Vor Wahlen in Ostdeutschland Wer soll hier regieren?
Die AfD ist in Ostdeutschland derzeit wohl stärkste politische Kraft. Die anderen Parteien hat dies bislang nicht enger zusammenrücken lassen. Was heißt das für das kommende Wahljahr?
Da hat was raus gemusst. "Man hört nichts von Konzepten und Ideen für die Zukunft. Alle dissen sich nur!" So fasst ein Thüringer Kommunalpolitiker auf Twitter die politische Lage zusammen. Die Tolerierung von Bodo Ramelows rot-rot-grüner Minderheitsregierung durch die CDU hat seit anderthalb Jahren keine echte Grundlage mehr.
Unter seinem Tweet zeigt André Neumann, CDU-Bürgermeister der Kreisstadt Altenburg, die Konsequenz des Dauerstreits: In einer aktuellen Umfrage liegt die AfD deutlich vor allen anderen Parteien. Käme es am Sonntag zur Wahl, hätten nicht mal Linke und CDU zusammen eine parlamentarische Mehrheit.
In Sachsen teilt Kretschmer gegen die Grünen aus
Szenenwechsel nach Sachsen. In der "Bild am Sonntag" teilt CDU-Ministerpräsident Michael Kretschmer gegen die Grünen aus. Deren Politiker sei "ökologischer Irrsinn", die Partei habe in Ostdeutschland das "Grundvertrauen der Bevölkerung verspielt". Die Pläne der Ampel würden zu einer "Deindustrialisierung und zu Aufruhr in der Bevölkerung" führen.
So wie Kretschmer attackieren viele CDU-Ost-Politiker die Grünen seit Monaten. Das Interessante daran: Kretschmer regiert in Dresden selbst mit den Grünen. Deren Minister Wolfram Günther befand, der Ministerpräsident stärke die AfD. Vom dritten Koalitionspartner SPD hieß es, er werde "zum Risiko für den Wirtschaftsstandort Sachsen".
Was heißt das für die Landtagswahlen?
In Sachsen, Thüringen und Brandenburg stehen im Sommer und Herbst 2024 Landtagswahlen an. Die AfD kann hier wohl mit rund einem Viertel aller Wählerstimmen rechnen. Sie könnte auch stärkste politische Kraft werden. Dass CDU und Grüne schon jetzt im Osten miteinander regieren, ist eine Antwort auf vergangene AfD-Erfolge.
Doch die Abgrenzung von der in Teilen extremen Rechten hat die Parteien nicht enger zusammenrücken lassen. Weder CDU und Linke, noch CDU und Grüne. Der Parteienforscher Benjamin Höhne attestiert Letzteren in Ostdeutschland ein eher angespanntes Verhältnis. Im Westen hingegen funktioniere das "recht reibungslos, selbst dann, wenn sich die CDU wie in Baden-Württemberg den Grünen unterordnet", so Höhne.
Gründe gibt es dafür viele. Die Gesellschaft habe sich im Westen anders entwickelt. "Grüne und Schwarze teilen sich dort bestimmte Weltanschauungen", sagt Höhne. Und wo sich Wähler-Milieus im Westen überlappen, sind sie im Osten separiert.
Das erste Opfer dieses Konflikts war das erste Bündnis gegen die AfD. 2016 koalierten CDU, SPD und Grüne in Sachsen-Anhalt miteinander. Ein "Bollwerk" wollte Deutschlands erste Kenia-Koalition sein. Dann stimmten einige CDU-Abgeordnete mit der AfD. Nur mit Mühe überlebte die Koalition einen Streit über den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. In der Corona-Pandemie entfremdete sich das Personal hinter den Kulissen zunehmend.
Als nach der Landtagswahl 2021 die FDP ins Parlament zurückkehrte, war schnell klar, dass die CDU auf die Liberalen statt der Grünen setzen würde. Darüber sind auch einige Sozialdemokraten bis heute nicht traurig. Seitdem beharken und belehren sich CDU und Grüne gegenseitig. Eine Neuauflage scheint ausgeschlossen. Die CDU setzt auf eigene Stärke und offenbar darauf, dass die FDP dauerhaft über fünf Prozent bleibt.
Einander Raum geben
So muss es in Sachsen 2024 nicht kommen. "Ein gewisses Maß an Auseinandersetzung innerhalb einer Koalition ist okay", sagt Höhne. Es gelte schließlich, unterschiedliche Programmatiken zu vereinen. Und hinter drastischen Worten könne auch die Strategie stehen, "die eigenen Leute bei der Stange zu halten und zu mobilisieren". Das nehme dem Populismus den Wind aus den Segeln.
Ohnehin sei für jede Koalition entscheidend, dass die Personen an der Spitze miteinander auskommen und "dem Koalitionspartner Raum geben, sich zu profilieren". Höhne verweist auf das Ende von Rot-Grün-Rot in Berlin und den kollaborierten Bruch der Spitzen Franziska Giffey und Bettina Jarasch.
So verfahren wie in Thüringen war die politische Situation jedoch nicht. Unter dem Erfurter Führungspersonal sind Vertrauensverhältnisse rar geworden. Bis heute kann keine Seite glaubwürdig vermitteln, wie sie nach der Wahl 2024 regieren will. Ramelows Rot-Rot-Grün liegt weiterhin von einer eigenen Mehrheit entfernt. Ein Vierer-Bündnis von CDU, SPD, FDP und Grünen allerdings auch. Fraglich ist, ob die FDP da überhaupt mitmachen würde. Landeschef Thomas Kemmerich arbeitet sich bevorzugt an den Grünen ab.
Ein Szenario, das im Raum steht: Künftig toleriert die Linke eine CDU-Minderheitsregierung. Andere fragen nach der Haltung der CDU zur AfD. Sie erinnern an das Fiasko, als CDU, FDP und AfD Kemmerich zum Kurzzeit-Ministerpräsidenten ohne eigene Regierung wählten. Im November vergangenen Jahres war ein Anti-Gendern-Antrag der CDU-Fraktion im Erfurter Landtag erfolgreich – dank Stimmen von FDP und AfD. Und Schwarz-Blau hätte wohl eine Mehrheit.
Parteienforscher Höhne sieht dennoch keine Anzeichen für eine Zusammenarbeit. "In letzter Zeit war keine einflussreiche Stimme aus der CDU zu vernehmen, die irgendwelche Vorstöße in diese Richtung gewagt hätte", sagt Höhne. Das habe auch mit Parteichef Friedrich Merz zu tun. Der versuche einen konservativeren Weg einzuschlagen, grenze sich aber von rechts ab.
Höhne sieht ein anderes Problem. Die Abgrenzungspolitik gegenüber der AfD habe ihren Preis. Und den zahle eine Partei mehr als andere: "Allein von der CDU eine Öffnung nach links zu verlangen, wird nicht ausreichen", sagt Höhne. Das zeige das Beispiel Thüringen. Vor allem SPD und Grüne sollten über eine bessere Aufteilung nachdenken, findet er.
Anzeichen für Höhnes diese These lassen sich in Sachsen finden. Über ein neues Gleichstellungsgesetz, dessen Entwurf das Kabinett am Dienstag beschloss, hat die Koalition länger verhandelt. Im Streit um einen vorgezogenen Kohleausstieg im Braunkohleland Sachsen heißt es von den Grünen fast behutsam, man wolle den "marktgetriebenen schnelleren Kohleausstieg begleiten". Ihre Fraktionschefin denkt öffentlich über verstärkte Abschiebungen abgelehnter Asylbewerber nach.
AfD will mitregieren
Und die AfD? Bundeschefin Weidel hatte Anfang Januar eine erste Regierungsbeteiligung als Ziel für die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen ausgegeben. Seitdem hat die Partei keinen Schritt auf andere zugemacht. Das offene Kalkül: so stark werden, dass andere nicht mit einem zusammenarbeiten wollen, aber müssen.
Die Ost-Verbände sind weiter fest in der Hand des extrem rechten ehemaligen "Flügel"-Netzwerks. Welchen Sound das pflegt, wurde kürzlich wieder deutlich. Auf Landesparteitagen in Brandenburg und Sachsen-Anhalt war gleichlautend von "raumfremden Mächten" die Rede. Die Vorkriegsrhetorik zielt auf die USA, die sich bitte aus Europa heraushalten sollten. Freie Fahrt für Putin.
Die Wählerinnen und Wähler schreckt das offenkundig nicht. Die CDU schon, glaubt Höhne. Erste Politiker würden erst wieder über eine Zusammenarbeit nachdenken, wenn sich die AfD-Ost-Verbände nach rechtsaußen abgrenzen und jeglichen Rechtsextremismusverdacht ausräumen. Denn: "Solange es für die AfD keine Tabus gibt, solange manövriert sie sich selbst ins Abseits."