Vor den Landtagswahlen Typisch grün vielleicht
Weiterregieren, Opposition oder das politische Aus - die Grünen blicken gespannt nach Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die Partei setzt auf Klimaschutz und Kampf gegen rechts - und hofft auf eine Atempause von der Ampel.
Der Alte Markt von Potsdam am Donnerstagmorgen. Der Deutsche Wetterdienst hat eine Hitzewarnung ausgegeben. Antje Töpfer verkneift sich eine Anspielung auf das schwüle Wetter. Die grüne Spitzenkandidatin für die Landtagswahl in Brandenburg muss einen Wortwitz platzieren.
"Mehr Muteinander" steht auf dem Plakat, das Töpfer gemeinsam mit ihrem Co-Spitzenkandidaten Benjamin Raschke enthüllt. Mehr Mut, mehr Miteinander also. "Typisch grün?", befragt sich Töpfer selbst und antwortet: Ja.
Brandenburg: Nicht nur "Hauptsache Demokratie"
Dahinter stecken Themen wie der Erhalt aller Brandenburger Krankenhäuser und ein landesweiter Einstundentakt für den Öffentlichen Nahverkehr. Vor allem aber: "sozial gerechter Klimaschutz" und "Demokratie verteidigen".
Der Landesverband schlägt damit in dieselbe Kerbe wie die Europawahlkampagne der Bundespartei. Nur führte die Anfang Juni zu einer Halbierung der Brandenburger Bündnisgrünen auf sechs Prozent.
Spitzenkandidatin Töpfer sieht auf Nachfrage dennoch einen Unterschied. Zur Europawahl hätte ihre Partei gesagt: "Hauptsache Demokratie!" Ihre Kampagne betone vielmehr, warum die Grünen für die Demokratie wichtig seien, so Töpfer. Bleibt die Frage, wie sehr die Grünen gebraucht werden.
Thüringen: Wieder "Existenzwahlkampf"
Bei der Wahl im September hofft Töpfers Landesverband auf ein zweistelliges Ergebnis und bis zu drei Direktmandate. Die Chancen scheinen besser als anderswo. In Umfragen steht die Partei derzeit bei sieben bis acht Prozent. In Sachsen, das ebenfalls einen neuen Landtag wählt, steht sie zwischen fünf und sieben. In Thüringen sind es nur vier bis fünf Prozent.
Für Madeleine Henfling ist der Kampf mit der Fünf-Prozent-Hürde kein neuer. Thüringen sei für ihre Grünen schon immer "ein Existenzwahlkampf" gewesen, sagt Henfling, die Spitzenkandidatin, am Telefon. Zweimal gelang der Wiedereinzug in den Landtag nur knapp.
Ginge es diesmal anders aus, werde es in Erfurt "einfacher für die AfD", glaubt Henfling. Auch setze sich dann niemand mehr für Klimaschutz ein. Denn den habe ihre Partei schon unter Rot-Rot-Grün häufig allein durchdrücken müssen.
Während die Grünen in Brandenburg und Sachsen mit SPD und CDU zusammen regieren, gingen die Thüringer Grünen in eine Koalition mit Linker und SPD, zuletzt in einer Minderheitskoalition.
Eine neue Regierung mit Grünen solle "Zukunftsfragen beantworten", sagt Henfling. Dazu zählt sie die Modernisierung der Verwaltung und den demografischen Wandel. Thüringen müsse dem "als ein weltoffenes Land entgegentreten".
Allerdings hat in Thüringen aktuell kein einziges erprobtes Koalitionsmodell eine Mehrheit. Da sei es schwierig, überhaupt über Koalitionen zu reden, sagt Henfling. Und: "Eine Opposition wird immer gebraucht." Die Thüringer Kampagne thematisiert die eigene Regierungserfahrung schon mal gar nicht.
Sachsen: Mit "Zuversicht" weiter regieren
Anders in Sachsen. "In Sachsen sind die Grünen in der Regierung erkennbar", sagt die Leipziger Bundestagsabgeordnete Paula Piechotta. Die Zufriedenheit mit der Landesregierung sei insgesamt hoch. Die Partei verbucht das als ihren Erfolg und wirbt deshalb "für ein Sachsen, in dem Zuversicht regiert".
Dem wohnt eine gewisse Dialektik inne. Denn einerseits wollte gerade CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer im Wahlkampf vor fünf Jahren diese Zuversicht verbreiten. Andererseits steht wohl kaum ein Regierungschef heute so sehr für Ampel- und Grünenkritik wie der Sachse.
Kretschmer arbeitet sich im Wochentakt am grünen Koalitionspartner ab. Längst sagt er, das Ziel müsse eine Regierung ohne die Grünen sein.
Unter Beobachterinnen und Beobachtern in Dresden gilt Schwarz-Grün-Rot als politisch tot. Nur das Wahlergebnis könne CDU, Grüne und SPD noch einmal gegen die AfD zusammenschweißen. Zuletzt trug das Trio den Streit sogar offen im Bundesrat aus. Reformen konnten nicht mehr geeint werden.
Ohne die CDU geht in Sachsen aber nichts. Den Grünen bleibt nur die Rolle als Korrektiv. "Wir müssen klarmachen, welchen Unterschied es macht, wenn wir mitregieren", sagt Piechotta. Sie nennt die Absicherung von Frauenhäusern, die Förderung Erneuerbarer Energien und den Kampf gegen rechts. Die CDU, seit 1990 an der Macht, habe viele Probleme jahrzehntelang weggeschwiegen.
"Brauchen keine komplizierten Themen mehr"
Die Bündnisgrünen hadern nicht nur mit Koalitionspartnern, sondern auch mit der eigenen Bundesspitze. Piechotta, die die grüne Landesgruppe Ost im Bundestag führt, mahnte nach der verlorenen Europawahl eine "schnelle, schonungslose und ehrliche" Aufarbeitung an. Genau das bräuchten die ostdeutschen Landesverbände jetzt, schrieb Piechotta auf X.
Im Gespräch sagt sie, das Wahlergebnis sei eine Botschaft der Wähler gewesen. "Wir müssen zeigen, dass wir das verstanden haben." Wichtig sei, dass die Partei besser und klarer spreche.
Die Brandenburgerin Antje Töpfer sagt: "Wir brauchen jetzt keine komplizierten Themen mehr." Konfliktpotential sieht sie etwa in der geplanten Aufarbeitung der Corona-Politik.
"Große Kakophonie im Bund"
Zumindest ein Reizthema für Sachsen und Brandenburg hatte das grün geführte Wirtschaftsministerium zuletzt beerdigt. Robert Habecks Haus will nicht mehr für einen vorgezogenen Kohleausstieg 2030 in den ostdeutschen Revieren werben. Der komme "marktgetrieben" ohnehin, hieß es, nur eben nicht mehr politisch forciert.
Viele Grüne sehen die größten Baustellen auch nicht beim Wirtschaftsministerium. Die Thüringerin Madeleine Henfling etwa lobt das Engagement für die ostdeutsche Wirtschaft. Bei einem anderen Konflikt, der Unterstützung der Ukraine, sei es hingegen nicht gelungen, "klarzumachen, dass diese auch eine Friedenssicherung für uns bedeutet", so Henfling.
Generell schüre die "große Kakophonie im Bund", wie Henfling das Zusammenspiel der Ampel nennt, Verunsicherung. Doch für den Osten sei gerade das Sicherheitsempfinden entscheidend.
Opposition dank Wagenknecht?
Mit dem "Bündnis Sahra Wagenknecht" dockt nun eine neue Konkurrenz an diese Verunsicherung an. Demoskopen sehen das BSW deutlich über zehn Prozent. In den Koalitionsüberlegungen von CDU, teils auch SPD und Linken spielt das BSW längst eine Rolle. Bei der CDU gleich in allen drei Ländern.
Mario Voigt, CDU-Spitzenkandidat in Thüringen, sagte im Berliner "Tagesspiegel", bei Migration und Bildung in Thüringen sei das BSW "realitätsnäher" als beispielsweise die Grünen. Über Letztere sagte Voigt: "Die Zeit des grünen Lifestyles ist vorbei."
Für die Partei könnte das BSW eine Art Rettung sein. Mit ihm würden zwar Populisten, aber nicht Extremisten wie bei der AfD eine Regierung tragen. In der Opposition müssten die Grünen keine schmerzlichen Kompromisse mit der CDU eingehen. Sie könnten zuschauen, wie sich die Konservativen nun an Wagenknecht reiben. Vielleicht entkämen sie der Polarisierung, unter der sie in Ostdeutschland mehr leiden als profitieren.
Doch die Grünen machen Wahlkampf mit dem CDU-Wagenknecht-Flirt. Die grüne sächsische Justizministerin Katja Meier schrieb bei X: Starke Grüne seien "das wirksamste Mittel, um BSW und AfD von der Regierungsbeteiligung fernzuhalten".