Ukrainischer Präsident im Bundestag Viel Applaus für Selenskyj - BSW und AfD boykottieren Rede
"Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg verliert" - die Rede des ukrainischen Präsidenten im Bundestag war emotional. Die BSW-Abgeordneten blieben demonstrativ fern. Die AfD-Chefs bezeichneten Selenskyj als "Bettelpräsidenten".
Der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj hat seine Rede im Bundestag genutzt, um Deutschland erneut für die Unterstützung seines Landes und die Aufnahme ukrainischer Flüchtlinge zu danken. Zugleich rief er die Verbündeten dazu auf, den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine gemeinsam erfolgreich zu beenden.
Man dürfe Russland nicht einen weiteren Marsch durch Europa erlauben, sagte Selenskyj. Der russische Präsident Wladimir Putin sei es gewohnt, andere zu unterwerfen. "Es ist unser gemeinsames Interesse, dass Putin diesen Krieg persönlich verliert."
Selenskyj: Müssen Teilung der Ukraine verhindern
Der Krieg müsse so beendet werden, dass kein Zweifel bestehe, wer gesiegt habe, so Selenskyj, der immer wieder von Beifall unterbrochen wurde. Russland müsse für die Entfesselung des Krieges die volle Verantwortung übernehmen und den dadurch verursachten Schaden zahlen. Selenskyj ging auch auf die bevorstehende Ukraine-Friedenskonferenz in der Schweiz ein. "Wir wollen der Diplomatie eine Chance geben", sagte er. "Die Ukraine hat niemals nur auf die Stärke der Waffen gesetzt."
Selenskyj zog in seiner emotionalen Rede auch Parallelen zur deutschen Geschichte: "Das geteilte Europa war niemals friedlich. Und das geteilte Deutschland war niemals glücklich", sagte der ukrainische Präsident und fügte an: "Sie können verstehen, warum wir so hart gegen die Versuche Russlands kämpfen, uns zu spalten, die Ukraine zu teilen. Warum wir alles tun, um eine Mauer zwischen Teilen unseres Landes zu verhindern."
Bas: Zukunft der Ukraine in der EU und der NATO
Zuvor hatte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas der Ukraine die Solidarität des deutschen Parlaments versichert. "Ich bin sicher, die russischen Kriegsverbrechen werden geahndet", sagte die SPD-Politikerin vor der Rede Selenskyjs. Die Zukunft der Ukraine liege in der EU und der NATO.
Von den Abgeordneten im Saal wurde die Rede des ukrainischen Präsidenten mit lang anhaltendem, stehendem Beifall bedacht. Die Abgeordneten des BSW und der größte Teil der AfD-Fraktion nahmen nicht an der Sitzung nicht teil.
AfD: Selenskyj "nur noch als Bettelpräsident im Amt"
"Wir lehnen es ab, einen Redner im Tarnanzug anzuhören", erklärten die beiden AfD-Fraktionschefs Alice Weidel und Tino Chrupalla - Selenskyj trug einen schwarzen Pullover und eine dunkelgrüne Hose während seiner Rede. Weiter erklärten die AfD-Chefs, Selenskyjs Amtszeit sei abgelaufen. Er sei "nur noch als Kriegs- und Bettelpräsident im Amt". Die Ukraine brauche jetzt "keinen Kriegspräsidenten", sie brauche "einen verhandlungsbereiten Friedenspräsidenten".
Deshalb habe der AfD-Fraktionsvorstand am Montag beschlossen, der Rede Selenskyjs im Bundestag fernzubleiben. Dem sei die Fraktionsversammlung gefolgt. Dennoch saßen einzelne Abgeordnete der AfD bei der Rede des ukrainischen Präsidenten im Plenum.
Die Sitze der AfD-Fraktion blieben weitgehend leer.
BSW: "Signale aus Moskau"
Das Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) hatte zuvor eine Erklärung zum Boykott der Rede abgegeben. Darin heißt es, Selenskyj trage aktuell dazu bei, eine hochgefährliche Eskalationsspirale zu befördern. Er nehme dabei das Risiko eines atomaren Konflikts mit verheerenden Konsequenzen für ganz Europa in Kauf. "Daher sollte er im Deutschen Bundestag nicht mit einer Sonderveranstaltung gewürdigt werden."
Zu Beginn des Schreibens, das dem ARD-Hauptstadtstudio vorliegt, betont das BSW, dass es "den völkerrechtswidrigen Krieg Russlands in der Ukraine" verurteile. Zuletzt habe es aber "Signale aus Moskau zu einem Waffenstillstand entlang der jetzigen Frontlinie" gegeben. Statt darauf einzugehen, gehe es in der "deutschen Ukraine-Debatte seit zwei Jahren ausschließlich darum, den ukrainischen Wünschen nach immer mehr Waffenlieferungen nachzukommen", so das BSW. Auf die Frage, wie realistisch Verhandlungen mit dem für den Krieg verantwortlichen russischen Präsidenten Putin sind, geht das Papier nicht ein.
Scholz: "Respektlosigkeit"
Bundeskanzler Olaf Scholz bezeichnete das Verhalten von AfD und BSW bei der Rede Selenskyjs als "Respektlosigkeit". Er sei darüber "sehr verstört, aber nicht überrascht" sagte ein Regierungssprecher auf Nachfrage des ARD-Hauptstadtstudios.
Die Parlamentarische Geschäftsführerin der SPD-Bundestagsfraktion, Katja Mast, sagte: "Sahra Wagenknecht ist scheinbar jedes Mittel zur eigenen Profilierung recht. Das alles auf dem Rücken der Ukraine, wo Menschen auch zur Stunde um ihr Leben bangen und kämpfen müssen."
Der Linkspartei-Politiker Dietmar Bartsch nannte das Vorgehen ein "Unding": Wie auch immer man zu Selenskyj oder zu Waffenlieferungen stehe, in der Demokratie gehe es darum, zumindest zuzuhören, und nicht darum, Aufmerksamkeit zu erregen, so Bartsch.
Die FDP-Politikerin Marie-Agnes Strack-Zimmermann reagierte im Onlinedienst X: "Mit dem BSW hat Putin nun schon die zweite Partei in Deutschland, die ihm unreflektiert folgt." Strack-Zimmermann spielt damit offenbar auf die AfD an.
Drei Viertel der BSW-Anhänger stützen Ukraine-Kurs
Sowohl BSW als auch AfD hatten im Wahlkampf vor der Europawahl stark auf das Thema Ukraine gesetzt und sich dabei von der Position aller anderen im Bundestag vertretenen Parteien abgegrenzt. Das BSW bekam dabei von vielen seiner Wählerinnen und Wählern ausdrücklich Rückendeckung für diesen außenpolitischen Kurs. In einer Umfrage im Auftrag der ARD gaben 74 Prozent von ihnen an, dass sie es gut finden, dass sich das BSW gegen weitere Waffenlieferungen an die Ukraine einsetzt.
Das neu gegründete BSW erreichte bei der Europawahl aus dem Stand 6,2 Prozent der Stimmen, die AfD gewann deutlich hinzu. Beide Partei sind vor allem in den ostdeutschen Bundesländern stark.