Bündnis Sahra Wagenknecht Auf Linie mit der russischen Propaganda
Das Bündnis Sahra Wagenknecht ist mit Blick auf den Krieg in der Ukraine schon mehrmals mit Falschbehauptungen aufgefallen - stets im Sinne des Kremls. Für Russland ist das BSW ein wichtiger Multiplikator.
"Russland hat faktisch kein Interesse daran, in die Ukraine einzumarschieren", sagte Sahra Wagenknecht in der ARD-Sendung Anne Will am 20. Februar 2022. "Wir können heilfroh sein, dass der Putin nicht so ist, wie er dargestellt wird: ein durchgeknallter russischer Nationalist, der sich daran berauscht, Grenzen zu verschieben." Auch ihre Parteikollegin Sevim Dagdelen sprach wenige Tage vor der russischen Invasion von "Lügenmärchen des US-Geheimdienstes". Am 24. Februar bewies der russische Präsident Wladimir Putin das Gegenteil.
Auch wenn Wagenknecht ihren Irrtum später einräumte, zeigt dieses Beispiel, wie sie und viele weitere Mitglieder ihrer Partei Bündnis Sahra Wagenknecht (BSW) mit ihren Einschätzungen zu Russland und dem Angriffskrieg in der Ukraine daneben lagen und liegen.
Dennoch machte Wagenknecht gestern deutlich, dass mögliche Koalitionen mit dem BSW von der Haltung der Partner zum Krieg in der Ukraine abhängig gemacht werden - und sprach sich dabei erneut gegen Waffenlieferungen aus.
Falschaussagen zum Krieg in der Ukraine
"Es gibt verschiedene Desinformationsmethoden, die bei Wagenknecht und ihren Parteimitgliedern auffallen", sagt Klaus Gestwa, Direktor des Instituts für Osteuropäische Geschichte und Landeskunde an der Universität Tübingen. Ungeniert würden Falschaussagen zum Krieg in der Ukraine verbreitet.
So suggerierte Wagenknecht beim ZDF-Polittalk von Maybrit Illner, das Kiewer Krankenhaus Ochmatdyt sei nicht von einer russischen Rakete getroffen worden, sondern mutmaßlich von Trümmerteilen einer ukrainischen Flugabwehrrakete. Dabei gilt es als ziemlich sicher, dass die Kinderklinik von einer russischen Rakete des Typs Kh-101 (Ch-101) getroffen wurde. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem die vorläufige Untersuchung des UN-Menschenrechtsbüros.
Kurze Zeit zuvor hatte das BSW bei Instagram eine Grafik gepostet mit dem Satz: "Regierung ignoriert Mehrheit: 72% Ukrainer wollen Verhandlungen statt Waffen!" Auch das war falsch. Denn in der Umfrage des Kiewer Internationalen Instituts für Soziologie (KIIS), auf die sich in dem Post bezogen wird, sprachen sich 72 Prozent der Befragten für eine diplomatische Lösung zusätzlich zu militärischen Hilfen aus - nicht stattdessen. Weitere 23 Prozent meinten sogar, dass der Krieg nur militärisch durch einen Sieg über Russland beendet werden könne. Der Fehler wurde später im Text zum Posting korrigiert.
Rüstungsausgaben niedriger als behauptet
Ebenfalls bei einer Polittalkshow hatte Wagenknecht behauptet, dass der deutsche Rüstungshaushalt bei 90 Milliarden Euro liege. Auch das ist nicht richtig. Der Verteidigungshaushalt für das laufende Jahr liegt regulär bei 51,95 Milliarden Euro, hinzu kommen 19,8 Milliarden Euro aus dem Sondervermögen für die Beschaffung von militärischer Ausrüstung. Das macht insgesamt knapp 72 Milliarden Euro.
Diese werden jedoch nicht allein für Rüstungsgüter ausgegeben, wie Wagenknecht sagte, sondern auch für Betriebskosten, zum Beispiel fürs Personal. Auch Betreiberverträge zur Weiterentwicklung der Bundeswehr und Versorgungsausgaben fallen darunter. Zwar gab die Bundesregierung gegenüber der NATO an, für Verteidigung und Sicherheit insgesamt 90,6 Milliarden Euro auszugeben, behilft sich dabei allerdings mit Rechentricks: So sollen unter anderem auch Zinsen für Rentenzahlungen oder Entwicklungshilfeausgaben mit einberechnet sein.
Des Weiteren verbreitete BSW-Parteimitglied Metin Kaya die von Russland in Umlauf gebrachte Falschbehauptung, Frankreich habe Truppen in die Ukraine geschickt. Auch hierfür gibt es keinerlei Beweise. Das französische Verteidigungsministerium hat diese Behauptung bereits mehrfach dementiert, auch auf Anfrage des ARD-faktenfinders. Seinen Post hat Kaya wieder gelöscht, doch er wurde zuvor von anderen aus der Partei, auch von Wagenknecht selbst, verteidigt.
"Wagenknecht und ihre Parteikollegen fungieren wie deutsche Verstärker der Kreml-Narrative, indem sie solche Falschinformationen aufgreifen und diesen so eine besondere Resonanz sowie Nachhaltigkeit verschaffen", sagt Osteuropaexperte Gestwa.
Auf Linie mit dem Kreml
Das BSW arbeite bei der Verbreitung prorussischer Narrative nicht nur mit Falschbehauptungen, sagt Gestwa. So versuchten Wagenknecht und Co. mit Blick auf den Krieg in der Ukraine immer wieder, bei für sie unliebsamen Themen Zweifel zu säen.
Nicht nur beim Angriff auf das Kiewer Kinderkrankenhaus stellte Wagenknecht die offizielle Version infrage und brachte weitere vermeintliche Varianten in den Diskurs ein; auch die Gräueltaten von Butscha wurden von einigen BSW-Mitgliedern wie Thomas Geisel zumindest relativiert. Die so produzierten diskursiven Nebelschwaden sollen verhindern, das Offenkundige zu thematisieren und Russland vor schweren, aber berechtigen Anschuldigungen in Schutz zu nehmen, so Gestwa.
Zitate aus dem Zusammenhang gerissen
Auch bei weiteren Aspekten liegen die Aussagen von Mitgliedern des BSW auf einer Linie mit der des Kremls. Dabei werden einzelne Zitate aus dem Zusammenhang gerissen, um die eigene Position zu stützen. So hat Wagenknecht bereits mehrfach behauptet, dass die Verhandlungen über einen Waffenstillstand im Frühjahr 2022 angeblich vom Westen torpediert worden seien. Sie stützt sich dabei unter anderem auf Aussagen des früheren israelischen Premierministers Naftali Bennett und dem Leiter der ukrainischen Verhandlungsdelegation, David Arachamija.
Allerdings sind die Aussagen von beiden aus dem Kontext gerissen. Sowohl Bennett als auch Arachamija haben nicht den Westen für das Scheitern der Verhandlungen verantwortlich gemacht, sondern mehrere Gründe angeführt. So blieben unter anderem wichtige Fragen ungeklärt, besonders die von der Ukraine geforderten internationalen Sicherheitsgarantien, um zukünftige russische Überfälle zu verhindern. Zudem kamen die Massaker von Butscha ans Licht. Dies lassen Wagenknecht und ihre Parteimitglieder jedoch stets unerwähnt.
"Bei ihrer Rosinenpickerei suchen sie nach einem halbwegs passend erscheinenden Satz, lösen diesen aus dem eigentlichen Interviewzusammenhang heraus und nutzen das so verzerrte Zitatschnipsel als Beweis für ihre politische Botschaft", sagt Gestwa. Genau die so vermeintlich belegten Narrative, der Westen habe einen frühzeitigen Friedensschluss verhindert und lasse durch seine Waffenlieferungen an die Ukraine den Krieg unentwegt eskalieren, sorgten für eine Täter-Opfer-Umkehr, wie sie auch der Kreml betreibe, um nicht als alleiniger Kriegstreiber zu erscheinen.
"Russische Diktat-Friedensbewegung"
Die Friedensappelle des BSW sind aus Sicht von Gestwa daher kaum glaubwürdig. Als Putin unlängst erneut verkündete, die Ukraine müsse für ein Friedensabkommen unter anderem mehr als ein Fünftel seines Staatsterritoriums an Russland abtreten, sprach Wagenknecht von nachvollziehbaren Forderungen. Gestwa erklärt daher: "Wenn man dieses Bündnis als Friedensbewegung bezeichnen möchte, dann als russische Diktat-Friedensbewegung."
Nicht nur die verbreiteten Narrative zeigten eine klare prorussische Haltung Wagenknechts und ihrer Parteimitglieder. "Sehr aufschlussreich ist zugleich, was sie nicht thematisieren - die zahlreichen Gräueltaten der russischen Armee und Besatzungsmacht gegenüber der ukrainischen Bevölkerung. Diese verdeutlichen, dass es Russland nicht um die angebliche Wahrung seiner Sicherheitsinteressen geht, sondern um imperialen Landraub und um die unbedingte Ausmerzung alles Ukrainischen", sagt Gestwa.
Über den militanten Anti-Ukrainismus der Kremleliten verliere das BSW keine Silbe und übernehme sogar deren irrige Sicht, die Ukraine sei kein eigenständig handelnder politischer Akteur, sondern lediglich eine Marionette des Westens. Auf Anfrage des ARD-faktenfinders antwortete das BSW nicht.
Wagenknecht für russische Propaganda interessant
Diese Einseitigkeit sorge auch dafür, dass Wagenknecht für die russische Propaganda eine wichtige Akteurin sei, sagt Julia Smirnova, Senior Researcher am Institute for Strategic Dialogue Germany (ISD). "Die Posts von Sahra Wagenknecht zur Ukraine oder zum Beispiel den Sanktionen gegen Russland haben eine ziemlich große Reichweite." Gerade mit Blick auf die Sperrung russischer Staatsmedien sei das für Russland daher sehr nützlich.
"Es gibt auf jeden Fall Ähnlichkeiten in der Argumentation zwischen Wagenknecht und prorussischen Medien", sagt Smirnova. Russische Propagandakanäle würden daher oft auf Aussagen Wagenknechts zurückgreifen und sie weiter verbreiten. Auch der Boykott der Rede des ukrainischen Präsidenten Wolodymyr Selenskyj im Bundestag von BSW und AfD wurde großflächig aufgegriffen.
Zudem hätten russische Staatsmedien in den Monaten vor der Europawahl vor allem positiv über das BSW und die AfD berichtet. "Dabei ging es darum, die angebliche Popularität von den beiden Parteien noch einmal zu verstärken", sagt Smirnova. Das BSW sei als antiimperialistische Kraft dargestellt worden, die zum Beispiel enttäuschten Sozialdemokraten eine neue Heimat bieten könne.
Auch im Zuge der verdeckten Doppelgängerkampagne wurden demnach mithilfe von Anzeigen auf Facebook sowohl die AfD als auch das BSW unterstützt. "Das ist eine Fortsetzung der langjährigen Strategie der russischen Propaganda, populistische, russlandfreundliche politische Kräfte in Europa zu unterstützen, sowohl links als auch rechts."