Ricarda Lang und Omid Nouripour in Karlsruhe vor Beginn des Parteitags der Bündnis 90/Die Grünen
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Grüne vor den Landtagswahlen Zwischen Resignation und Hoffnung

Stand: 28.08.2024 14:42 Uhr

Die Landtagswahlen in Sachsen, Thüringen und Brandenburg könnten Umfragen zufolge für die Grünen zur Niederlage werden. Wie die Partei auf die Wahlen blickt und warum sie dennoch Hoffnung hat.

Eine Analyse von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Nur ein paar grüne Scheinwerfer beleuchten spärlich die Bühne. Podiumsdiskussion im Jenaer Volksbad, es soll einer der Wahlkampfhöhepunkte der Thüringer Grünen werden. Gleich wird Landwirtschaftsminister Cem Özdemir erwartet. Aber vorher sitzen alle im Dunkeln und hören fröhliche Blasmusik: "Mein kleiner grüner Kaktus" tönt durch den Saal der ehemaligen Badeanstalt.

Das ist im Moment das Selbstverständnis der Grünen im Osten: Man ist klein, aber man sticht. Es passt zum veränderten Auftreten der Partei insgesamt: wehrhaft sein, mehr Angriffe fahren, nicht nur Selbstverteidigung - und sich somit stärker absetzen von der Ampel, die die Parteispitze ohnehin zuletzt als "Übergangsregierung" bezeichnete.

An diesem Abend Ende August piekst Özdemir vor allem die Koalitionspartner in Berlin. Unternehmen bräuchten Verlässlichkeit, sagt Özdemir. "Man muss selbstkritisch einräumen, da gibt es leider ein bisschen viel Zick Zack." Aber daran seien ja andere Schuld: "Wir haben einen Koalitionspartner in Berlin - ich sage jetzt nicht, welcher - der das anders sieht mit dem Klimaschutz. Das bremst." 

Selbstkritik beim Thema Ukraine

"Im Wahlkampf vor Ort spielen hauptsächlich Bundesthemen eine Rolle", sagt Kassem Taher Saleh, grüner Bundestagsabgeordneter aus Sachsen, der derzeit durch alle Wahlkreise tourt. "Migration oder Friedenspolitik - das sind oft die ersten Fragen." Landesthemen wie der Lehrermangel oder die Gesundheitsversorgung würden nur zur Sprache kommen, wenn etwas mehr Zeit bleibe, ist seine Erfahrung. 

Er merkt, wo grüne Bundespolitik und Ampelkoalition Leerstellen gelassen haben. "Zur Ehrlichkeit gehört: Wir haben Kommunikationsfehler gemacht in Bezug auf den Ukraine-Krieg", sagt Taher Saleh. "Wir haben über Panzertypen oder Munitionslieferungen gesprochen und nicht über die Perspektive des Friedens." Da hätten andere Parteien "voll reingehauen".

Er versuche zu erklären, dass der grüne Kurs genau dazu diene, "Sicherheit in Deutschland und am Ende auch in Sachsen zu schützen". Aber das bleibe schwer: "Aus diesem Karussell kommen wieder leider wenig raus vor Ort." Man habe zu wenig gesehen, dass die "Menschen aus der DDR eine andere Bindung zu Russland haben", sagt Taher Saleh. "Es wird gefragt: Wie können wir es uns trauen, uns gegen die große Militärmacht Russland zu stellen?"

Dämpfer für alle Ampelpartner

Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass mit den anstehenden Ostwahlen alle drei Ampelpartner gewaltig ausgebremst werden. Für die Grünen ist der Osten traditionell ein schwieriges Pflaster. Und doch ist die Lage in Thüringen und Sachsen sehr unterschiedlich.

In Thüringen liegen die Grünen laut ARD-Umfragen von infratest dimap nur noch bei drei Prozent. Eine erneute Regierungsbeteiligung scheint in weiter Ferne. Das könnte selbst Anhänger auf den letzten Metern dazu bringen, ihre Stimme nicht "verschenken" zu wollen an eine Partei, die dann an der Fünf-Prozent-Hürde scheitert - womöglich schwenken diese Wähler noch auf SPD oder Linkspartei um.

Wer sich bei den Grünen umhört, spürt, dass man sich mit dem Scheitern in Thüringen fast schon abgefunden hat: In Thüringen sei man ja auch in der Vergangenheit nicht immer im Parlament vertreten gewesen, heißt es. Der Landesverband gilt ohnehin als einer der schwächsten, teils zerstritten. Zwei grüne Minister mussten in dieser Legislatur ersetzt werden.

Hoffnung in Sachsen

In Sachsen dagegen rechnen die Grünen fest mit einem Wiedereinzug in den Landtag. Sachsen ist städtischer und studentischer geprägt, da hat die Partei ihre Hochburgen: "Es wird keine Wackelpartie", ist Kassem Taher Saleh sicher. Aber er sagt auch: "Alles über sieben Prozent wäre ein sehr großer Erfolg." Im Moment steht die Partei laut Umfragen bei sechs Prozent.

Die Zuversicht speist sich auch aus dem sächsischen Landeswahlgesetz: Zwei Direktmandate reichen, um ins Parlament einzuziehen. "Wir haben sehr aussichtsreiche Wahlkreise in Leipzig und Dresden", sagt Taher Saleh. Bei der Landtagswahl 2019 holten die Grünen drei Direktmandate - allerdings war das in einer Zeit, in der die Partei generell Rekordergebnisse einfuhr.

In diesem Jahr sind die Wahlkämpfe viel stärker von einer Anti-Grünen-Stimmung geprägt, immer wieder gab es Angriffe auf Wahlkämpfer. Trotz dieser schwierigeren Lage habe man bei den Kommunalwahlen im Frühsommer 2024 "sehr starke Wahlkreise" in den Städten gehabt, so Taher Saleh.

Sein Gefühl ist: "Der Hass hat abgenommen seit den Europa- und Kommunalwahlen." Das habe aber auch mit einer stärkeren Polizeipräsenz zu tun. "Die Polizisten sind jetzt viel besser informiert, wann und wo Wahlkampfstände stehen", berichtet Taher Saleh. "Die Beamten kommen auch mal zum Stand und fragen, ob alles okay ist."

Können die Grünen in Sachsen weiterregieren?

Die sächsischen Grünen setzen voll darauf, dass es wieder für Kenia-Bündnis aus Union, SPD und Grünen reicht. Das dürfte auch die einzige Konstellation sein, in der die Grünen weiter mitregieren: Die Landesspitze positioniert sich seit Monaten gegen eine Zusammenarbeit mit dem Bündnis Sahra Wagenknecht. Das BSW bestünde aus "Putin-Freunden und Fortschrittsfeinden", heißt es von den Landesvorsitzenden. Entscheidende Positionsunterschiede gebe es auch in der Energie- und Wirtschaftspolitik.

Sachsens Ministerpräsident Michael Kretschmer wagt derweil keine klare Absage an das BSW und teilt weiter gegen die Grünen aus: "Keine Partei versteht den Osten so wenig wie die Grünen", sagte er diese Woche in einem Interview.

Für Kassem Taher Saleh längst kein Koalitionshindernis: "Es gibt auch andere Signale aus der Union, auch wenn diejenigen sich nicht trauen, sich öffentlich gegen ihren Ministerpräsidenten zu positionieren." Die Grünen, auch das könnte ein Signal aus diesen Wahlen sein, lassen sich monatelang beschimpfen - und stehen dann doch für Bündnisse bereit.

Nach dem Verlust der Regierungsbeteiligungen in Berlin und Hessen 2023 sowie dem wahrscheinlichen Aus in Thüringen will man nicht auch noch in Dresden rausfliegen. Denn das nächste Koalitionsaus droht nur Wochen später: Auch im Brandenburger Wahlkampf gibt es starke Anti-Grünen-Signale von SPD und CDU.