AfD in Ostdeutschland Auf dem Weg zur Volkspartei?
Die AfD ist vielerorts in Ostdeutschland die stärkste Partei. Ihre Strategie führt über lokale Bündnisse, innere Geschlossenheit und die Normalisierung von Rechtsextremismus - wie etwa in Brandenburg.
Der Vorsitzende des Cottbuser AfD-Kreisverbandes ist mit seinen 27 Jahren bereits ein Parteiveteran. Seitdem die AfD in Brandenburg erstmals in die Parlamente eingezogen ist, seit den Kommunal- und Landtagswahlen vor zehn Jahren, ist Jean-Pascal Hohm dabei. Die langfristige Strategie der AfD auf dem Weg zur Volkspartei hat er von Beginn an mit umgesetzt. Im Süden Brandenburgs ist sie nachvollziehbar. Bei der Kommunalwahl in Cottbus hat Hohm seine Partei nun als stärkste Fraktion ins Stadtparlament geführt - mit 29,2 Prozent.
Wahrscheinlich wird er im September auch in den Landtag einziehen. Sein Listenplatz 9 gilt als sicher, zudem hat die AfD bei der Landtagswahl vor fünf Jahren der lange dominierenden SPD hier ihren Wahlkreis abgenommen.
Über Jahrzehnte dominierte in Brandenburg das sozialdemokratische Rot. Seit den Kommunalwahlen am vergangenen Sonntag färbt sich das Land um Berlin in AfD-blau. Bei der Landtagswahl im September ist es möglich, dass sich der Farbwechsel endgültig vollzieht, auch auf Landesebene.
Vernetzt mit lokalen Protestinitiativen
Das Erfolgsrezept der AfD: Die Partei nimmt überall im Land den lokalen Protest und Unmut der Bürgerinnen und Bürger auf. Daraus entwickeln sich später Bündnispartner, wie Hohm erklärt: "Egal, ob es ums Thema Windkraft geht, egal, ob es ums Thema Asylbewerberheime geht. Wir müssen uns mit den Leuten vernetzen, die vor Ort dagegen Widerstand leisten."
So war es zuletzt in Lübben, der Kreisstadt des Landkreises Dahme-Spreewald. Als im vergangenen Jahr die Pläne zum Bau einer Flüchtlingsunterkunft bekannt wurden, gründete sich die Bürgerinitiative "Unser Lübben" mit dem Ziel, die Unterkunft zu verhindern.
Der AfD-Fraktionsvorsitzende im Landtag und aktuelle Spitzenkandidat zur Landtagswahl, Hans-Christoph Berndt, stand der Initiative von Beginn an zur Seite. Er kommt selbst aus einer Bürgerinitiative, die sich aus Protest gegen eine Flüchtlingsunterkunft gegründet hatte: "Zukunft Heimat". Vernetzt mit Pegida in Dresden und der gesamten neu rechten Bewegung in Ostdeutschland.
Landtagsfraktion zwischen Parlament und Straße
Berndt hat die Landtagsfraktion im Laufe der Legislatur zu einem "Bewegungsapparat" ausgebaut, in dem Kampagnen zwischen Parlament und Straße entwickelt wurden. In den Mitarbeiterbüros beschäftigt die AfD dort zahlreiche Rechtsextremisten mit Mobilisierungspotenzial und Kampagnenerfahrungen aus unterschiedlichen Initiativen.
Berndt selbst wird im Wahlkampf von einem Mitarbeiter begleitet, der aus der rechtsextremen "Identitären Bewegung" kommt. Laufend produziert er Videos des AfD-Spitzenkandidaten für die sozialen Medien. Mal zeigen sie den Bewegungsaktivisten Berndt, mal den AfD-Funktionär. Noch dazu haben er und der neue Landesvorsitzende, der Bundestagsabgeordnete René Springer, den über lange Zeit zerstrittenen Landesverband zu Beginn des Wahljahres geeint.
Der Brandenburger AfD-Fraktionsvorsitzende Hans-Christoph Berndt wird im Wahlkampf von einem Mitarbeiter begleitet, der aus der rechtsextremen "Identitären Bewegung" kommt.
Bei den Protesten gegen die Flüchtlingsunterkunft in Lübben trat Berndt als energischer Redner auf, mit ihm auch andere Funktionäre der AfD. Ihr Kandidat zur Landratswahl im vergangenen November, der Bundestagsabgeordnete Steffen Kotré, versprach vor der Baustelle in einem TikTok-Video: "Ich als Landrat werde das verhindern." Zwar kam er nicht ins Amt und die Unterkunft wird errichtet, aber bei der Wahl in Lübben erzielte er 41,3 Prozent. Darauf konnte die AfD weiter aufbauen.
Freie Wahllisten statt Brandmauer
Bei der Kreistagswahl am vergangenen Sonntag wurde sie mit 25,6 Prozent dort erstmals stärkste Kraft. "Unser Lübben" trat mit eigener Wahlliste zur Stadtverordnetenversammlung an, neben den Partnern der AfD. Gemeinsam kommen sie auf über 30 Prozent.
In Lübben wie an anderen Orten verwebt sich die AfD lokal mit einzelnen Wahllisten. In der Medienöffentlichkeit wird die Debatte über eine vermeintliche Brandmauer zur AfD geführt, obwohl sie nur bei einzelnen Parteien überhaupt möglich ist. Gerade der Einfluss der größeren Parteien wird mit jeder Wahl geringer, zugunsten freier Bündnisse und der AfD selbst.
In Cottbus etwa ist eine "Mittelstandsinitiative Brandenburg" neu im Stadtparlament. Ein Unternehmerzusammenschluss, der in der Lausitz im Stile der AfD Stimmung gegen die Ampelkoalition macht und einige Themen mit ihr teilt: das Ende der Russland-Sanktionen, den Stopp von Waffenlieferungen in die Ukraine. Gemeinsam mit der AfD und Bauern hatten die Unternehmer im Januar den Verkehr um die Stadt stillgelegt. Der Cottbuser AfD-Chef Hohm sieht darin "einen Türöffner für politische Veränderungen", der auch seiner Partei Zulauf gibt.
Bei den landesweiten Bauernprotesten war die AfD von Beginn an präsent, auch mit Spitzenkandidat Hans-Christoph Berndt. Silke Müller, Landwirtin und wie er aus der Kleinstadt Golßen im Spreewald, ist im Bauernverband Südbrandenburg aktiv. Sie erinnert sich, wie Berndt und andere AfD-Mitglieder ihre Leute auf den Demonstrationen mit Essen und Getränken versorgt haben: "Dann ging es plötzlich nicht mehr um Agrardiesel oder die Steuer, es ging plötzlich um Ausländer und um Themen, die mit diesem Fachthema Landwirtschaft nichts zu tun hatten."
Jeder kennt irgendeinen AfDler
Hans-Christoph Berndt bringt seine Strategie auf den Punkt: "Mein Verständnis der AfD ist, dass die AfD die vielen Unzufriedenen aufsammelt. Denn ich verstehe sie als eine Art institutionalisierte Bürgerbewegung." Darüber will er stärkste politische Kraft in Brandenburg werden. Dazu gehört auch das ehrenamtliche Engagement und die Präsenz vor Ort.
"Wir sind in Bürgervereinen aktiv. Wir sind mit unseren Mitgliedern bei der Freiwilligen Feuerwehr", sagt Jean-Pascal Hohm. "Wir sind überall, wo Menschen sich treffen. Uns macht hier im Osten besonders stark, dass wir in der Breite mittlerweile in der Bürgerschaft verankert sind. Und dass jeder irgendeinen AfDler kennt."
Die Reportage "AfD - Plötzlich Volkspartei" sehen Sie in der ARD-Mediathek.