ARD-Sommerinterview Nouripour sieht Ampel als "Übergangsregierung"
"Der Streit überlagert alles": Grünen-Chef Omid Nouripour betrachtet die Ampelkoalition als politische Übergangslösung nach der Ära Merkel. Im ARD-Sommerinterview sprach er über fehlendes Vertrauen, Ukraine-Hilfen und einen grünen Kanzlerkandidaten.
Grünen-Chef Omid Nouripour glaubt nicht mehr daran, dass sich am zerstrittenen Bild der Ampelkoalition noch etwas ändern wird. Er erlebe eine "befremdliche Lust an diesem Streit", sagte er im ARD-Sommerinterview. "Und deshalb werden wir einfach feststellen müssen, diese Koalition ist eine Übergangskoalition nach der Ära Merkel." Im weiteren Verlauf des Gesprächs sprach Nouripour mit Blick auf die Ampel von einer Übergangsregierung, die für die Zeit nach Merkel notwendig gewesen sei.
Dabei habe man viel hinbekommen, etwa der höhere Mindestlohn oder mehr Klimaschutz. "Aber der Streit überlagert alles." Das Vertrauen in der Koalition sei an Grenzen gekommen. Deswegen würden die Grünen nun "die Unterscheidbarkeiten deutlicher machen" und nach vorne schauen.
Der "sinnloseste aller Streitereien"
Den jüngsten Haushaltsstreit nannte Nouripour den "vielleicht sinnlosesten aller Streitereien in dieser Ampel". Es sei ein Streit gewesen, an dem die Grünen kaum beteiligt gewesen seien. "Das war sehr deutlich ein Streit zwischen SPD und FDP." Dennoch sei auch seiner Partei die Schuld daran gegeben worden.
Nouripour zeigte sich dennoch zuversichtlich, dass die Ampel den Haushalt "hinbekommt", trotz der Zwölf-Milliarden-Lücke. "Das ist kein Zauberwerk." Da müsse nur der Wille dafür da sein, und dass man es leise mache. "Und diesen Willen, den sehe ich an manchen Stellen mittlerweile nicht mehr", sagte er mit Blick auf die FDP und Wolfgang Kubicki, der regelmäßig "den Rücktritt von irgendeinem Minister der eigenen Koalition fordert, als hätte er sonst keine Hobbys."
Das große Thema Frieden
Mit Blick auf die Diskussion über die Ukraine-Unterstützung warnte Nouripour davor, "zu glauben, dass man mit einem reinen Sparkurs zu mehr Sicherheit kommt". Alles, was bisher der Ukraine zugesagt worden sei, werde auch auf alle Fälle weiterhin finanziert, versicherte der Grünen-Chef. Deutschland dürfe hier nicht wackeln, das sei kein gutes Signal - "erst recht nicht an die Ukrainer und erst recht nicht an unsere Partnerstaaten, die alle beteiligt sind - die gesamte NATO, die europäischen Staaten".
Er sei dafür, "dass wenn die Ukraine Dinge einfordert, wir uns das sehr ergebnisoffen anschauen. Aber ein grundsätzliches Nein an den Anfang zu stellen, verunmöglicht ja die Prüfung von Anfragen der Ukraine. Auch im ostdeutschen Landtagswahlkampf gehe es viel um das große Thema Frieden. "Und wir versuchen darzustellen, dass wir die Ukraine unterstützen, weil wir Frieden wollen. Wenn die Ukraine aufhört, zu kämpfen, existiert sie nicht mehr. Wenn die Russen aufhören zu kämpfen, dann gibt es Frieden."
Habeck, oder?
Nach den anstehenden drei Landtagswahlen im Osten dürfte es für die Grünen mit Blick auf die Bundestagswahl im nächsten Jahr um die Kür eines Spitzen- oder Kanzlerkandidaten gehen. Robert Habeck hat schon Interesse signalisiert. Konkret äußerte sich Nouripour nicht zu der Personalie, sagte aber zu den grünen Wahlaussichten: "Die Leute sehen, das Merkel-Vakuum ist weiterhin nicht gefüllt. Und brauchen dafür Alternativen. Wir wollen welche liefern." Zugleich räumte er ein, dass es 2021 einfacher gewesen sei.
Vorwurf der Verbotspartei
Angesprochen auf den Vorwurf, eine Verbotspartei zu sein, sagte Nouripour: Eine Lehre aus dem schlechten Abschneiden bei der Europawahl sei, "dass wir keine Politik des Imperativs nach vorne stellen sollten und wollen". Die Grünen würden aber auch "nicht so tun, als bräuchte man keinen Klimaschutz machen, nur weil die einen sagen, das wird alles teurer machen, was falsch ist. Kein Klimaschutz ist teurer, wir werden nicht so tun, als könnte man die Wirtschaft nicht klimaneutral machen". Er stellte klar: "Das, was dieses Land braucht, ist eine Modernisierung. Diese Modernisierung wird nicht vom Himmel fallen, wird auch nicht kostenfrei sein."
Fragen von Usern und Userinnen
Anschließend hatten die User und Userinnen die Möglichkeit, eigene Fragen an den Grünen-Chef zu stellen. Im Format "Frag selbst" nahm Nouripour unter anderem Stellung zur Schuldenbremse, zum Verhältnis zur FDP in der Ampelkoalition, zu Rüstungsexporten, den Kriegen in der Ukraine und in Nahost und zu dem möglichen grünen Kanzlerkandidaten. Außerdem ging es um die Döner- und Spritpreise.
In den ARD-Sommerinterviews waren bislang Kanzler Olaf Scholz, AfD-Chef Tino Chrupalla, CDU-Chef Friedrich Merz, FDP-Chef Christian Lindner und SPD-Chef Lars Klingbeil zu Gast. Nächste Woche Sonntag, 25. August, wird CSU-Chef Markus Söder erwartet.