Psyche und Landwirtschaft Wenn das Landleben auf der Seele lastet
Burnout, depressive Phasen oder sogar Suizid - all das gibt es auch in der Landwirtschaft. Wie viele Menschen dort betroffen sind, wird in Deutschland bisher nicht statistisch erfasst.
Die vergangenen Wochen waren für Christa und Hansjörg Henzler mal wieder eine stressige Zeit. Das Ehepaar betreibt in Denkendorf bei Esslingen einen Hof mit Hühnern, Schweinen und Rindern. Dringend hätten sie schon im Mai ihre Wiesen mähen müssen, weil sie das Gras als Futter für ihre Milchkühe brauchen. Doch weil es ständig regnete, war das nicht möglich.
Ohne Gras aus eigenem Anbau müssen sie Futter teuer einkaufen - Kosten, die eigentlich nicht einkalkuliert sind. "Und dann liegst Du abends im Bett und denkst: Warum regnet es schon wieder? Und diesen Stress musst Du aushalten können." So beschreibt Christa Henzler den Druck, der in solchen Phasen auf ihr lastet. Und der ließ erst jetzt etwas nach, als es sommerlich wurde. Nun können sie mähen - Ende Juni, zu einer Zeit, für die eigentlich schon der zweite Schnitt des Jahres geplant war.
Geldsorgen und keine Wertschätzung
Die ganz große Krise aber haben die Henzlers schon vor 25 Jahren erlebt. Damals übernehmen die beiden den Hof von Hansjörg Henzlers Eltern. "Das Geschäft lief schlecht, wir lebten in ständiger Existenzangst. Der Hof war damals völlig heruntergewirtschaftet", erzählt Christa Henzler.
Sie und ihr Mann waren als Agrarwissenschaftler frisch von der Fachhochschule gekommen, hatten Ideen für Veränderungen. Doch die Eltern waren noch auf dem Hof und sträubten sich dagegen. Das Schlimmste sei gewesen, dass sie keine Wertschätzung bekommen hätten, sagen die beiden.
"Ich war vielleicht auch nicht die Schwiegertochter, die man sich gewünscht hat", vermutet Christa Henzler. "Und dann auch noch eine, die sagt, was hier alles schief läuft."
Schließlich litt auch die Ehe der beiden. "Wenn das Geld knapp ist, ist das schon schwierig", sagt Hansjörg. "Wir haben damals oft gestritten."
Den Hof gerettet - und die Ehe auch
Irgendwann konnte Christa die Situation nicht mehr ertragen. "Ich habe deutlich gesagt, dass ich das nicht mehr mitmache und gehe", erinnert sie sich. Dann entdeckte ihr Mann in der Zeitung den Hinweis auf eine Beratungsstelle. Christa rief dort an.
Schon zwei Tage später besuchte sie ein Berater der Landwirtschaftlichen Familienberatung des Katholischen Landvolks. Noch immer haben sie zu ihm Kontakt, auch heute sitzen sie mit ihm zusammen bei einer Tasse Kaffee. Michael Wehinger ist systemischer Coach und Agraringenieur. Und so konnte er den Henzlers bei all ihren Problemen helfen - mit betriebswirtschaftlichen Tipps und psychologischem Rat.
"Wir selbst haben nur noch das Schlechte gesehen", sagt Christa Henzler. "Er hatte den Blick von außen und hat unsere Aufmerksamkeit auf das gelenkt, was wir schon erreicht hatten. Das war das Wichtigste", ist sie überzeugt. So hat Wehinger den Hof gerettet - und vermutlich auch die Ehe.
Risiko vermutlich besonders hoch
In der Landwirtschaft ist das Risiko einer seelischen Erkrankung vermutlich besonders hoch. Es gebe in Deutschland keine verlässlichen Zahlen dazu, sagt Wehinger. Aber Umfragen deuten darauf hin. Und in Frankreich beispielsweise gelte eine Tätigkeit in der Landwirtschaft als besonders großes Risiko für einen Suizid.
"Viele Landwirte arbeiten gefühlt 24 Stunden und haben das Gefühl nie fertig zu werden", erklärt Wehinger. Gleichzeitig hätten viele Landwirte ein Problem damit, sich Hilfe zu holen. "Da gibt es eine Mentalität: Wir kriegen alles hin", beschreibt der Coach die mögliche Ursache. "Das ist ja auch eine große Stärke, die große Leidensfähigkeit."
Mangelnde Bereitschaft, Hilfe anzunehmen
Auch Christa Henzlers Bruder litt still. Er hat sich vor einigen Jahren das Leben genommen. Auch er war Landwirt. "Vielleicht war es innerlich nicht der Beruf, den er wirklich von Herzen gemacht hat", vermutet seine Schwester. Er habe nie eine Wahl gehabt, die Familie habe ihn in die Rolle des Hof-Nachfolgers hineingedrängt.
Nach dem Tod ihres Bruders hat Christa Henzler den Beschluss gefasst, selbst Familien zu helfen, die in der Landwirtschaft in eine Krise geraten. Ehrenamtlich arbeitet sie bei der Beratung mit, sie hat sich dafür eigens zwei Jahre lang schulen lassen. Sie wünscht sich, dass noch mehr für die Beratungsangebote geworben wird, damit möglichst viele Hilfe bekommen, die sie brauchen.
Christa und Hansjörg Henzler haben vier Kinder. In ihrer eigenen Familie haben sie versucht, keinen Druck aufzubauen, was die Nachfolge auf dem Hof betrifft. Sohn Jakob hat aus freien Stücken entschieden, ihn zu übernehmen.
"Ich ziehe den Hut vor der Leistung meiner Eltern", sagt er. Zwar nimmt er an, dass das Leben als Landwirt in Zukunft nicht leichter werden wird. Doch gerade die Geschichte seiner Eltern motiviere ihn. Sie hätten ihm gezeigt, dass man Krisen meistern könne.
Wenn Sie selbst Sorgen und Probleme haben, können Sie sich an eine Beratungsstelle der Landwirtschaftlichen Familienberatungen und Sorgentelefone wenden.