Studie zu Kosten von Kinderarmut "Wer bei Kindern spart, zahlt später drauf"
Während die Politik darüber streitet, wie teuer die Kindergrundsicherung werden darf, zeigt ein Gutachten: Die Folgekosten von Kinderarmut sind hoch, etwa durch Adipositas. Die Diakonie fordert deshalb 20 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung.
In der Diskussion um die geplante Kindergrundsicherung fordert Diakonie-Präsident Ulrich Lilie, bei dem Vorhaben nicht zu viel zu sparen. Er sagte bei der Vorstellung einer Studie zu den gesellschaftlichen und finanziellen Folgekosten von Kinderarmut: "In der Diskussion über die Kindergrundsicherung dürfen nicht nur die kurzfristigen Sparzwänge im Bundeshaushalt eine Rolle spielen." Wer jetzt spare, zahle später drauf.
Kinderarmut koste den Staat und damit die Bevölkerung langfristig das Vielfache einer angemessenen Existenzsicherung für alle Kinder, erklärte Lilie. Gesunde und gut ausgebildete Kinder hätten deutlich bessere Chancen, als Erwachsene ihren Lebensunterhalt zu verdienen als Kinder, die mit staatlichen Hilfen groß werden.
Gesundheit, Bildung, soziale Teilhabe
Das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW), das das Gutachten im Auftrag der Diakonie erstellt hat, verweist auf eine OECD-Studie, wonach sich die gesamtgesellschaftlichen Kosten vergangener und aktueller Kinderarmut in Deutschland im Jahr 2019 auf etwa 3,4 Prozent des Bruttoinlandsprodukts beliefen, also mehr als 100 Milliarden Euro.
"Wir müssen auch über die mittel- und langfristigen Belastungen für Staat und Steuerzahler sprechen, die sich zwangsläufig ergeben, wenn wir nicht frühzeitig in alle Kinder investieren", mahnte Lilie. Das Gutachten geht auf die Folgekosten in den Bereichen Gesundheit, Bildung und soziale Teilhabe ein. So lagen 2016 alleine die direkten und indirekten Kosten im Zusammenhang mit Adipositas - also starkem Übergewicht -, deren Risiko durch Kinderarmut steige, bei jährlich mehr als 60 Milliarden Euro.
Der oft schlechtere Zugang zur Bildungsangeboten für betroffene Kinder führe zu niedrigeren Bildungsabschlüssen und erhöhtem Risiko von Arbeitslosigkeit. Die langfristigen Kosten, die etwa aus ausbleibenden Steuer- und Sozialabgaben sowie zusätzlichen Transferleistungen resultierten, beziffert die Studie mit 1,5 Milliarden Euro - alleine für Personen nur eines Jahrgangs mit unzureichender Bildung. Die Kosten mangelnder sozialer Teilhabe seien nur schwer quantifizierbar.
Mindestens 20 Milliarden Euro für Kindergrundsicherung
Drei mögliche Lösungsvorschläge tauchen in der Studie auf: Eine Entbürokratisierung der Leistungen, die dazu führen soll, dass der Kinderzuschlag auch von allen in Anspruch genommen wird, denen er zusteht; außerdem kinderbezogene zusätzliche Transferleistungen von einmal 50 Euro monatlich pro Kind und als dritte Möglichkeit 100 Euro pro Kind. Das dritte Szenario sei laut Gutachten am wirksamsten.
Lilie forderte in Anbetracht dieser Ergebnisse Ausgaben von mehr als 20 Milliarden Euro für die Kindergrundsicherung. Über die Finanzierung des Vorhabens liefern sich aber Bundesfinanzminister Christian Lindner und Familienministerin Lisa Paus derzeit einen Streit. Paus hatte die Kosten anfänglich auf zwölf Milliarden Euro pro Jahr beziffert, sprach zuletzt aber von bis zu sieben Milliarden Euro. In der von Lindner vorgelegten Finanzplanung für 2025 ist bisher nur ein "Platzhalter" von zwei Milliarden Euro enthalten.
Kindergrundsicherung soll vererbte Armut durchbrechen
DIW-Präsident Marcel Fratzscher sprach sich ebenfalls für die Kindergrundsicherung aus. "Studien zeigen, dass Armut oft von Generation zu Generation weitergegeben wird, diese Entwicklung gilt es zu durchbrechen", erklärte Fratzscher. "Ein Schlüssel dazu liegt in der Kindergrundsicherung." Er forderte einen Garantiebetrag, der möglichst das Kindergeld von 250 Euro übersteigen sollte, "sodass jedes Kind unabhängig vom Einkommen der Eltern abgesichert ist".
Hinzu komme ein einkommensabhängiger Betrag und andere Leistungen für Bildung und Teilhabe, etwa für Klassenfahrten, Sportverein und Musikschule. Er sprach von einer der "wichtigsten Zukunftsinvestitionen". Sie sei auch Grundlage für mehr Fachkräfte.
In Deutschland ist laut einer Bertelsmann-Studie mehr als jedes fünfte Kind armutsgefährdet. Besonders betroffen sind demnach Familien mit drei und mehr Kindern sowie Kinder von Alleinerziehenden.