Wichtige Landtagswahlen Für die SPD steht viel auf dem Spiel
In Sachsen und Thüringen kämpft die SPD ums politische Überleben, in Brandenburg könnte sie ihren Nimbus verlieren. Schuld daran trägt auch Berlin. Droht der Partei nach den Wahlen eine Debatte über Scholz?
Zumindest mit einer Sache hat Georg Maier schon abgeschlossen. "Rot-Rot-Grün hat keine Zukunft", sagt Thüringens Innenminister über die noch amtierende Regierung. Das wüssten alle Beteiligten. Eine andere Minderheitsregierung will Maier aber nicht. Und die CDU will nicht mit der Linkspartei von Ministerpräsident Bodo Ramelow.
Also läuft nach der Landtagswahl vieles auf eine Koalition von CDU, der Wagenknecht-Partei BSW und Maiers SPD hinaus. Maier sagt: "Das wäre nicht meine Wunschkoalition." Aber es gehe ja jetzt um Thüringen. Und wer wolle, "dass die Sozialpolitik in einer solchen Regierung durchdringt", der müsse eben SPD wählen.
Hauch letzter Chance in Thüringen
Schon am Vorabend, in einer Wahldebatte des MDR, hatte Maier alle Parteien außer der AfD aufgerufen, zusammenzurücken. "Wir wollen eine demokratische Mehrheitsregierung hinbekommen", sagte er. Die SPD werde dafür ihren "Beitrag" leisten. Wie schon immer in der Geschichte.
Maiers Augen waren weit aufgerissen, sein rechter Zeigefinger sauste durch die Luft. Ein Hauch letzter Chance schien durch das Studio zu wehen.
Denn historisch wäre es auch, wenn sich die Sozialdemokratie erstmals aus einem ostdeutschen Parlament verabschiedet. In Umfragen liegt die Partei in Thüringen bei sechs bis sieben Prozent. Zwischen AfD, Linkspartei, CDU und der Wagenknecht-Partei BSW bleibt kaum noch Platz für andere Parteien.
Maier will darin aber eine Chance erkannt haben: "Viele überlegen jetzt, was hieße es, wenn die SPD nicht mehr da wäre." Und nochmal zu Inhalten: Die AfD mache "eine nationalistische, anti-soziale Sozialpolitik", die CDU könne man bei dem Thema vergessen und die Vorschläge des BSW zur Rente seien "reine Luftnummern". Es brauche eben die SPD.
"Landtag des Schreckens" in Sachsen
Forderungen wie ein Gehalt für pflegende Angehörige, ein Weihnachtsgeld für Rentner mit Niedrigrenten - und eben Georg Maier auf allen Kanälen: Das ist der Wahlkampf der Thüringer SPD.
In Sachsen sind Inhalte und Erscheinungsbild ähnlich. Hier inszeniert die SPD ihre Spitzenkandidatin, Sozialministerin Petra Köpping, als "die Richtige für Sachsen". Es wirkt wie eine Bewerbung um das Amt der Ministerpräsidentin - und nicht wie der Kampf um die Fünf-Prozent-Hürde.
Dabei geht die Angst vor Letzterer schon seit Januar in Sachsen herum. Eine Umfrage sah die SPD damals bei drei Prozent. Genossen sagen, eine reine Online-Befragung sei das gewesen, die Fehlertoleranz hoch. Doch seitdem CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer offensiv um Stimmen anderer Parteianhänger wirbt, damit seine CDU vor der AfD landet, seitdem warnt auch die SPD ganz offiziell vor ihrem Rauswurf.
Auf der Website des Landesverbandes erschien am Donnerstag das Bild eines "Landtags des Schreckens". In diesem säßen nur noch CDU, AfD und BSW. Dazu heißt es, die CDU werde alleine nicht regieren können und brauche "einen verlässlichen Koalitionspartner". Um dieser Partner zu sein, müsse die SPD ins Parlament. Sonst drohe eine Beteiligung der AfD.
Kommt es auf die Spitzenkandidaten an?
Der Politikwissenschaftler Hans Vorländer von der Technischen Universität Dresden beobachtet die Wahlkämpfe. Er sagt: "Für die SPD ist die Machtoption, die Beteiligung an einer Koalition, der entscheidende Punkt bei den Landtagswahlen." Die thematische Ausrichtung der Parteien sei hingegen nicht "so wahnsinnig unterschiedlich". Auch weil BSW und die Linkspartei der SPD das Thema Soziale Gerechtigkeit streitig machen.
Vorländer hält die Umfragen, die die SPD in Sachsen und Thüringen leicht über fünf Prozent sehen, für "belastbar und robust". Vorsichtig müsse die Partei dennoch sein. Es komme jetzt auf "die Zielgerade" an und vor allem auf die Spitzenkandidaten. Ihre Präsenz und Ansehen seien entscheidend, um eine Partei über die Fünf-Prozent-Hürde zu heben, so Vorländer.
Doch die Lage der SPD in den Ländern hängt auch mit dem Zustand der Ampel in Berlin zusammen. Von schmerzlichen "handwerklichen Fehlern" ist die Rede. Vom Dauerstreit. Auch die Ukraine-Politik ist ein Reizthema. Die Wahlkämpfer in Sachsen und Thüringen, aber auch in Brandenburg tragen sie öffentlich mit, grenzen sich in Nuancen ab.
Petra Köpping etwa will anders als Verteidigungsminister Boris Pistorius lieber von "Verteidigungsfähigkeit" statt "Kriegstüchtigkeit" reden. Georg Maier hätte sich mehr Einbeziehung bei der Positionierung zur anstehenden Stationierung neuer US-Mittelstreckenraketen in Deutschland gewünscht - und Dietmar Woidke, Ministerpräsident von Brandenburg, mehr diplomatische Initiativen.
Dass die Lage der Grünen und FDP kaum besser, teils sogar schlechter ist, tröstet in der SPD keinen. Beide Partner waren im Osten schon immer die Fahrstuhlmannschaften der Politik: Manchmal schaffen sie es knapp in die Landtage, manchmal nicht. Die SPD war immer drin. Und zuletzt Teil jeder Regierung.
Auch in Brandenburg alles auf eine Karte
Aus Berlin reisen deshalb in diesen Tagen der Kanzler, die SPD-Vorsitzenden, der Generalsekretär und Verteidigungsminister Pistorius nach Thüringen und Sachsen. Nur einer verzichtet auf die Unterstützung.
Er brauche keine "geborgte Prominenz" und müsse dementsprechend niemanden aus der Bundesebene "hier her karren", sagt Dietmar Woidke Anfang August vor Journalisten. In Potsdam stellt er an diesem Tag die Plakate seiner Partei vor - und geht auf Distanz zur Ampel. "Wir unterscheiden uns in fast allem, was man derzeit in Berlin vorfindet", so Woidke.
Auf die Strategie hat er sich schon vor Monaten festgelegt. Auch dass die Kampagne der SPD komplett auf ihn zugeschnitten sein wird, war da schon klar. Aber an diesem Tag geht Woidke noch einen Schritt weiter: Wenn die SPD bei der Wahl in Brandenburg nicht wieder auf Platz eins lande, "dann bin ich nicht mehr da". Das sollten die Menschen wissen.
Das ist insofern bemerkenswert, als dass Woidke sein Amt wohl auch behalten könnte, wenn die SPD hinter der AfD Zweiter würde. Und bis zu diesem Pressetermin weiß auch nur ein kleiner Kreis Vertrauter, dass es Woidke darauf ankommen lassen will. Seit 1990 hat die SPD immer den Ministerpräsidenten gestellt und war immer stärkste Kraft geworden.
Vorzeichen für Scholz
Für Politikwissenschaftler Vorländer setzt Woidke damit alles auf die "Karte Woidke". Er riskiere viel. "In Brandenburg wird Woidke damit wohl noch einmal punkten können", so Vorländers Einschätzung.
Der SPD wäre damit sehr geholfen, für sie steht schließlich viel auf dem Spiel. Ein Szenario, wonach die SPD wider Erwarten erstmals aus einem der Landtage von Erfurt oder Dresden fliege, sei laut Vorländer zwar "ernüchternd" für eine Volkspartei. "Ein Desaster wäre es aber, später das Amt des Ministerpräsidenten in Brandenburg zu verlieren", sagt er. Oder wenn beide Landtage verloren gingen. In der Partei würde dann eine lebhafte Diskussion um Olaf Scholz und die Kanzlerkandidatur ausbrechen.
Der Bundestagswahlkampf 2021 sei auf Scholz zugeschnitten gewesen. Damit war er wesentlich für den späteren Erfolg verantwortlich, auch in Ostdeutschland. "Und damit ist die Fallhöhe für Scholz jetzt hoch", so Vorländer weiter.
Dass Woidke schon heute auf Auftritte mit Scholz verzichtet, zeige klar, "dass der Kanzler eher als Belastung gesehen wird."