Streit um Flottengrenzwerte Die FDP bremst bei weiterem EU-Projekt
Erst das Lieferkettengesetz, nun die CO2-Regelungen für Lastwagen: Erneut droht ein Vorhaben der gesamten EU durch ein Veto der FDP ausgebremst zu werden. Das sorgt für Kritik - diesmal auch aus der Wirtschaft.
Nachdem bereits das auf EU-Ebene fertig ausgehandelte Lieferkettengesetz am Widerstand der FDP scheitern dürfte, droht nun einem weiteren EU-Projekt die Blockade durch die kleinste der drei deutschen Regierungsparteien: Nach übereinstimmenden Informationen der Frankfurter Allgemeine Zeitung sowie der Nachrichtenagenturen dpa und Reuters legte die FDP überraschend ein Veto gegen die geplante Begrenzung des CO2-Ausstoßes bei Lastwagen und Bussen ein, die ein zentraler Baustein des EU-Klimaschutzpakets "Fit-for-55" ist.
Regierungssprecher Steffen Hebestreit bestätigte, dass über die deutsche Position zu den Plänen noch verhandelt werde. Statt - wie ursprünglich vorgesehen an diesem Mittwoch - stehe das Thema nun für Freitag auf der Tagesordnung des zuständigen EU-Gremiums. Weder das federführende Umwelt- noch das Verkehrsministerium äußerten sich zu Gründen des Aufschubs des eigentlich längst ausverhandelten Pakets.
Reuters zitiert jedoch Regierungskreise mit den Worten, Verkehrsminister Volker Wissing habe überraschend Widerstand angekündigt. Der FDP-Politiker will demnach erreichen, dass klimaneutrale sogenannte E-Fuels angerechnet werden können. Die Agentur dpa schreibt, dem Bundesverkehrsministerium gehe es um Technologieoffenheit.
In der Zwischenzeit ein FDP-Europaparteitag
Eigentlich hatten sich Unterhändlerinnen und Unterhändler der EU-Staaten bereits am 18. Januar darauf geeinigt, dass die neuen Vorgaben für sogenannte Flottengrenzwerte kommen sollen. Mit diesen Grenzwerten ist geregelt, wie viel klimaschädliches CO2 die Fahrzeuge künftig ausstoßen dürfen. Die CO2-Emissionen von Reisebussen und Lkw sollen bis 2040 um 90 Prozent sinken - verglichen mit 2019. In der Zwischenzeit hatte die FDP aber einen Europaparteitag, auf dem sich die Teilnehmer strikt gegen Flottengrenzwerte aussprachen. Konkret hieß es dort: "Wir werden die Flottengrenzwerte ersatzlos abschaffen."
Sollten sich die drei Ampel-Parteien nicht auf eine gemeinsame Position einigen können, muss sich Deutschland bei der Abstimmung auf EU-Ebene enthalten, was faktisch einem Nein gleichkommt. Ob die für das Projekt erforderlichen Stimmen ohne Deutschland zustande kommen, gilt als ungewiss, da auch andere EU-Staaten Bedenken gegen das Vorhaben in seiner jetzigen Form haben.
Kritik an der Verlässlichkeit Deutschlands
Das Vorgehen Wissings erinnert zum einen an jenes vor einem Jahr, als er das Verbrenner-Aus ab 2035 blockierte. Daraufhin gab es teils vehemente Kritik an der Bundesregierung, ihre Verlässlichkeit in europäischen Verhandlungen wurde infrage gestellt. Der ehemalige lettische Ministerpräsident Krisjanis Karins sprach auf einem EU-Gipfel von einem "sehr, sehr schwierigen Zeichen für die Zukunft". Die gesamte Architektur der Entscheidungsfindung würde auseinanderfallen, wenn alle das täten.
Zuletzt blockierten zudem FDP-Minister in der Bundesregierung eine Einigung auf das EU-Lieferkettengesetz. Auch hier hatten sich die EU-Institutionen schon länger auf einen Kompromiss verständigt. Demnach sollen etwa große Unternehmen vor europäischen Gerichten zur Rechenschaft gezogen werden können, wenn es in ihren Produktions- und Lieferketten zu Kinder- oder Zwangsarbeit kommt.
Finanzminister Christian Lindner und Justizminister Marco Buschmann (beide FDP) hatten vergangene Woche aber mitgeteilt, sie könnten die Richtlinie nicht mittragen. Damit muss sich Deutschland bei der für Freitag geplanten abschließenden Abstimmung der EU-Länder auch hier enthalten, das ganze Gesetz steht auf der Kippe.
Baerbock: "Wir verspielen Vertrauen"
Die FDP sorgt damit nicht nur auf EU-Ebene für Unmut, sondern auch innerhalb der Ampel-Koalition. Außenministerin Annalena Baerbock sagte: "Wenn wir unser einmal in Brüssel gegebenes Wort brechen, verspielen wir Vertrauen."
Dass Deutschland sich trotz früherer Zustimmung zum Lieferkettengesetz jetzt "auf den letzten Metern enthalten soll, schadet unserer Verlässlichkeit als Partner und unserem Gewicht in Europa", so die Grünen-Politikerin. Zuvor hatte schon Bundesarbeitsminister Hubertus Heil von der SPD scharfe Kritik an der FDP geübt und von einer "ideologisch motivierte Blockade" gesprochen.
Autoindustrie fordert Planungssicherheit
Und anders als beim Veto gegen das Lieferkettengesetz bekommt die FDP beim Thema CO2-Begrenzung offenbar auch keine Unterstützung aus der Wirtschaft. Der Verband der Deutschen Automobilindustrie (VDA) lobte die bereits in der EU vereinbarte Regelung zu den Grenzwerten und mahnte eine schnelle Einigung an.
Verlässlichkeit sei für die Unternehmen der deutschen Automobilindustrie von großer Bedeutung, so der VDA. "Alle politischen Akteure" sollten deshalb dafür sorgen, dass die Verordnung "noch in dieser Legislaturperiode zu einem Abschluss kommen kann und die Unternehmen rasch Planungssicherheit erhalten".
Die auf Wirtschaftsthemen spezialisierte Agentur Reuters berichtet, in Branchenkreisen heiße es, die Industrie sei verärgert über Wissing. Die Lkw-Hersteller aus Deutschland wollten Planungssicherheit und hätten bereits beim Kanzleramt interveniert.