Wahlerfolg der AfD Ist die "Brandmauer gegen rechts" gescheitert?
Die AfD stellt im zweitkleinsten Landkreis Deutschlands zum ersten Mal einen Landrat. Doch lässt das Rückschlüsse auf die Bundespolitik zu? Und ist die "Brandmauer gegen rechts" noch ein funktionierendes Konzept?
Nach der Stichwahl in Sonneberg, bei der AfD-Kandidat Robert Sesselmann sich durchsetzen konnte gegen seinen Konkurrenten von der CDU, ist das politische Berlin aufgebracht. Eine Landratswahl interessiert hier normalerweise kaum jemanden. Doch zu dieser Wahl äußern sich alle - von der CDU bis zur Linkspartei. Die allgemeine Sorge: Die "Brandmauer gegen rechts" könnte fallen, ist schon gefallen oder wird bald fallen - je nachdem, wen man fragt.
Klar ist: Der AfD-Kandidat Sesselmann hat die Wahl zum Landrat gewonnen, indem er einen bundespolitischen Wahlkampf gemacht hat mit bundespolitischen Themen - also mit Inhalten, die ein Landrat letzten Endes gar nicht beeinflussen kann. Der Umkehrschluss: Es ist die Unzufriedenheit mit der Bundespolitik der Ampel, die dieses Ergebnis möglich gemacht hat, meint zum Beispiel CDU-Generalsekretär Mario Czaja.
Wenn Bundespolitik verunsichert
Er sieht die Hauptursachen für das Wahlergebnis bei der Bundesregierung, wenngleich er einräumt, dass so ein Wahlergebnis alle demokratischen Parteien nachdenklich machen müsse: "Wir haben alle die Verantwortung dafür, die Menschen zurückzugewinnen, die nicht zum harten, rechtsextremen Kern der AfD gehören. Es gibt ja auch Wählerinnen und Wähler, die aus Protest zur AfD gegangen sind."
Auch der Co-Vorsitzende der Linken, Martin Schirdewan, findet, dass die Ampel die Menschen immer stärker verunsichert. Es fänden gewaltige Umbrüche im Land statt, einerseits durch die Digitalisierung, andererseits durch die notwendigen Erfordernisse des Klimaschutzes. Deswegen suchten die Menschen nach Verlässlichkeit: "Die politischen Antworten der Bundesregierung sind einfach nicht ausreichend, das spüren die Menschen."
Die Ampel reagiert selbstkritisch
Der Tag nach der Sonneberg-Wahl ist geprägt von gegenseitigen Schuldzuweisungen, aber auch selbstkritische Töne sind zu hören. Das Wahlergebnis in Thüringen müsse Demokratinnen und Demokraten große Sorgen bereiten, sagte die SPD-Bundesvorsitzende Saskia Esken. Der Erfolg der AfD sei aber auch ein Zeichen in Richtung der Ampelkoalition. Sie habe "ihre Politik in letzter Zeit zu wenig erklärt, nicht gut organisiert, zum Beispiel beim Heizungsgesetz."
Die Verwirrung und Frustration um dieses Thema hatte Sesselmann im Wahlkampf für sich genutzt und ausschließlich auf bundes- und weltpolitische Themen gesetzt. Das kam in Sonneberg offenbar gut an.
Auch die Co-Vorsitzende der Grünen, Ricarda Lang, findet den Ausgang der Landratswahl in Sonneberg beunruhigend und zieht Lehren für die Ampelregierung in Berlin. Die Ampel müsse lebensnahe Lösungen bieten, die Regierung müsse geschlossen auftreten und gerade bei wirtschaftlichen und sozialen Fragen mehr Sicherheit bieten.
Alle gegen die AfD - was hilft's?
Der zukünftige AfD-Landrat in Sonneberg beschäftigt auch deswegen so viele Bundepolitiker, weil die Front gegen die AfD in Sonneberg vor der Stichwahl durchaus breit war. Trotzdem hat die Unterstützung von Linken, SPD, Grünen und FDP für den CDU-Gegenkandidaten Jürgen Köpper nicht ausgereicht, um die AfD zu verhindern.
Das habe auch mit dem CDU-Chef Friedrich Merz zu tun, meint Saskia Esken: "Nur die AfD profitiert, wenn Friedrich Merz übers Gendern poltert, auf kleine Paschas schimpft und Claudia Pechstein lobt, weil sie Angst vor Zuwanderung schürt."
Esken sprach sich für eine konstruktive Oppositionspolitik aus, zu der die Union zurückkehren sollte. Auch Lang von den Grünen sieht in der AfD eine bleibende Gefahr für die Demokratie. Man müsse einer Normalisierung der Partei entschieden entgegentreten, auch weil die Zeit der bürgerlichen Kräfte in der AfD lange vorbei sei.
Seit zehn Jahren steht die AfD nun in Deutschland auf der politischen Bühne, nach zehn Jahren hat die Bundespolitik immer noch keinen Weg gefunden, der AfD das Wasser abzugraben. Im Gegenteil: Die Partei hatte schon lange nicht mehr so gute Umfragewerte wie derzeit, sie erreicht aktuell bis zu 20 Prozent, im Osten teilweise um die 30 Prozent.
Das bisherige Konzept der Brandmauer darf man also als gescheitert ansehen: Sich gemeinsam der AfD entgegenzustellen, ihr keinen Zentimeter Raum zu geben - das klingt im ersten Moment nach einer guten Idee. Aber sie funktioniert nur, wenn dann auch niemand Duktus, Sprachart und politische Forderungen der AfD übernimmt.
Schirdewan: Nicht von den Rechten treiben lassen
Das wirft Linken-Politiker Schirdewan den Politikern von Union und FDP vor. Sie seien es, die die Brandmauer eingerissen hätten, weil sie in Fragen des Klimaschutzes, der Migration oder der Gleichberechtigung in dasselbe politische Horn stoßen würden wie die AfD. Für Schirdewan ist die Brandmauer deswegen nur noch ein theoretisches Konzept, das in der politischen Praxis gar nicht mehr existiert. Um das zu ändern, müsse man "einen gesellschaftlichen Gegenpol definieren gegen den Kulturkampf von rechts. Dazu darf man sich aber nicht von den Rechten treiben lassen und dazu noch deren Jargon übernehmen."
Die Realität des Jahres 2023 scheint Schirdewans Analyse Recht zu geben: Hätte die Taktik der Brandmauer funktioniert, dann könnte die AfD heute nicht solche Erfolge bei der Wählerschaft feiern. Die Bundespolitik muss sich also der Frage stellen, wie sie weiter mit der AfD umgeht, wenn die Brandmauer nicht funktioniert.
Mehr Politik fürs Dorf - statt für die Brandmauer
Neben der Sorge um die Brandmauer fällt im Berliner Politikbetrieb am Tag nach der Landratswahl eine weitere Gemeinsamkeit auf bei den Äußerungen der Parteien: Die Politik müsse wieder mehr raus aufs Land.
Schirdewan sieht einen effektiven Schritt gegen den Erfolg der AfD darin, wieder mehr Politik ins Dorf zu bringen. Er selbst war gerade eine Woche in kleinen und mittleren Städten in Thüringen bei sogenannten Nachbarschafsfesten der Linkspartei unterwegs und empfindet das Feedback als sehr gut: "Ich bin mir ziemlich sicher, dass ich da mit Leuten geredet habe, die seit langer, langer Zeit gar keinen Kontakt zur Politik hatten."
Lang will Unterschiede zwischen Stadt und Land beseitigen
Auch Grünen-Chefin Lang sieht große Unterschiede zwischen Stadt und Dorf. Um sie zu beseitigen, brauche es staatliche Investitionen, damit überall in Deutschland gleichwertige Lebensverhältnisse entstehen und alle Regionen am wirtschaftlichen Wachstumspotenzial beteiligt werden können, so Lang.
Nur müsste das schnell gehen. Nächstes Jahr stehen Landtags- und Kommunalwahlen an in Thüringen, Sachsen und Brandenburg sowie Kommunalwahlen in Sachsen-Anhalt und Mecklenburg-Vorpommern. In all diesen Bundesländern ist die AfD oft schon fest verankert im Dorf.