Die Flaggen von Thüringen und Sachsen wehen nebeneinander
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Landtagswahlen Sachsen und Thüringen entscheiden sich

Stand: 01.09.2024 05:35 Uhr

Selten haben zwei Landtagswahlen so viel Aufmerksamkeit erzeugt wie die in Sachsen und Thüringen. In beiden Länder könnten völlig neue Mehrheiten und Koalitionen entstehen. Alles Wichtige im Überblick.

Die Ausgangslage

Nein, heute finden nicht "die Ost-Wahlen" statt, wie es in manchen Medien zu lesen war. Stattdessen wählen zwei eigenständige, politisch wie historisch und kulturell unterschiedliche Bundesländer ihre Landtage: die Freistaaten Sachsen und Thüringen.

Beide haben schwierige Jahre hinter sich. Zu Corona-Pandemie, den Auswirkungen des Ukraine-Kriegs und in weiten Bevölkerungsteilen Frust über die Berliner Ampel kamen in Thüringen noch vier Jahre rot-rot-grüne Minderheitsregierung unter Bodo Ramelow, Deutschlands einzigem linken Ministerpräsidenten, hinzu.

Vorausgegangen war 2020 die überraschende Wahl des FDP-Politikers Thomas Kemmerich mit Stimmen der CDU und AfD. Kemmerich konnte keine Regierung bilden und trat zurück.

Durch die besondere Konstellation zogen sich nun viele Entscheidungen im Landtag hin. Für Aufsehen sorgte es gleich mehrfach, wenn die AfD mit der CDU und FDP stimmte, aber auch mit Rot-Rot-Grün - und so Mehrheiten beeinflusste.

In Sachsen regierte erstmals eine Koalition aus CDU, Grünen und SPD. Nach einem guten Start prägte zuletzt vor allem der Streit zwischen CDU und Grünen das Bild nach außen. Mehrere verabredete Projekte wurden nicht umgesetzt.

Welche Ergebnisse könnten die Wahlen haben?

Wohl auch wegen des Zustands der jeweiligen Landesregierung könnte die in beiden Ländern vom Verfassungsschutz als "gesichert rechtsextremistisch" eingestufte AfD erstmals bei einer Landtagswahl stärkste Kraft werden. Und das, obwohl zunehmend Vertreter von Unternehmen, Kirchen und jüdischen Gemeinden vor der Partei warnen.

Zwischenzeitlich sah es sogar so aus, als könnte es knapp für eine AfD-Alleinregierung reichen. Dann kamen die Proteste gegen rechts und vor allem kam eine neue Partei.

Welche Themen waren im Wahlkampf wichtig?

Das Bündnis Sahra Wagenknecht stieß unmittelbar auf großen Zuspruch in den Umfragen. Die Namensgeberin wiederum befeuerte eine Debatte über die Außenpolitik. Und so beschäftigten sich beide Wahlkämpfe zuletzt statt mit Landespolitik stark mit der Frage von Waffenlieferungen an die Ukraine oder Raketenstationierungen in Deutschland. Dabei schlug dann auch die Union auf Bundesebene neue Töne an.

Die Migrationspolitik war, gerade im Grenzland Sachsen, lange vor dem Messeranschlag von Solingen Thema. Hier sowie in der Bildungs- und Wirtschaftspolitik dürften sich deshalb die Wahlen entscheiden.

In beiden Ländern ist der Wunsch nach stabilen Verhältnissen groß. Die Zahl der Unentschlossenen war es vor heute aber auch. In Sachsen könnte die Wahlbeteiligung dennoch so hoch wie seit 1990 nicht mehr ausfallen.

Wer sind wichtigsten Köpfe in Sachsen?

In Sachsen dreht sich alles um ihn: Ministerpräsident Michael Kretschmer von der CDU. Der 49-Jährige kam zwei Jahre vor der Landtagswahl 2019 ins Amt und gewann diese dann gegen die AfD.

Kretschmer tourte seitdem emsig durch den Freistaat, fuhr in der Pandemie erst einen harten Kurs, stellte sich dann an die Spitze der Öffner. Die Ampel kritisierte er lautstark für Wirtschafts-, Asyl- und Russland-Politik - und strapazierte damit oft die Nerven der eigenen grün-roten Koalitionspartner, seltener aber auch der eigenen Partei.

Die hat ihren Wahlkampf komplett auf Kretschmer zugeschnitten. Sollte die CDU allerdings hinter der AfD landen und er die Direktwahl in seiner Heimat Görlitz verlieren, könnte Kretschmer wackeln.

Sein Hauptherausforderer ist wie schon 2019 Jörg Urban. Der AfD-Fraktionschef und ehemalige Umweltschutzmanager wirkt im Vergleich zu anderen AfD-Politikern eher ruhig und bieder, bedient laut Verfassungsschutz aber mitunter Verschwörungstheorien.

Die SPD geht mit der Sozialministerin Petra Köpping ins Rennen. Die Grünen mit einem Spitzentrio um Justizministerin Katja Meier.

Für die Linkspartei soll Susanne Schaper den ersten Rausschmiss aus einem ostdeutschen Landtag abwenden. Mit Sabine Zimmermann trifft sie dabei auf eine alte Bekannte: Die frühere Bundestagsabgeordnete der Linken führt das Bündnis Sahra Wagenknecht in Sachsen.

Die FDP setzt auf den Dresdner Stadtrat Robert Malorny, die Freien Wähler auf den Grimmaer Oberbürgermeister Matthias Berger. Beide Parteien sind aktuell nicht im Landtag vertreten.

Jörg Schönenborn, ARD-Wahlstudio Dresden, mit Umfragen vor den Landtagswahlen in Sachsen und Thüringen

tagesthemen, 31.08.2024 23:00 Uhr

Wer sind die wichtigsten Köpfe in Thüringen?

Zum bereits fünften Mal tritt Bodo Ramelow als Spitzenkandidat der Thüringer Linkspartei zu einer Landtagswahl an. Seit 2020 führt Ramelow zum zweiten Mal eine rot-rot-grüne Regierung in Erfurt, allerdings nunmehr ohne eigene parlamentarische Mehrheit. Seine Beliebtheitswerte sind weiterhin gut, die von Partei und Koalition jedoch nicht.

Das bringt drei Herausforderer in Stellung. Björn Höcke hat die AfD zur stärksten Kraft in Thüringen gemacht. Der Fraktions- und Landesvorsitzende, einst Lehrer, hat dabei wesentlich die Radikalisierung seiner Partei angetrieben. Sicherheitsbehörden stuften ihn als einen der ersten AfD-Politiker als Rechtsextremisten ein.

Mario Voigt von der CDU inszenierte sich im Wahlkampf als der Mann, der Höcke "stoppen" könne. In den Wirren des Frühjahrs 2020 übernahm Voigt die angeschlagene CDU-Fraktion im Landtag und hat sie seitdem stabilisiert. Richtig Ruhe dürfte allerdings erst einkehren, wenn die CDU wieder den Ministerpräsidenten stellt.

Katja Wolf stieg erst spät in das Rennen ein. Die ehemalige Linken-Politikerin überraschte im Januar viele Beobachter mit ihrem Wechsel zum Bündnis Sahra Wagenknecht. Im Kampf um die Staatskanzlei pocht Wolf auf ihre langjährige Erfahrung als Oberbürgermeisterin von Eisenach.

Für die SPD kandidiert Innenminister Georg Maier auf Platz eins, für die Grünen die Fraktionsvorsitzende Madeleine Henfling, für die FDP Kurzzeit-Ministerpräsident Thomas Kemmerich.

Was sagen die Umfragen?

In den letzten Umfragen vor der Wahl in Sachsen lieferten sich CDU und AfD ein Kopf-an-Kopf-Rennen bei jeweils knapp über 30 Prozent. Das BSW dürfte mit elf bis 15 Prozent den dritten Platz sicher haben. SPD und Grüne standen bei fünf Prozent oder mehr - Linke, Freie Wähler und FDP drunter.

In Thüringen lag die AfD mit Abstand in Führung: 29 bis 30 Prozent. Die CDU kam durchweg auf Platz zwei mit 21 bis 23 Prozent, das BSW blieb aber mit 17 bis 20 Prozent in Schlagdistanz, während neben der Linkspartei 13 bis 16 Prozent standen. Die SPD wäre mit 6 bis 7 Prozent knapp wieder im Landtag drin - Grüne, FDP und andere lagen unter der Fünf-Prozent-Hürde.

Von Parlamenten mit nur drei oder vier Fraktionen bis hin zu eher unübersichtlichen Verhältnissen ist damit vieles möglich.

Welche Koalitionen sind wahrscheinlich?

Eine Koalition zwischen CDU und AfD hat Michael Kretschmer für Sachsen ausgeschlossen. Solange er "etwas zu sagen habe", werde es das nicht geben, so Kretschmer. Weil auch das BSW keine Koalition mit der AfD will, dürfte Letztere außen vor bleiben.

Als wahrscheinlich gilt eine Koalition von CDU und BSW, eventuell auch mit der SPD. Kretschmer würde gerne ohne die Grünen weitermachen, allerdings nicht mit einer Minderheitsregierung. Manche CDUler halten eine Neuauflage der aktuellen Koalition von CDU, Grünen und SPD allerdings weiter für das kleinere Übel.

In Thüringen wird es ziemlich sicher ein neues Koalitionsmodell geben. Rot-Rot-Grün ist ohne Chance, das räumen dessen Vertreter offen ein. Weil am anderen Ende aber die CDU weder mit der AfD noch der Linkspartei koalieren will, bleibt es kompliziert.

Denkbar ist eine Koalition von CDU, BSW und SPD - vor allem dann, wenn die CDU vor der Wagenknecht-Partei landet. Deren Spitzenkandidatin Wolf würde wohl auch Optionen mit Linken, SPD und Grünen ausloten wollen.

In politischen Planspielen tauchen auch eine Minderheitsregierung oder eine Zusammenarbeit von CDU, BSW und Linker auf, die sich dann nicht "Koalition" nennt.

Sowohl in Sachsen als auch in Thüringen stellt sich zudem die Frage, ob die AfD nach der Wahl auf mehr als ein Drittel der Abgeordneten im Landtag kommt. Dann hätte sie eine sogenannte Sperrminorität. Die anderen Fraktionen wären bei wichtigen Entscheidungen wie der Wahl von Verfassungsrichtern oder einer Auflösung des Landtags auf Stimmen der AfD angewiesen - und damit wohl auf Absprachen jenseits von "Brandmauern".

Welche Besonderheiten gibt es in Sachsens Wahlsystem?

In Sachsen wurden 19 Parteien zur Wahl zugelassen. Der Landtag hat regulär 120 Sitze. 60 Wahlkreise - und damit Direktmandate - sind zu vergeben.

Holt eine Partei durch Direktmandate mehr Sitze, als ihr über das Zweitstimmenergebnis zustehen würden, entstehen Überhangmandate. Die anderen Parteien bekommen dann weitere Ausgleichsmandate, allerdings nur so viele, wie es Überhangmandate gibt.

Bewahrheiten sich die Umfragen, gewinnen sowohl CDU als auch AfD einen Großteil der Wahlkreise direkt. Damit entstünden wie schon vor fünf Jahren keine Überhangmandate.

Die tatsächliche Zusammensetzung des Landtags könnte dennoch erst spät am Abend klar werden. Denn Sachsen hat eine Grundmandatsklausel: Holt eine Partei mindestens zwei Direktmandate, zieht sie auch dann in den Landtag ein, wenn sie unterhalb der Fünf-Prozent-Hürde bleibt.

Das ist für gleich drei Parteien interessant: Linke und Grüne hoffen auf diese Mandate in Teilen Dresdens und Leipzigs. Beide Parteien haben vor Ort Erststimmenkampagnen gefahren. Die Freien Wähler wiederum setzen auf Direktmandate im ländlichen Raum.

Die SPD hingegen hat kaum Aussichten, einen Wahlkreis direkt zu gewinnen.

Was ist in Thüringen zu beachten?

In Thüringen wurden 15 Parteien zur Landtagswahl zugelassen. Der Thüringer Landtag hat regulär 88 Sitze. 44 Wahlkreise sind zu vergeben.

Bestätigt sich der Umfrage-Trend, dürfte die AfD nahezu alle Direktmandate holen. In diesem Fall hätte sie mehrere Überhangmandate, die durch Ausgleichsmandate für andere Parteien ausgeglichen werden müssten. Die AfD-Landesliste würde nicht ziehen.

Für AfD-Kandidaten bedeutet das: Um in den Landtag zu kommen, müssen sie ihren Wahlkreis direkt gewinnen. Björn Höcke hat deshalb den Wahlkreis gewechselt. Im CDU-dominierten Eichsfeld scheiterte Höcke 2014 und 2019, nun probiert er es im Wahlkreis Greiz II.

Was bedeuten die Landtagswahlen für die Bundespolitik?

Sahra Wagenknecht und Teile der CDU versuchten, die Landtagswahlen zu einer Abstimmung über die Ampel in Berlin zu machen. Allerdings ist die SPD in Thüringen und Sachsen schon länger schwach, Grüne und FDP sind an den Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde gewöhnt.

Ein dünnes Ergebnis der drei Parteien hätte also nur bedingt Aussagekraft über die Ampel selbst. Für Neuwahlen scheint es in Berlin ohnehin zu spät zu sein. Auch mit AfD-Werten von 30-Prozent-plus haben sich viele in der Hauptstadt bereits abgefunden.

Wagenknechts junge Partei steht allerdings vor dem nächsten Schritt ihrer Etablierung im deutschen Parteiensystem. Die Parteichefin hätte erstmals richtig Einfluss: Denn Sahra Wagenknecht selbst will kein Amt übernehmen, aber in den Koalitionsverhandlungen mitmischen. Dann müsste sie beweisen, dass sie mehr kann und will als Fundamentalopposition. Oder aber sie treibt die anderen Parteien vor sich her.

Sollte ihre alte Partei, die Linke, sich derweil in Sachsen nicht in den Landtag retten, setzte sich der Niedergang der ehemaligen "Ost-Partei" damit fort.

Wichtig wird der Wahlabend für Friedrich Merz. Die Union will nach den Landtagswahlen über ihre Kanzlerkandidatur entscheiden. CDU-Chef Merz hat dabei aktuell die Oberhand. Es sei denn, seine Parteikollegen bleiben deutlich hinter den Erwartungen zurück.

Auch Olaf Scholz können die Wahlen gefährlich werden. Sollte die SPD erstmals aus beiden Landtagen fliegen oder drei Wochen später das fast schon parteieigene Ministerpräsidentenamt in Brandenburg verlieren, würde in der Partei eine Debatte über den Kanzler und seine Kandidatur für 2025 aufbrechen.