Vor Landtagswahlen Wie die Grünen im Osten punkten wollen
In Ostdeutschland haben die Grünen weniger Erfolg als in Westdeutschland. Zum Teil erlebt die Partei dort heftige Attacken. Wie kann sie die Bevölkerung wieder für sich gewinnen?
Die Außenministerin ist nach Chemnitz gekommen. Annalena Baerbock soll bei einem Leserforum der "Freien Presse" mit Wladimir Klitschko über den Ukraine-Krieg reden. Erste Frage der Moderatorin: Wie sie denn damit umgehe, dass die Menschen hier im Osten deutsche Waffenlieferungen deutlich kritischer sehen als im Westen? "Niemand schaut emotionslos auf diesen Krieg", sagt Baerbock.
Sie erzählt von ihren Besuchen in Kiew, Charkiw und Butscha. Von den Berichten über verschleppte Kinder. Die Ukraine müsse sich verteidigen können. Das Ost-West-Thema streift Baerbock bestenfalls: Auch bei ihr in Brandenburg würden viele Menschen helfen, betont sie.
Spitzen-Grüne auf Ost-Tour
Baerbock bekommt viel Applaus. Draußen vor der Veranstaltungshalle demonstrieren die rechtsextremen "Freien Sachsen" für "Grüne an die Ostfront", drinnen bleibt es ruhig. Mancher schüttelt heftig mit dem Kopf, aber als Kritik bleibt kaum mehr als die Publikumsfrage, warum nicht mehr verhandelt werde.
"Seit 500 Tagen mache ich nichts anderes, als mit Diplomatie zu versuchen, diesen Krieg zu beenden", sagt Baerbock. Dass China und viele afrikanische Staaten Russland nicht mehr vorbehaltlos unterstützen würden, sei ein Erfolg ihrer Bemühungen. Kurz darauf ist Schluss.
Viele Grünen nutzen die Berliner Sommerpause für Termine im Osten. Zu direkten Konfrontation kommt es weniger. Am Vortag war Baerbock gemeinsam mit Wirtschaftsminister Robert Habeck in Dresden unterwegs - "diskret", wie die "Sächsische Zeitung" findet. Der MDR wiederum berichtet, Bundestagsvizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt würde im Erzgebirge das Gespräch mit den Wählern "eher selten suchen".
Auch früher schon "Hauptgegner" der CDU
Dabei braucht es Kitt. In vielen Streitthemen finden sich die Grünen derzeit klar auf einer von zwei Seiten wieder. In der Ukraine-Frage gelten sie manchen als "Kriegstreiber". In der Asylpolitik stehen sie für mehr Geflüchtete. Sie seien "woke" und für das Gendern. Beim mit Habeck verbundenen Heizungsgesetz drohe eine Überforderung der Gesellschaft.
Im Osten, wo ihr Gegenpol die AfD besonders stark ist und die Grünen trotz steigender Mitgliederzahlen kaum auf dem Land verankert sind, werden diese Debatten scharf geführt. Auch weil hier beispielsweise sehr viele ab 1990 eingebaute Heizungen jetzt ihr Austauschalter erreichen.
Obendrein hat noch CDU-Parteichef Friedrich Merz die Grünen als "Hauptgegner in der Bundesregierung" ausgemacht. Wucht erhielt Merz' Aussage im Kontext: Die CDU hatte gerade trotz breiter Unterstützung anderer Parteien die Stichwahl um das Landratsamt im thüringischen Sonneberg verloren. Nicht gegen die Grünen, sondern gegen die AfD.
Franziska Schubert, Fraktionsvorsitzende der Grünen im sächsischen Landtag, kennt solche Attacken. Wenn CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer über die Grünen spricht, ist schon mal vom "ökologischen Irrsinn" und gewollter "Deindustrialisierung" die Rede. Dabei regieren beide zusammen mit der SPD in Dresden.
"Diese permanenten Kriegserklärungen werden der gemeinsamen Sacharbeit nicht gerecht", sagt Schubert. Als Beispiel nennt sie die Energiewende. Die will Kretschmer "neu aufsetzen". Dabei wäre man doch zusammen weit gekommen, findet Schubert. "Sachsen hat nicht mehr die Rote Laterne", könne noch mehr. Es wundere sie, dass man darüber nicht reden wolle.
Schubert: "Wichtig, Luft zu holen"
Schubert gibt sich als Pragmatikerin. Die von den Grünen im Bund angestoßene Diskussion um einen vorgezogenen Kohleausstieg etwa, werde für sie nicht dogmatisch entschieden, sondern in Sachsen vom Markt geregelt. In der Asylpolitik forderte sie früh mehr Gehör für die Probleme der Kommunen. Dass die Bundesregierung erst bis November die Finanzierung der Asylunterbringung neu regeln will, sei inakzeptabel. "Das sorgt weiter für Zündstoff", warnt Schubert. Nutznießer wäre die AfD.
Überhaupt spart sie nicht mit Kritik an der Ampel. FDP-Finanzminister Christian Lindner sei der Osten "scheißegal", meint Schubert. Auch "den Respekt-Kanzler Scholz" nehme man hier kaum wahr. Die Botschaft: Für die aktuell miesen Zustimmungswerte der Bundesregierung sind die Grünen, wenn überhaupt, nicht allein verantwortlich.
Im Herbst 2024 wird in Sachsen gewählt. Michael Kretschmer würde dann gerne ohne die Grünen regieren. Sollte die Ausgangslage aber wie 2019 sein - und darauf deutet vieles hin -, würde es wieder Schwarz-Grün-Rot geben. So sagt es Kretschmer. So sagt es auch Franziska Schubert.
Umso wichtiger scheint, wie die Parteien mit dieser Gemengelage umgehen. "Wenn man so arg auf den Deckel kriegt wie wir, ist es wichtig, Luft zu holen", sagt Schubert. Sie jedenfalls versuche, jede Wagenburgmentalität zu vermeiden.
Schwierige Kenia-Koalitionen
Das würde wohl auch Olaf Meister unterschreiben. Meister sitzt für die Grünen im Landtag von Sachsen-Anhalt. Seit Mai ist der 52-jährige Anwalt und Finanzpolitiker auch Parlamentarischer Geschäftsführer seiner Fraktion.
Nach der Landtagswahl 2021 wurde in Magdeburg Deutschlands erste Kenia-Koalition beendet. Die CDU zog den Grünen die FDP vor und sorgte anschließend dafür, dass die Fraktion im Landtag ein Stück weit isoliert wurde. Ursache waren auch persönliche Konflikte zwischen dem Spitzenpersonal.
Meister sagt, die Kenia-Jahre seien "anstrengend" gewesen. Das habe auch an seiner Partei gelegen. Der Status quo sei aber nicht zu halten. "Wir meinen die Option 'Regierungsbeteiligung' ernst", sagt Meister. Er sei angetreten, um die grüne Anschlussfähigkeit zu erhalten. "Wir dürfen die Brücken nicht abreißen lassen."
Meister: "Der Bevölkerung als Partner präsentieren"
Das gelte auch außerhalb des Landtags. Zwar stünden die Grünen für Veränderungen, diese müssten aber, Stichwort Gebäudeenergiegesetz, anders kommuniziert werden. Und zu oft entsteht laut Meister der Eindruck, Grüne würden aus großstädtischer Perspektive über ländliche Räume reden. "Die Partei muss sich bewusst werden, dass wir uns als Partner der Bevölkerung, auch für die, die uns nicht wählen, präsentieren müssen."
Der Magdeburger ist ein Ur-Ost-Grüner, ging 1989 mit 18 Jahren ins Neue Forum, aus dem dann das Bündnis 90 hervorging. Heutige Kulturkämpfe verfolgt er mit Verwunderung. Vom Begriff "woke" hätte er zuerst bei Markus Söder gehört, sagte Meister neulich im Landtag. Er habe zunächst an einen Wok, eine Pfanne denken müssen.
Gerade hat ein Landtagskollege aus der CDU die Grünen als "Ökofaschisten" bezeichnet. Dennoch treibt Meister eine andere Partei um. Die grüne Basis leide darunter, wie zerstritten und handlungsunfähig die Ampel in Berlin wirke, sagt er. Und wenn die in Teilen rechtsextreme AfD weitere Kommunalwahlen gewinnen sollte, dann werde es auch gefährlich für vor Ort engagierte Grüne. "In Berlin ist man sich offenbar nicht klar, wie schwach die Bindekräfte der Zivilgesellschaft zum Teil sind", sagt Meister. Es ist eine Warnung.