Nach AfD-Wahl in Sonneberg Landkreis mit Beziehungskrise
Rechtsextreme nicht salonfähig machen, aber gute Beziehungen erhalten: Mit der Landratswahl im thüringischen Sonneberg weiß der Partnerlandkreis Bitburg-Prüm nicht so recht umzugehen.
Christian Hemschemeier ist Paartherapeut und hat ganze Bücher über Partnerschaft geschrieben. "Wenn in einer Partnerschaft beide langfristig unterschiedliche politische Meinungen haben, dann kann das die Beziehung manchmal spannend halten", sagt er. "Wenn die eine Hälfte aber extremistische Ansichten verfolgt, dann fliegt die Beziehung in der Regel schnell auseinander." Demnach müssten die beiden Landkreise Sonneberg in Thüringen und Bitburg-Prüm in Rheinland-Pfalz sich schleunigst einen Termin beim Diplom-Psychologen geben lassen.
Denn beide unterhalten seit der Wende eine Partnerschaft, pflegen ihre Fernbeziehung mit gegenseitigen Besuchen von Vereinen oder der Jugendfeuerwehr. Doch seit bei der Sonneberger Landratswahl der AfD-Kandidat Robert Sesselmann den Sieg davongetragen hat, sieht sich die Kommunalpolitik in der Eifel mit einer Beziehungskrise konfrontiert.
Rechtsextreme nicht salonfähig machen
Für den Vorsitzenden der SPD-Kreistagsfraktion Bitburg-Prüm, Nico Steinbach, darf die Partnerschaft nicht wie bisher weiterbestehen: "Bilder zu produzieren mit einem Vertrauten von AfD-Landeschef Höcke, der bewusst die Grenzen des Verfassungsfeindlichen überreizt, der bewusst als Rechtsextremer auftritt, gemeinsam bei vertrauten Gesprächsterminen, bei vertrauten Abendessen, bei öffentlichkeitswirksamen Terminen: Das salonfähig zu machen, ist für mich unvorstellbar."
Joachim Streit von den Freien Wählern war 12 Jahre lang Landrat des Kreises Bitburg-Prüm und macht eine Rechnung auf: 15.000 Menschen wählten den AfD-Kandidaten, der Kreis Sonneberg habe aber 55.000 Einwohner. "Das heißt, dass 40.000 Menschen ihn nicht gewählt haben. Es ist also überhaupt gar keine Frage: Auf jeden Fall muss die Partnerschaft weiter bestehen, sonst würde man 40.000 Menschen vor den Kopf stoßen."
"Einen Weg finden, diese Partnerschaft zu leben"
Streits späterer und amtierender Nachfolger Andreas Kruppert, CDU, distanziert sich zwar von seinem neuen Amtskollegen, warnt aber nach langer Partnerschaft vor einer Kurzschlussreaktion. So erinnert er sich an die Hilfsbereitschaft aus Thüringen, als der rheinland-pfälzische Landkreis von der Flutkatastrophe im Sommer 2021 heimgesucht wurde: "Ich denke daran, dass die Sonneberger zu den Ersten gehörten, die nach der Flutkatastrophe gefragt haben, wie sie helfen können." Das sollte nicht von einem Tag auf den anderen in Vergessenheit geraten. "Und von daher wird sich ein Weg finden, diese Partnerschaft zu leben, ohne dass ein ganz enger Kontakt zum Landrat besteht."
Mehr Besonnenheit mit Sonneberg. Und den Fokus auf die menschliche Begegnung der Bürgerschaft statt die politische der Kommunalpolitik legen - vielleicht der Königsweg, wenn der eine von zweien rechts abbiegt? "In der Paartherapie geht es meist um gegenseitige Anerkenntnis der Unterschiede, aber auch das Betonen von Gemeinsamkeiten: Ich würde darauf achten, dass das Paar jede Woche sein Date hat", sagt Hemschemeier schmunzelnd. Paaren gebe er mit auf den Weg, in der Krise "schöne Sachen" zu machen, die sie verbinden.
Also: mehr Austausch zwischen dem Westen von Rheinland-Pfalz und dem Süden Thüringens - mit klarem Auftrag von Hemschemeier: "Das Trennende darf nicht immer wieder fokussiert werden, sonst erhält es immer mehr Gewicht. Wenn der Partner eine andere Meinung hat, muss das eine Beziehung aushalten. Das kann die Partnerschaft schließlich auch beleben."
"Der neue Landrat ist ein Feind der Verfassung"
Doch das Trennende ist ein gewaltiger Brocken: Der Landesverfassungsschutz Thüringen stuft den AfD-Landesverband als gesichert rechtsextrem ein und beobachtet ihn. Deswegen prüft das Landesverwaltungsamt Thüringen derzeit sogar, ob der neue AfD-Landrat "die Gewähr dafür bietet, dass er jederzeit für die freiheitliche demokratische Grundordnung im Sinne des Grundgesetzes und der Landesverfassung eintritt". Am 3. Juli hat der neue Landrat sein Amt bereits angetreten, das Ergebnis der Prüfung soll voraussichtlich eine Woche später veröffentlicht werden.
Damit kann die Landkreispartnerschaft weiterhin einem gewissermaßen toxischen Beziehungsaspekt nicht entrinnen: dem Bitburg-Prüm-Sonneberg-Dilemma. "Der neue Landrat ist ein Feind der Verfassung. In dem Moment, indem man mit einem solchen Landrat zusammenarbeitet und nicht auf maximale Distanz geht - und zu maximaler Distanz gehört natürlich die Suspendierung zumindest dieser Partnerschaft -, in dem Moment treibt man das Spiel der AfD mit: eine Normalisierung dieser verfassungsfeindlichen Partei", erklärt Markus Linden, Politikwissenschaftler an der Universität Trier, der sich seit Jahren mit Rechtsextremismus beschäftigt.
Bleibt die Beziehung "on", normalisiert also der eine Kreis den verfassungsfeindlichen Würdenträger des anderen; geht die Beziehung hingegen ins "Off", ermöglicht das die Opferrolle. "Sie ist eine Lieblingsrolle, die ganz viele Menschen in Partnerschaften eingehen. Denn wer Opfer ist, muss keine Verantwortung tragen", schildert Hemschemeier aus seiner Berufserfahrung. "Aber wir leben in selbstbestimmten Zeiten. In einer Verbindung zu bleiben und gleichzeitig zu sagen, 'Du machst alles falsch und ich bin das Opfer', ist für die Partnerschaft nur destruktiv."
Partnerschaft ist mehr als Politik
Und was erwarten diejenigen, die die Partnerschaft mit Leben erfüllen? Der Kreisjugendfeuerwehrwart Jörg Sondag beispielsweise verweist darauf, dass sein Verband nicht politisch aktiv sei. Es gebe so keine Berührungspunkte mit dem Landrat des Landkreises Sonneberg. "Wir haben eine Freundschaft mit den Kindern und Kameraden, nicht mit einem politischen Amt", sagt Sondag. "Wir als Verband und auch ich als Kreisjugendfeuerwehrwart und Vorsitzender des Kreisjugendfeuerwehr-Verbands des Eifelkreises werden auch weiterhin unsere Freundschaft mit den Kindern und Kameraden der Kreisjugend Sonneberg haben und pflegen."
Bei allen Parallelen zwischen menschlicher und kommunaler Partnerschaft: Natürlich hinkt der Vergleich von Lösungsansätzen der Beziehungskrisen - der verwaltungstechnische Akt und parteipolitische Erwägungen haben zu wenig mit den gefühlsgesteuerten Anwandlungen seiner üblichen Ratsuchenden zu tun. Dennoch, sagt Hemschemeier: "Vieles in der Paartherapie gilt, wenn man die sexuelle Ebene ausklammert, auch für Freundschaften und Gruppen. Der Mensch ist da erstaunlich eindimensional." Vielleicht verhilft diese Erkenntnis auch den Mitgliedern des Kreistags von Bitburg-Prüm. Am 17. Juli könnte die Problempartnerschaft auf der Tagesordnung stehen.