Annalena Baerbock geht eine Gangway hinauf.
Player: audioBaerbock verteidigt Nominierung für UN
analyse

Noch-Außenministerin Warum sorgt Baerbocks Wechsel zur UN für Aufruhr?

Stand: 21.03.2025 15:16 Uhr

Seit bekannt wurde, dass Außenministerin Baerbock Präsidentin der UN-Generalversammlung werden soll, erhält sie viel Kritik. Manches davon mag stimmen - aber es verrät auch viel über den Blick auf Frauen in Machtpositionen.

Eine Analyse von Tina Handel, ARD-Hauptstadtstudio

Manche nennen es das "Zentrum der Welt": das UN-Hochhaus am Ufer des East River in New York. Der holzgetäfelte Kuppelsaal ist bekannt aus den internationalen Nachrichten. Über allem prangt als Emblem der Vereinten Nationen die Weltkarte, umrankt von Olivenzweigen. Hierhin zieht es also Noch-Außenministerin Annalena Baerbock.

Die Grünen-Politikerin hat sich selbst einen internationalen Topjob verschafft, so muss man es nennen. Nicht auf die feine Art, sondern höchst machtbewusst - und kurz bevor die Macht weg ist. Seitdem schwappen Wellen des Aufruhrs und laute Lästereien durch die sonst so verschwiegene Welt der Diplomatie.

Denn der Job war eigentlich schon vergeben. Die erfahrene Karrierediplomatin Helga Schmid sollte neue Vorsitzende der UN-Generalversammlung werden. Es wäre der glanzvolle Abschluss einer langen Laufbahn gewesen. Zuletzt war Schmid Generalsekretärin der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) - und wurde auch in dieser Rolle von Baerbock immer wieder gelobt: Schmid habe wesentlichen Anteil, dass die OSZE in den vergangenen Jahren, trotz der Blockadehaltung Russlands, weiterarbeiten konnte.

Keine geschickte Kommunikation

Schmid hat sich, so schildern es Vertraute, die vergangenen Monate intensiv auf ihre Rolle als Präsidentin der UN-Generalversammlung vorbereitet. Dass nun das rot-grüne Kabinett den Job neu vergibt, verteidigte Baerbock zuletzt: "Analog zu vielen Vorgängern, die ehemals Außenminister oder Premierminister waren", nehme nun eben sie diese Aufgabe war. Das klingt, als hätte mit Helga Schmid eine Besetzung unter Niveau gedroht - auch das keine geschickte Kommunikation.

Baerbock verhält sich aber auch ihrer eigenen Partei gegenüber irritierend: Noch Anfang März hatte sie in einem persönlichen Brief an ihre Bundestagsfraktion begründet, warum sie nicht Fraktionsvorsitzende werden wolle: Sie habe in den vergangenen "Jahren auf Highspeed" als Außenministerin einen "privaten Preis" gezahlt - und wolle nun "einen Schritt aus dem Scheinwerferlicht" machen.

Sie deutet also an, kürzer zu treten - um dann in New York durchzustarten. So mancher im Bundestag sagt dazu hinter vorgehaltener Hand, dass Baerbock ohnehin selbst im Fraktionssaal zuletzt sehr oft als Außenministerin aufgetreten sei. Vielleicht haben beide Seiten verstanden, dass nach so einem Amt die Integration in eine Oppositionstruppe im Bundestag schwerfällt.

Blick auf Frauen in Machtpositionen

Hinzu kommen Fragen der Kollegialität: Erst im Sommer, wenn Baerbock die neue Position sicher hat, wird sie das Bundestagsmandat niederlegen. Dann wird die Brandenburger Grünen-Vorsitzende Andrea Lübcke in den Bundestag nachrücken. Auch sie hat erst am Dienstag, zeitgleich mit der Presse, durch einen Anruf von der Rochade erfahren, so schildert sie es auf Anfrage des ARD-Hauptstadtstudios.

"Meinen alten Job hatte ich erst Stunden zuvor gekündigt, denn ich bin erst am Samstag als Landesvorsitzende gewählt worden", sagt Lübcke, die Physikerin und Beraterin ist. Die Vorbereitungen würden bereits laufen, damit sie in einigen Monaten "möglichst reibungsarm mit der Arbeit als MdB starten" könne. Und doch bleibt: Der künftigen Abgeordneten wird durch das Manöver wichtige Startzeit im neuen Bundestag genommen.

Trotz aller Irritationen und Stilfragen ist die Debatte um Baerbock auch eine, die viel über den Blick auf Frauen in Machtpositionen verrät. Als Chefdiplomatin die Untergebene ausstechen - gibt es das unter Männern etwa nicht? Gesteht man diesen Schachzug einer Frau nicht zu? Ist es bei ihr besonders erklärungsbedürftig, wie sie nun die Kinder betreut?

Baerbock hat immer wieder angedeutet, dass es für ihre Familie schwer sei, mit Fake News und Hetze umzugehen, deren Ziel sie im Internet ist. Der Schritt nach New York ist nun zumindest einer aus der deutschen Öffentlichkeit heraus. Schließlich könnte kaum jemand in einer Straßenumfrage irgendeinen der bisher mehr als 80 Vorsitzenden der UN-Versammlung nennen.

Sie gilt als erfahren und zugewandt

Ein Teil der massiven Ablehnung Baerbocks kommt nun, fast schon erwartbar, aus Russland. Stimmung gegen sie wird massiv auf Social Media gemacht. Sie sei ungeeignet, heißt es. Ein vorgeschobenes Argument: Baerbock dürfe den Vorsitz nicht übernehmen, da ihr Großvater bei der Wehrmacht war. In Wirklichkeit dürfte die Sorge sein, dass Baerbock die Generalversammlung nutzt, um im Ukraine-Krieg Stellung zu beziehen und sich intensiv für eine regelbasierte Weltordnung einzusetzen.

Erste Glückwünsche zur angestrebten Präsidentschaft kommen dagegen von demokratischen Verbündeten wie Kanada. Unter Außenminister-Kollegen - auf die Baerbock dann in den Vereinten Nationen treffen wird - gilt sie als erfahren und zugewandt. Nach dreieinhalb Amtsjahren ist sie eine der dienstältesten Diplomatinnen in diesem Kreis, da viele andere Staaten noch mehr Wechsel in ihren Kabinetten erleben.

Viel Gelegenheit für politisches Agieren bringt die neue Rolle allerdings nicht: Eine große Eröffnungsrede im Kuppelsaal dürfte Baerbock, wenn sie gewählt wird, im September 2025 vor der Weltöffentlichkeit halten. Danach ist der Job der Präsidentin eher zeremoniell. Sie kann vermitteln und reagieren, etwa wenn Delegationen aus Protest den Saal verlassen, Diktatoren ihre Redezeit überziehen - oder wenn, wie es die Legende will, ein wütender Sowjetführer mit seinem Schuh auf den Tisch haut.

Noch etwas ist auffällig: Baerbock bemerkt zwar zurecht, dass viele Staaten in den vergangenen Jahren ihre ehemaligen Außenminister nach New York schickten. Aber die Präsidentschaft dort war meist das Ende einer Laufbahn. Manche kehrten für die ehrenvolle Aufgabe gar aus dem Ruhestand zurück. Der aktuelle Vorsitzende, der Kameruner Philémon Yang, ist 77 Jahre alt.

Gelten für Männer und Frauen die gleichen Maßstäbe?

Was will Baerbock also mit dieser Position, die zudem auf ein Jahr befristet ist? Es wirkt wie der Einstieg in den Ausstieg. Baerbock bleibt ihrem Feld, der Außenpolitik, treu - und setzt sich doch aus der aufgeheizten Parteipolitik ab. Womöglich hofft sie auf eine Karriere in internationalen Organisationen.

Noch etwas ist in all der Aufregung völlig unter dem Radar durchgeflogen - und das ist im Vergleich doch bemerkenswert: Ein weiterer deutscher Politiker greift nach einem internationalen Spitzenjob. Der SPD-Politiker und ehemalige Staatsekretär Niels Annen soll 2026 an die Spitze des UN-Hochkommissariats für Flüchtlinge (UNHCR) wechseln, dort die humanitäre Hilfe koordinieren und nebenbei Hollywood-Schauspieler als Sonderbotschafter einsetzen. Dienstsitz Genf, meist ein Job für viele Jahre.

Auch an Annen gab es in seiner Zeit in der deutschen Politik immer wieder Kritik, etwa an seiner Haltung zum Iran. Seine Beförderung zum UNHCR verläuft aber vergleichsweise still, seine Qualifikation wird nicht hinterfragt.

Die Wege werden sich kreuzen: Der Flüchtlingskommissar wird von der UN-Generalversammlung gewählt. Niels Annen dürfte dort auf Annalena Baerbock treffen - und beide könnten zurückblicken auf ihren Weg in internationale Spitzenjobs und die Frage: Gelten für Männer und Frauen wirklich die gleichen Maßstäbe?

Mehr zu diesem Thema hören Sie auch im Podcast Berlin Code.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk am 20. März 2025 um 17:51 Uhr.