Südthüringen Ein Jahr AfD-Landrat in Sonneberg
Seit einem Jahr wird der Landkreis Sonneberg von AfD-Politiker Sesselmann regiert. Seitdem habe sich wenig verändert, sagen die Bewohner. Die AfD übernehme schleichend die Macht, befürchten Kritiker.
In Südthüringen liegt der Landkreis Sonneberg. Hier spricht man schon immer fränkisch, doch bis 1989 war man getrennt vom benachbarten Bayern. Sonneberg war Grenzgebiet.
Am einzigen Bratwurststand im Stadtzentrum sitzt eine Frau, die ruft, die Grenzen müssten zugemacht werden. Und sie will die D-Mark zurück.
Es ist ein sonniger Junitag im Jahr 2024. Seit einem Jahr wird der Landkreis von dem AfD-Politiker Robert Sesselmann regiert.
"Endlich", sagt die Frau. "Die da oben" würden jetzt aufgemischt werden. Nichts habe sich verändert, sagen andere Passanten, die über den Marktplatz bummeln. Die Stimmung hier sei gut, und für die Pleite der privaten Klinik könne Sesselmann auch nichts. Nein, sie haben keine Angst vor Rechtsextremismus. Keiner wolle, dass es wieder so wird wie "damals".
Ein Interview lehnt Sesselmann ab
Das gut besuchte Obst- und Gemüsegeschäft nahe des Marktplatzes wird von Syrern geführt. Seit sieben Jahren leben sie in Sonneberg und sie werden akzeptiert. Nein, kein Rassismus, keine Probleme, sagen sie. Nicht in Sonneberg.
Ein Afghane mit stark fränkischem Dialekt erzählt, dass er in Deutschland Maschinenbau studiert, eine Familie gegründet und im Landkreis Sonneberg ein Haus gebaut hat. Hier werde er akzeptiert, sagt er. Dort, wo man ihn nicht kennt, spüre er aber Ausländerfeindlichkeit: Im Krankenhaus in Suhl, da sei es kaum zum Aushalten gewesen, die Krankenschwestern hätten ihn ganz schlecht behandelt.
Ein Interview lehnt Sesselmann ab. Ungewöhnlich ist das schon, denn als oberster Repräsentant des Landkreises hat die Öffentlichkeit ein Recht auf Auskunft. Andere Medien wie der Spiegel haben gerichtlich die Beantwortung von Fragen erwirkt.
Plus von zehn Prozent bei Kommunalwahlen
Die erste Kreistagssitzung nach der Kommunalwahl: Landrat Sesselmann kann den Fragen nicht ausweichen. Er sei nicht rechtsextrem und die AfD auch nicht. Das sei eine Einzelmeinung des Verfassungsschutzes, gesteuert vom SPD-Innenministerium. Wie beliebt die AfD sei, sei an der gestiegenen Wahlbeteiligung und dem Zuspruch für seine Partei erkennbar.
Die verzeichnete ein Plus von zehn Prozent bei den Kommunalwahlen im Mai - fast 35 Prozent Stimmenanteil und damit stärkste Kraft in Südthüringen. Von den 40 Abgeordneten gehören nun 14 zur AfD. Sie geben sich schmallippig und abweisend. Die Kreistagssitzung beginnt, Bild- und Tonaufnahmen sind verboten. Das war schon immer so, sagen sie hier.
Neuer Politikstil
Neu ist nun der Politikstil, sagt der Kreistagsabgeordnete Christian Tanzmeier. Absprachen würden nicht mehr gelten.
Tanzmeier war Beisitzer des Landrats in der vergangenen Wahlperiode. Nun ist der CDU-Mann wieder angetreten, um den Parlamentsposten zu übernehmen. Dafür hat er die Tage zuvor mit all den Abgeordneten der anderen Parteien und Wählergemeinschaften gesprochen, nicht aber mit der AfD.
Eine Zusammenarbeit mit denen, die als gesichert rechtsextrem eingestuft werden, kommt für den Gymnasiallehrer nicht in Frage. Nach der Beigeordneten-Wahl ist Christian Tanzmeier geschockt: Der AfD-Kandidat hat ihn ausgestochen - mit den Stimmen derjenigen, die eigentlich erklärt hatten, es gebe keine Zusammenarbeit mit Rechtsextremisten. Die Abstimmung war geheim, nun wird spekuliert, wer mit wem hinter den Kulissen die AfD heimlich unterstützt.
Schleichende Machtübernahme?
Die Stimmung im Saal ist angespannt. Wie das Gezerre um Posten und Aufgaben weitergehen wird, das zeigt sich im August, wenn wieder Kreistagssitzung ist. Dann soll eine Ausländerbeauftragte oder ein Ausländerbeauftragter gewählt werden, auch das Jugendressort im Landkreis wird besetzt.
Schleichend übernehme die AfD die Macht, befürchten diejenigen, die vor Rechtsextremismus warnen. Am Marktplatz von Sonneberg spürt man von dieser Stimmung nichts. Im Gegenteil: Endlich schaue Deutschland mal auf ihre Stadt, auf ihren Landkreis.
Der AfD müsse man einfach mal eine Chance geben - dass es so werde wie damals bei den Nazis, daran glaube doch keiner und das wolle auch keiner, sagt Nicole. Oma Ilona und Tochter Emily stimmen zu. Sie bummeln weiter zum nächsten Eiscafé.