Streit um Rundfunkbeitrag Was bedeutet die Entscheidung in Magdeburg?
Der große Knall in Sachsen-Anhalts Kenia-Koalition ist abgewendet. Ministerpräsident Haseloff verhinderte die Abstimmung über den Rundfunkbeitrag. Der öffentlich-rechtliche Rundfunk will nun vor das Verfassungsgericht ziehen. Wie geht es weiter?
Kein Votum zum Rundfunkbeitrag - welche Folgen hat Haseloffs Entscheidung?
Am Mittwoch sollte eigentlich eine wichtige Vorentscheidung im Streit um den Rundfunkbeitrag anstehen. Dann sollte der Medienausschuss des Landtags in Sachsen-Anhalt darüber abstimmen, welches Votum er für die Abstimmung im Plenum eine Woche später empfiehlt. Diese Abstimmung ist nun abgesetzt. Dadurch, dass Ministerpräsident Reiner Haseloff nun die Vorlage zurückgezogen hat, entfallen auch alle weiteren Schritte, die zur Abstimmung über die Erhöhung des Rundfunkbeitrags hätten führen sollen bis auf Weiteres. Der Rundfunkbeitrag kann somit nicht wie vorgesehen am 1. Januar steigen. Für den Fall einer Blockade kündigten bereits einige Sender den Gang vor das Bundesverfassungsgericht an.
Ist die Kenia-Koalition nun gerettet?
Die Erklärung zum Zurückziehen der Beschlussvorlage wurde in der Koalition gemeinsam getroffen. Die Diskussionen um den neuen Rundfunkstaatsvertrag dürften aber weitergehen. Der unmittelbare Bruch der Koalition ist jedoch zunächst abgewendet, da eine Abstimmung über den Staatsvertrag im Landtag zunächst nicht stattfinden kann.
Wie geht es weiter in Magdeburg?
Unklar ist, wie lange die Regierungskoalition den nun erreichten Status Quo erhalten kann. Mögliche Szenarien zum vorzeitigen Ende der Regierungskoalition in Sachsen-Anhalt, die in den vergangenen Tagen bereits diskutiert worden waren, sind aber zunächst einmal unwahrscheinlicher geworden.
Warum streitet die Koalition überhaupt über den Rundfunkbeitrag?
Der monatliche Rundfunkbeitrag soll laut der unabhängigen Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) zum 1. Januar von 17,50 auf 18,36 Euro steigen. Der Erhöhung um 86 Cent müssen alle Bundesländer zustimmen. Fast alle Landesparlamente in Deutschland stimmten dem Medienänderungsstaatsvertrag bereits zu, nur in Sachsen-Anhalt ist sie umstritten. Kommt im Magdeburger Landtag keine Mehrheit dafür bis Jahresende zustande, scheitert das Vorhaben.
Die Kenia-Koalition aus CDU, SPD und Grünen ist in der Frage des Rundfunkbeitrags tief zerstritten. Die CDU-Fraktion im Landtag ist gegen eine Beitragserhöhung. Begründung unter anderem: Der öffentlich-rechtliche Rundfunk sei in den vergangenen Jahren zu groß und zu teuer geworden. Die Fraktion beruft sich in ihrer Argumentation auf den Koalitionsvertrag von 2016, in dem eine "Beitragsstabilität" festgeschrieben wurde. Diese interpretiert die CDU in Sachsen-Anhalt so, dass der Rundfunkbeitrag nicht steigen darf.
SPD und Grüne hingegen befürworten eine Beitragserhöhung. Nach elf Jahren sei eine Erhöhung um 86 Cent gerechtfertigt. Auch die Beitragsstabilität sei gesichert, denn die Anhebung liege unter dem Inflationsausgleich.
Die SPD will erst nach einem Beschluss zur Beitragserhöhung über mögliche Sparmaßnahmen bei ARD, ZDF und Deutschlandfunk diskutieren. Die Grünen schlugen zuletzt als Kompromiss einen Beschluss mit verzögertem Inkrafttreten vor: Demnach soll die Erhöhung des Rundfunkbeitrags um ein halbes Jahr verschoben werden.
Was will die Opposition?
Die Linkspartei will für die Beitragserhöhung stimmen, äußert aber auch Kritik am öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Die Partei will zum Beispiel die Gehälter der Intendantinnen und Intendanten der Sendeanstalten deutlich verringern.
Die AfD-Fraktion im Landtag von Sachsen-Anhalt ist klar gegen eine Beitragserhöhung und kündigte daher an, geschlossen mit Nein stimmen. Die Partei ist eine scharfe Kritikerin des öffentlich-rechtlichen Rundfunks.
Warum eskalierte der Streit?
Der Koalitionsstreit tobt seit Wochen. Die Koalitionspartner SPD und Grüne warnten die CDU-Fraktion, zusammen mit der AfD eine Erhöhung zu verhindern. Ein solches Stimmverhalten, so drohten die Koalitionspartner, würde als Koalitionsbruch gewertet werden. Vergangenen Freitag eskalierte der Streit innerhalb der CDU: Ministerpräsident Reiner Haseloff entließ seinen Innenminister, Holger Stahlknecht, der auch als CDU-Landeschef zurücktritt. Auslöser war ein Interview Stahlknechts, in dem dieser eine Minderheitsregierung ins Spiel gebracht hatte. Haseloff hatte ein solches Szenario jedoch im Vorfeld ausgeschlossen und stattdessen versucht, die Koalition mit der SPD und den Grünen zu stabilisieren. Fraglich war jedoch, ob Haseloff mit diesem Schritt auch seine eigene Fraktion wieder unter Kontrolle bekam. Offenbar gelang es ihm zumindest, auf die Abstimmung im Landtag zu verzichten. Das hätte wohl zum vorzeitigen Ende der wackeligen Kenia-Koalition geführt. Regulär wird am 6. Juni in Sachsen-Anhalt ein neuer Landtag gewählt.
Wie schaut die Bundespolitik auf den Streit?
Die Bundes-CDU will jeden Anschein einer Zusammenarbeit mit der AfD vermeiden. Entsprechende Mahnungen in Richtung Sachsen-Anhalt kommen auch aus den Ländern, etwa vom nordrhein-westfälischen Ministerpräsidenten Armin Laschet oder vom Vorsitzenden der baden-württembergischen CDU, Thomas Strobl. CDU-Parteichefin Annegret Kramp-Karrenbauer hielt sich mit öffentlicher Kritik bisher zurück - anders als im Februar in Thüringen. Damals war sie mit ihrem Versuch gescheitert, auf die Landespartei einzuwirken. Kurz darauf kündigte sie ihren Rücktritt vom Parteivorsitz an.
Diesmal übte sie stattdessen Druck auf die Koalitionspartner der CDU in Sachsen-Anhalt aus: Kramp-Karrenbauer forderte am Montag SPD und Grüne auf, sich mit der CDU zu einigen. Sie warf den Parteien ein abgesprochenes, politisches Spiel vor, das von der Bundesebene unterstützt werde. Vertreter von SPD und Grünen auf Bundesebene werfen unterdessen der CDU in Sachsen-Anhalt vor, gemeinsame Sache mit der AfD zu machen. Grünen-Chef Robert Habeck wertete den Streit zudem als Macht- und Richtungskampf innerhalb der CDU.
Was bedeutet dies für den öffentlich-rechtlichen Rundfunk?
Einzelne Rundfunkanstalten würden ohne die Erhöhung - möglicherweise existenzgefährdende - finanzielle Probleme bekommen. Allein der MDR müsste in vier Jahren insgesamt 165 Millionen Euro einsparen. In der Staatskanzlei war man zuletzt laut Medienberichten davon ausgegangen, dass dem Land ein Haftungsrisiko von 1,5 Milliarden Euro entsteht, sollte die Regierung den Vertrag eigenständig zurückziehen, wie jetzt angekündigt. Die 1,5 Milliarden Euro sind der Fehlbetrag, den die KEF trotz Einsparungen und Kürzungen für die kommenden vier Jahre im öffentlich-rechtlichen Rundfunk ermittelt hatte. Die Beitragserhöhung sollte das ausgleichen.
Wann könnte das Verfassungsgericht entscheiden?
Die öffentlich-rechtlichen Sender kündigten an, vor das Bundesverfassungsgericht zu ziehen. "Eine Verfassungsbeschwerde ist leider unausweichlich. Ohne die ausreichende, unabhängig ermittelte Finanzierung wird das Programmangebot darunter leiden, das in allen Regionen Deutschlands verwurzelt ist", teilte der ARD-Vorsitzende Tom Buhrow mit.
Wie schnell das Verfassungsgericht urteilen wird, ist dabei unklar. Als es 2007 in ähnlicher Sache eine Verfassungsbeschwerde von ARD, ZDF und Deutschlandradio verhandeln musste, lagen fast drei Jahre zwischen dem Ausgangsbeschluss und dem Urteil. Der Medienrechtler Bernd Holznagel, der auf Anfrage der SPD-Fraktion im Magdeburger Landtag ein Gutachten in dieser Frage angefertigt hatte, hält es für wahrscheinlich, dass das Bundesverfassungsgericht die Beitragserhöhung zunächst über eine einstweilige Anordnung durchsetzen könnte. Das hatte er damals auch in dem Gutachten geschrieben, das der Politik vorliegt.