Europawahl AfD-Hoch auf der Schwäbischen Alb
Im baden-württembergischen Burladingen hat die AfD bei der Europawahl deutlich mehr Stimmen bekommen als im Bundesschnitt. Nochmal mehr, nämlich fast 40 Prozent, gab es im Teilort Hausen. Was bewegt die Menschen dort?
Hausen im Killertal ist ein kleiner Teilort Burladingens. 1.020 Einwohner, einst landwirtschaftlich geprägt, heute wird hier nur noch ein Hof in Vollzeit betrieben. Einen Pizza-Service gibt es im Ort, Bäcker und Metzger nicht mehr. Dafür eine Grundschule, sogar mit Lehrschwimmbecken - darauf ist Ortsvorsteher Erwin Staiger stolz. Dort werden auch Kinder der Geflüchteten unterrichtet.
Im Ort seien 25 Flüchtlinge in Privathäusern untergebracht und sie seien gut integriert, sagt Staiger. Unter anderem deshalb verstehe er nicht, warum die AfD in Hausen bei der Europawahl so gut abschneidet. "Die AfD war schon vorher stark hier, aber dieses Ergebnis überrascht mich schon", sagt der parteilose Lokalpolitiker. "Wenn man mit den Leuten auf der Straße spricht, dann hat niemand für die AfD gestimmt."
Tatsächlich waren es in Hausen 39,9 Prozent all derer, die gewählt haben. Und die Beteiligung war mit 62,5 Prozent besonders hoch. Insgesamt haben in der 12.000-Einwohner-Stadt Burladingen 27,1 Prozent die AfD gewählt. Zum Vergleich: Bundesweit kam sie auf 15.9 Prozent der Stimmen.
Erwin Staiger ist bislang als parteiloser Ortsvorsteher in Burladingen-Hausen tätig, will sich aber aus der Politik zurückziehen.
Wie viel Protest?
Manche Leute in Burladingen-Hausen seien mit der Politik der Bundesregierung nicht einverstanden, beklagten sich über zu viel Bürokratie oder seien wegen des Gebäudeenergiegesetzes verunsichert, erklärt Erwin Staiger. Möglicherweise hätten viele die Europawahl als Protestwahl genutzt. Die AfD hat in Burladingen aus Staigers Sicht jedenfalls keinen expliziten Europawahlkampf gemacht.
In Baden-Württemberg fanden gleichzeitig mit der Europawahl Kommunalwahlen statt. Wofür die AfD in der Lokalpolitik stehe, wisse man, erklärt Ortsvorsteher Staiger - sie lehne zum Beispiel den Ausbau der Windkraft ab. Manch anderes blendeten ihre Wähler möglicherweise aus, mutmaßt der 75-Jährige.
"Ich kann mir nicht vorstellen, dass Menschen in meinem Alter hier AfD gewählt haben", ist er überzeugt. "Wir haben die Nachkriegszeit erlebt, wissen was es bedeutet, wenn der Nationalsozialismus regiert. Und dieser Ideologie steht die AfD in der Tendenz nahe." Ein Grund die AfD zu wählen, könnte bei manchen der lokale AfD-Vorsitzende, Joachim Steyer, gewesen sein. Er sei im Ort bei vielen beliebt.
Steyer betreibt in Hausen einen Installateur-Betrieb und sitzt für die AfD im Burladinger Gemeinderat und im Landtag. Auf die Frage, wie er sich den besonderen Erfolg seiner Partei bei der Europawahl in Burladingen erklärt, kommt er sofort auf die Flüchtlingspolitik zu sprechen. Die Menschen im Ort wüssten, dass er kein Nazi sei und nicht fremdenfeindlich.
"Allerdings wollen wir auch nicht bunt und vielfältig sein, sondern unsere Kultur bewahren", erklärt er. "Wenn ich nach Italien in den Urlaub fahre, tue ich das ja auch, weil ich dort Italiener sehen will. Das wäre sonst ja auch langweilig."
Auf Nachfrage schiebt er nach, dass die AfD auch mit anderen Punkten überzeugt habe - mit dem Thema Energiekosten und der Sorge um die Wettbewerbsfähigkeit des Wirtschaftsstandorts Deutschland. Und solche Themen seien eigentlich viel wichtiger als die Flüchtlingsspolitik.
Arbeitskräfte aus dem Ausland
Die Burladinger Unternehmerin Bonita Grupp dagegen sieht bei den Themen Zuwanderung und Wirtschaftsstandort einen direkten Zusammenhang. "Wir sind auf Arbeitskräfte aus dem Ausland angewiesen, weil wir keine geburtenstarken Jahrgänge mehr haben und es im Land zu wenig Nachwuchs gibt", gibt sie zu bedenken.
Bonita Grupp ist die Tochter von Wolfgang Grupp, der bis vor kurzem das Textil-Unternehmen Trigema leitete. Er machte mit seinen pointierten Kommentaren in Talkshows von sich Reden - und Burladingen auch über Baden-Württemberg hinaus bekannt. Heute ist Bonita Grupp in der Geschäftsführung des 1.200-Mitarbeiter-Betriebs.
"Es ist schade, dass das AfD-Ergebnis bei der Europawahl so hoch ausgefallen ist", sagt sie. "Es zeigt aber vielleicht, dass die Bevölkerung unzufrieden ist mit der Politik und sich nicht gehört fühlt."
Die Politik müsse mehr auf die Sorgen der Menschen eingehen. "Geflohene in Arbeit zu bringen, damit sie sich selbst versorgen können, ist da ein möglicher Weg", ist sie überzeugt. Vor einigen Tagen hat Trigema gemeinsam mit der Agentur für Arbeit ein Job-Speeddating für Flüchtlinge veranstaltet.
74 Menschen aus der näheren Umgebung, aber auch aus den Landkreisen Zollernalb und Sigmaringen kamen, um sich auf Stellen bei Trigema zu bewerben. Das Unternehmen sucht händeringend Lkw-Fahrer, Elektriker und Personal für Näherei und Stoffherstellung. 70 Geflüchtete arbeiten schon heute bei Trigema.
"Fremdenfeindlichkeit ist bei uns in der Firma kein Thema", beteuert Bonita Grupp. "Es gab hier keine feindseligen Vorfälle und ich habe auch von keinen gehört, die unsere Mitarbeiter außerhalb der Firma erlebt haben."
Viele Unternehmen setzen sich für Integration ein
Die Caritas des Dekanats Zollern hat das Speeddating mit veranstaltet. Deren Geschäftsführer Michael Widmann betont, dass es auch bei den Kleinbetrieben und Mittelständlern viele Unternehmen gebe, die sich in Burladingen für die Integration der Geflüchteten einsetzen. "Die Geflohenen fühlen sich relativ sicher in Burladingen", ist seine Einschätzung.
Und das, obwohl der Burladinger Teilort Killer vergangenes Jahr bundesweit mit dem Protest gegen die Unterbringung von Geflüchteten in einem alten Gasthof Schlagzeilen machte. Das sei eine einmalige Sache gewesen, sagt Widmann. Die AfD habe das Thema künstlich aufgebauscht, viele der Protestierenden seien gar keine Burladinger gewesen.
Schon Jahre zuvor hatte der damalige Bürgermeister der Stadt für Aufsehen gesorgt. Er war als Parteiloser gewählt worden und später der AfD beigetreten - was einen kommunalpolitischen Streit auslöste und schließlich mit dem Rücktritt des Bürgermeisters endete.
Die Frage, wie viele AfD-Wähler in Burladingen der Partei tatsächlich ideologisch nahestehen, scheint schwer zu beantworten. "Die sozialen Probleme sind dort nicht so drängend wie in anderen AfD-Hochburgen", erklärt Wahlforscher Frank Brettschneider von der Universität Hohenheim. "Oft aber werden nicht konkrete Probleme, sondern das abstrakte Fremde als Bedrohung wahrgenommen."
Auch er vermutet, dass es in Burladingen einen besonders hohen Anteil an Protestwählern gegeben haben könnte. Dazu käme, dass im gesamten Landkreis Zollernalb traditionell sehr konservativ gewählt werde.
Traditionell konservative Region
Die Burladinger Unternehmerin Bonita Grupp hat bei der Kommunalwahl als Parteilose auf der CDU-Liste kandidiert und wurde am 9. Juni in den Kreisrat gewählt. Bei Trigema geht sie nun mit Blick auf die Geflüchteten noch einen Schritt weiter: Direkt neben dem Firmengelände sollen in einem Containerdorf 21 Flüchtlinge unterkommen - und bestenfalls bald in der Fabrik arbeiten. "Wir suchen aktiv unter den Geflüchteten nach Personal, weil das zur Integration dieser Menschen beiträgt und gleichzeitig uns als Firma hilft", ist das Credo von Grupp.
Und wie denkt der lokale AfD-Vorsitzende darüber? "Ich kann das nicht gutheißen", sagt Joachim Steyer. Zu seinen Gründen wolle er sich nicht äußern.
"Da will man sich vermutlich nicht gegen einen angesehenen lokalen Arbeitgeber positionieren", erklärt Wahlforscher Brettschneider sich die Zurückhaltung bei einem Kern-Thema der AfD, das außerdem gerade in Burladingen lokalpolitisch eine Rolle spielt. Hinzu käme, dass die AfD keine Antwort auf das Problem habe, dass die deutsche Wirtschaft tatsächlich ausländische Arbeitskräfte braucht.
Die Auseinandersetzung mit der AfD habe für ihn bisher keine große Bedeutung gehabt, sagt Ortsvorsteher Erwin Staiger. Denn zwar hätten die Hausener bei der Gemeinderats- und Europawahl der AfD gute Ergebnisse beschert und Joachim Steyer wohne in der Nachbarschaft. Für den Ortschaftsrat aber habe es bisher keine AfD-Kandidaten gegeben.
Staiger selbst wird sich nun aus der Politik zurückziehen und sich nicht noch einmal als Vorsteher bewerben. Über den Umgang mit der AfD müssen nun andere entscheiden.