Studie der Robert Bosch Stiftung Lehrkräfte sehen mehr Armut bei Schülern
Keine Sportkleidung, nicht genug Geld für Schulausflüge: Die Armut unter Schülern nimmt laut einer Befragung von Lehrkräften zu. Eine Schule in Heidelberg versucht, dem entgegenzuwirken.
"Good morning everyone" singen die Kinder und sitzen im Kreis auf dem Boden. Musikalisch lernen sie hier Englisch, jeden Morgen beginnt Lehrerin Amelie Bartmann mit ihrer Klasse so den Tag. Es ist eine zweite Grundschulklasse an der Waldparkschule in Heidelberg - einer Gemeinschaftsschule, an der man den Hauptschul- und den mittleren Schulabschluss machen kann.
Die Grundschüler sind noch weit entfernt von Teenager-Diskussionen um teure Markenkleidung. Und doch sei die Trennung in Arm und Reich schon in diesem Alter spürbar, berichtet Bartmann. Oft hätten die Kinder nicht das nötige Arbeitsmaterial, manche kämen mit zu wenig oder ganz ohne Essen in die Schule. "Dann überstehen sie den Tag nicht so gut wie die anderen. Sie können ihre kognitive Leistungsfähigkeit gar nicht abrufen, weil sie Hunger haben."
Grund könnte schlicht Überforderung der Eltern sein, möglicherweise aber auch fehlendes Geld. Armut werde mehr und mehr zum Tabuthema für die Kinder, je älter sie werden, so Bartmanns Erfahrung. Dabei seien die Anzeichen oft nicht zu übersehen. Zum Beispiel bei Aktivitäten im Freien und Schulausflügen: Manchmal sei die Kleidung nicht ans Wetter angepasst, einige Kinder trügen Schuhe, die längst zu klein seien. Alles nur Indizien für Armut - aber starke.
Mehr Kinder machen sich Sorgen
Nach genau solchen Hinweisen hat auch die von der Robert Bosch Stiftung in Auftrag gegebene Studie gefragt. In einer Umfrage unter 1.032 Lehrkräften an allgemein- und berufsbildenden Schulen in Deutschland, durchgeführt vom Meinungsforschungsinstitut forsa.
37 Prozent der Befragten gaben an, dass Kinder häufiger als im Vorjahr mit unzureichendem Schulmaterial oder ohne Sportkleidung in den Unterricht kommen. 18 Prozent sagen, dass Kinder zunehmend nicht an Schulausflügen teilnehmen. 33 Prozent erleben, dass Kinder sich vermehrt Sorgen um die finanzielle Situation ihrer Familie machen.
Besonders häufig wurden solche und ähnliche Indizien an Förderschulen, Gesamtschulen und an Haupt- und Realschulen beobachtet. Dagmar Wolf von der Robert Bosch Stiftung fordert deshalb eine bedarfsdeckende Kindergrundsicherung.
Wichtig sei aber auch, dass Pädagogen eine "armutssensible Haltung" hätten: "Sie müssen nicht nur in der Lage sein, die Auswirkungen von Armut auf Kinder und Jugendliche zu erkennen, sondern auch Stigmatisierungen entgegenwirken."
Armut gefährdet den Schulerfolg
Die Waldparkschule in Heidelberg wurde für ihr pädagogisches Konzept 2017 mit dem Deutschen Schulpreis ausgezeichnet. Auch für das Thema Armut haben sie hier Konzepte erarbeitet. Die Lehrkräfte arbeiten mit der Schulsozialarbeiterin Anja Dorsch zusammen - unter anderem auch, um zu erreichen, dass Kinder aus finanzschwachen Familien dieselben Chancen haben wie allen anderen. Denn Armut könne den Schulerfolg gefährden.
"Man muss sich das so vorstellen wie einen Sportler, der einfach zusätzlich zu dem, dass er trainiert und alles gibt, was er hat, noch einen schweren Rucksack auf hat", erklärt Anja Dorsch. Wer eine solch schwere Bürde trage, sei immer langsamer als die anderen. Gemeint sind auch Faktoren wie ein fehlender eigener Arbeitsplatz in der kleinen Wohnung der Familie oder eine möglicherweise ungesunde Ernährung. "Da gilt es natürlich zu schauen: Wie können wir diese Rucksäcke etwas leichter machen?"
Oft ist die Scham groß
Sozialarbeiterin Dorsch und die Lehrkräfte machen Hilfsangebote in der Schule. Wer keine Stifte oder anderes Arbeitsmaterial dabei hat, kann es in der Schule ausleihen. Offiziell gilt dieses Angebot auch für alle, die ihr Material schlicht vergessen haben - ein Weg, Stigmatisierung durch Armut zu verhindern.
Schulausflüge plant die Waldparkschule immer so, dass sie möglichst wenig kosten. Wer dennoch finanzielle Unterstützung braucht, dem hilft die Schule dabei, sie bei Behörden oder Stiftungen zu beantragen.
Hilfsangebote, die Schülersprecher Emil Schilling gut findet. Er sieht dennoch ein Problem: Es gebe zu viele Schülerinnen und Schüler, die zwar bedürftig seien, aber es nicht wagen, das auch zuzugeben. "Das ist dann schon eine große Last zum Lehrer zu gehen und zu sagen: Uns geht es zuhause nicht so gut, wir brauchen Subventionen vom Staat", sagt Schilling. Scham sei vielleicht sogar das größte Problem. Ist sie zu groß, könnten auch Hilfsangebote nichts ausrichten.