Streit in Sachsen-Anhalt Wer entscheidet über den Rundfunkbeitrag?
Die Koalition in Sachsen-Anhalt streitet über den Rundfunkbeitrag. Ein Veto des Landes könnte die geplante bundesweite Erhöhung um 86 Cent stoppen. Wie kommt der Betrag zustande, welche Rolle spielt die Politik? Welcher Ausweg aus dem Streit ist möglich?
Wie kommt die geplante Erhöhung um 86 Cent zustande?
Das Verfahren zur Ermittlung des Rundfunkbeitrags ist kompliziert - bewusst, um zu vermeiden, dass Politikerinnen und Politiker dem öffentlich-rechtlichen Rundfunk kurzerhand die Budgets kürzen, wenn ihnen etwas bei ARD, ZDF oder Deutschlandradio nicht gefällt. Dass der Rundfunkbeitrag zum Januar 2021 um 86 Cent auf 18,36 Euro steigen soll, ist eine Empfehlung der KEF - das ist die Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten. In der KEF sitzen Sachverständige zu Medien, Technik und Verwaltung, aber auch Vertreter der Landesrechnungshöfe und Wirtschaftsprüfer.
Die Experten sehen sich zum einen an, welche Programme und Plattformen die Länder beauftragt haben, und zum anderen, wieviel Geld die Sender glauben, für die Erfüllung dieses Auftrags zu brauchen. Dabei spielen unter anderem die Inflationsrate und Tarifsteigerungen bei Gehältern und Honoraren eine Rolle. Und: Die KEF prüft, ob die Sender sparen könnten, etwa bei Technik oder Personal. Sie greift dann zum Rotstift. Am Ende dieses mehrjährigen Prozesses kommt eine konkrete Empfehlung heraus, nun also 18,36 Euro. Hätte die KEF all das akzeptiert, was ihr die Sender vorgerechnet haben, dann läge der Vorschlag der KEF heute bei mehr als 19 Euro. Die komplexen Berechnungen sind öffentlich.
Welche Rolle spielt die Politik in dem Verfahren?
Der Rundfunkbeitrag, über den auch tagesschau.de finanziert wird, ist im sogenannten Rundfunkfinanzierungsstaatsvertrag festgelegt. Um diesen gemeinsamen Vertrag der Länder zu ändern, müssen diese zustimmen - und zwar erst die Ministerpräsidentinnen und Ministerpräsidenten und dann auch die Landtage - und das ausnahmslos. Rundfunkpolitik erfordert 16:0-Entscheidungen. Das ist für die Sender einerseits ein Schutz vor dem Durchregieren einzelner Länder, führt aber auch bei nur einem Abweichler zu der festgefahrenen Situation, wie sich aktuell in Sachsen-Anhalt zeigt.
Für Medienrechtler ist die Zustimmung der Länder aber nur ein formaler Akt. "Das Parlament ist hier nicht frei", sagte der Medienrechtler Bernd Holznagel von der Universität Münster im rbb. "Das Parlament entscheidet nicht im freien Ermessen über die Höhe der Gebühr oder über den Programmauftrag des Rundfunks." Holznagel vergleicht den öffentlich-rechtlichen Rundfunk mit einem Wasserwerk einer Gemeinde, nur eben für Information: So wie die Kommunen für den Zugang zu sauberem Trinkwasser sorgen müssten, müssten die Länder den Zugang zu freien Informationen sicherstellen. "Das ist der Verfassungsauftrag."
Darf die Politik von der KEF-Empfehlung überhaupt nicht abrücken?
Doch, aber nur in sehr seltenen Fällen. Das Bundesverfassungsgericht hat sich mehrfach mit der Frage beschäftigt, welche Rolle die Länder bei der Festsetzung des Rundfunkbeitrags beziehungsweise der früheren Rundfunkgebühr haben. Mitte der 1980er-Jahre klagten etwa einzelne Gebührenzahler aus Bayern über die Einführung eines "Kabelgroschens", der als Teil der Gebühr in den Aufbau erster TV-Kabel-Angebote floss. Die Karlsruher Richter prüften daraufhin, ob der bayerische Landtag dem hätte zustimmen dürfen. Das Bundesverfassungsgericht kam zu der Entscheidung, dass es der "enge Zusammenhang von Programmfreiheit und Finanzausstattung" verbiete, "dem Gesetzgeber bei der Gebührenfestsetzung freie Hand zu lassen". Wie viel Geld den Sendern zustehe, sei Aufgabe der KEF. Das Urteil hat die Rolle der unabhängigen Kommission gestärkt.
Auf dieses Grundsatzurteil von 1994 haben Richter in Karlsruhe auch in späteren Entscheidungen immer wieder Bezug genommen, auch 2007, als die Höhe des Rundfunkbeitrags geprüft wurde. Allerdings erklärten die Richter, dass die Länder dann vom Vorschlag abweichen dürfen, wenn es darum geht, "die Angemessenheit der finanziellen Belastung der Gebührenzahler jenseits der Bedarfskalkulation der KEF zu wahren und damit auch die Akzeptanz der Gebührenentscheidung bei den Betroffenen zu erleichtern".
Die CDU in Sachsen-Anhalt argumentiert mit der Corona-Lage. Ist das legitim?
Tatsächlich führen die Abgeordneten der CDU-Fraktion im Landtag Sachsen-Anhalts zwei Argumente dafür an, warum sie der Erhöhung des Rundfunkbeitrags nicht zustimmen wollen. Zum einen fragen sie sich, ob es nicht mit weniger Programm und niedrigeren Gehältern geht. Nach den Urteilen des Bundesverfassungsgerichts müsste das aber an anderer Stelle eingebracht werden. Die Länderchefs könnten etwa den Auftrag kürzen, indem sie den Medienstaatsvertrag überarbeiten. Nun geht es allein um die Finanzierung des bisherigen Auftrags.
Der medienpolitische Sprecher der CDU-Fraktion, Markus Kurze, wies im NDR-Medienmagazin "ZAPP" auch darauf hin, dass ein höherer Rundfunkbeitrag in der Corona-Krise den Bürgerinnen und Bürgern und Unternehmen nicht zugemutet werden könne. Er verglich die Debatte um den Rundfunkbeitrag mit einer Debatte um das Taschengeld für Kinder: "Wenn der Vater in Kurzarbeit ist, dann kann man auch über die Frage diskutieren, ob man das Taschengeld nicht kürzen muss."
Medienrechtler Holznagel, der im November auch eine Stellungnahme für den Medienausschuss im Magdeburger Landtag geschrieben hat, ist skeptisch. Ihm fehlen "wohlbegründete Gründe". Zudem hätten andere Parlamente dieses Argument nicht derart gewichtet. Er habe eher den Eindruck, dass Corona "ein hergeholtes Argument ist, um das wirkliche Ziel durchzusetzen, nämlich Erreichung von Beitragsstabilität, Senkung der Intendantengehälter, geringeren Auftrag". Kurze will es aber darauf ankommen lassen: "Vor Gericht und auf hoher See ist man ja immer in Gottes Hand."
Zudem gibt es bereits Sonderregelungen wegen der Corona-Krise, die der Beitragsservice der öffentlich-rechtlichen Sender eingeführt hat. Betriebe, die wegen der Pandemie länger schließen müssen, können sich vorübergehend vom Beitrag befreien lassen. Rutschen Menschen in Armut, etwa weil ihr Betrieb nicht durchhält, dann können auch sie sich befreien lassen. Das galt auch schon vor Corona.
Welchen Ausweg gibt es noch für diesen Streit?
Ausgeschlossen scheinen Nachverhandlungen, wie sie die CDU in Sachsen-Anhalt zwischenzeitlich angestrebt hat. Soweit dieser Vorschlag darauf abziele, "die Beitragsanpassung jetzt nicht umzusetzen, sondern zu verschieben", könnten die anderen Länder das nicht aufgreifen, betonte die rheinland-pfälzische Medienstaatssekretärin Heike Raab. Die SPD-Politikerin koordiniert die Rundfunkkommission der Länder.
Falls Sachsen-Anhalt bei seinem "Nein" bliebe, dürften entweder Sender oder auch einzelne Länder versuchen, die Erhöhung des Rundfunkbeitrags vor dem Bundesverfassungsgericht zu erstreiten. Ein Urteil könnte Monate dauern. Allerdings hält es Medienrechtler Holznagel für denkbar, dass mit Blick auf die Bedeutung der Beitragskommission KEF und ihrer Empfehlung ein Eilverfahren zunächst die Erhöhung des Rundfunkbeitrags in Kraft setzt. Damit würden von Januar an auch ohne die Zustimmung der Länder erst mal 18,36 Euro pro Haushalt im Monat eingezogen, bis die Richter in Karlsruhe den Fall detailliert geprüft hätten.