke AfD zu führen. Dazu greift er zu unkonventionellen Mitteln: In seinem Wahlwerbespot sagt ein Kind: "Höcke ist doof - richtig doof". Im MDR-Polit-Talk "Fakt ist!", knapp eine Woche vor der Wahl, kommt es dann zum Eklat. Björn Höcke bezichtigt Voigt der Lüge. Anlass war, dass Voigt eine Aussage von Höcke bei einer Wahlkampfveranstaltung in Sömmerda zitierte.
Der AfD-Chef habe dort die von mehr als 40 deutschen Familienunternehmen initiierte Kampagne "Made in Germany - Made by Vielfalt" als pure Heuchelei bezeichnet. Er behauptete, einzelne Firmen würden nicht, wie vorgegeben, in Deutschland produzieren. In einem Video, das auf der Veranstaltung aufgenommen wurde, sagte Höcke zudem: "Ich hoffe, dass diese Unternehmen in schwere, schwere wirtschaftliche Turbulenzen kommen."
Zuletzt schaltete sich auch die Thüringer Landesvorsitzende der Familienunternehmen, Colette Boos-John, ein und verurteilte Höckes Aussage scharf. Boos-John gehört dem sogenannten Kompetenzteam von CDU-Spitzenkandidat Mario Voigt an.
AfD im Fokus, BSW auf Regierungskurs
Besonders die als rechtsextrem eingestufte AfD und das neu gegründete Bündnis um Sahra Wagenknecht standen im Thüringer Wahlkampf im Fokus. Nicht zuletzt, weil die Wagenknecht-Partei aus dem Stand zweitstärkste Kraft werden könnte.
Die AfD hingegen wird am Sonntag wahrscheinlich als Wahlsieger hervorgehen. Andere Parteien waren bemüht, dem entgegenzuwirken. Vor allem der Wahlkampf der CDU war geprägt von Spitzen gegen die Höcke-Partei.
Bei gemeinsamen Fernseh-Auftritten oder in seinem Wahlwerbespot verpasste Spitzenkandidat Mario Voigt keine Gelegenheit, seinen Gegner Höcke zu entlarven. Während sich die SPD bereits mit einer Randrolle im nächsten Landtag abgefunden zu haben scheint, drohen FDP und Grüne, an der Fünf-Prozent-Hürde zu scheitern.
Die Linke setzt im Wahlkampf vor allem auf ihren Ministerpräsidenten Bodo Ramelow. Mit zweifelhaftem Erfolg. Die Linke, die 2019 noch als Wahlsieger mit 31 Prozent der Stimmen hervorgegangen ist, erreicht nach derzeitigen Prognosen nicht einmal die Hälfte des damaligen Wertes. Die aktuellen Wahlumfragen versprechen eine schwierige Regierungsbildung.
Sollten alle Parteien ihrer Prämisse treu bleiben, nicht mit der AfD zu koalieren, werden sie um eine Regierungsbildung mit dem BSW nicht herumkommen.