AfD-Präsentation "Studie" mit Fehlern
Mit einer "Studie" will die AfD dokumentieren, wie katastrophal die Lage in Deutschland sei. Doch wissenschaftlichen Standards genügt die Präsentation nicht, außerdem ist sie fehlerhaft.
"Wie es wirklich um Deutschland steht - Fakten statt Fake News" - so hat die AfD eine "Studie" benannt, die Parteichef Jörg Meuthen und der hessische Fraktionschef Robert Lambrou am Montag in Wiesbaden vorgestellt haben.
Auf 127 Seiten präsentiert die Partei zahlreiche Zahlen vom Statistischen Bundesamt, dem BKA oder aus Presseberichten und Leserbriefen. Einige Behauptungen lassen sich kaum überprüfen, andere sind irreführend oder unvollständig. Einige Beispiele:
"Menschengemachter Klimawandel"
Die AfD behauptet ohne eine Quellenangabe, ein menschengemachter Klimawandel lasse "sich bislang wissenschaftlich nicht beweisen". Klimawandel habe es schon immer gegeben "und wird es immer geben". Richtig ist, dass es schon immer Klimaschwankungen gab. Aber Schweizer Forscher belegten einen entscheidenden Unterschied: Noch nie gab es einen Temperaturanstieg auf der ganzen Welt gleichzeitig.
Zudem liegen zahlreiche Studien zum Einfluss des Menschen auf den Klimawandel vor. Die Seite Klimafakten stellt dazu fest: "Es ist wissenschaftlich gesichert und gut belegt, dass der Mensch Hauptverursacher der bereits laufenden globalen Erwärmung ist. Diesem Konsens stimmen Wissenschafts-Akademien aus 80 Ländern zu, außerdem viele weitere wissenschaftliche Organisationen und - laut mehrerer Studien - rund 97 Prozent der Klimawissenschaftler."
Mittlerweile sind sich 99 Prozent der Fachleute einig
Die AfD hatte den wissenschaftlichen Konsens in dieser Frage kürzlich bereits in einer Kleinen Anfrage an die Bundesregierung bezweifelt. Die Bundesregierung antwortete, dass eine neue Metastudie aus dem Jahr 2016 sogar zu einer noch höheren Übereinstimmung komme. In 54.195 durch Fachkollegen geprüften (peer reviewed) wissenschaftlichen Artikeln von 1991 bis 2015 bejahten 99,94 Prozent den menschengemachten Klimawandel.
"Vor dem Hintergrund dieser neueren Erkenntnisse vertritt die Bundesregierung nunmehr die Auffassung, dass rund 99 Prozent der Wissenschaftler, die Fachaufsätze zum Klimaschutz veröffentlichen, der Überzeugung sind, dass der Klimawandel durch den Menschen verursacht ist", heißt es in der Antwort auf die Anfrage.
Insektenkiller Windkraft?
Im Bezug auf Windräder behauptet die AfD, jährlich würden "1.200 Milliarden Insekten" getötet. Was sie nicht erwähnt: Die Wissenschaftler, die diese Modellrechnung erstellten, schränkten die Aussagekraft selbst ein. Man könne daraus weder "ableiten, dass die Windenergie eine nennenswerte Rolle beim Insektenschwund spielt, noch dass sie daran unbeteiligt ist".
Die Modellrechnung berücksichtigt zudem nur wenige Faktoren und beruht auf Vermutungen und groben Schätzungen, weshalb sie in der Fachwelt kritisiert wurde. Insektenforscher Lars Krogmann sagte der dpa: "Wir kennen die Gesamtzahl aller Insekten nicht einmal annähernd. Deswegen würde ich es für eine gewagte These halten, dass die errechnete Zahl der durch Windräder getöteten Fluginsekten relevant für die gesamte Population sei." Man könne ebenso annehmen, dass die mehr als 40 Millionen Autos in Deutschland "insgesamt Mitschuld am Insektensterben haben, wenn sie während der Fahrt Tiere töten".
Experten des Bundesumweltministeriums sagten außerdem, der Ausbau der Windenergie sei erst im vergangenen Jahrzehnt in der Fläche vorangetrieben worden - und könne somit für langfristige Rückgänge gar nicht verantwortlich sein.
685 Prozent mehr Morde von Zuwanderern? Falsch
Einen großen Teil der AfD-Präsentation nimmt die Kriminalität ein. So heißt es beispielsweise:
102 Deutsche wurden 2018 von Zuwanderern ermordet (2017: 13). Das ist eine Steigerung von 685 %.
Diese Zahlen stammen aus dem BKA-Lagebild "Kriminalität im Kontext von Zuwanderung" - die Prozentrechnung von der AfD. Einen wichtigen Hinweis des BKA lässt die AfD aber weg. So wurden die Opfer des Anschlags am Breitscheidplatz vom Dezember 2016 "aufgrund der Erfassungsmodalitäten" in der Statistik für 2018 erfasst - und zwar "unabhängig vom Verletzungsgrad als Opfer eines vollendeten Tötungsdelikts".
Das heißt: Neben den sieben deutschen Todesopfern des islamistischen Anschlags wurden auch 75 Verletzte in der Statistik für 2018 als "vollendete Tötungsdelikte" gezählt. Diese Menschen leben glücklicherweise noch; die AfD behauptet hingegen, sie seien ermordet worden.
Sexualstrafrecht wurde verschärft
Auch bei den Sexualstraftaten beruft sich die AfD auf das BKA, lässt aber wiederum eine wichtige Einschränkung unerwähnt: "Im Jahr 2018 wurden 6.046 Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung erfasst, bei denen mindestens ein Zuwanderer als Tatverdächtiger ermittelt wurde. Im Vergleich zum Jahr 2017 (5.258 Straftaten) stiegen die Fallzahlen um 15 % an." Das BKA merkte dazu allerdings an, dass Ende 2016 Straftatbestände geändert und neue Straftatbestände eingeführt wurden. Der Straftatenkatalog wurde teilweise 2017 ergänzt, die weiteren Anpassungen wurden laut BKA 2018 vorgenommen.
Mit anderen Worten: Da das Sexualstrafrecht verschärft wurde, tauchen seitdem auch mehr Fälle in diesem Bereich auf, die vorher gar nicht erfasst worden wären. Ein Vergleich zu den Vorjahren ist, wie das BKA selbst betont, nicht oder nur eingeschränkt möglich.
Nur wenige Flüchtlinge im Arbeitsmarkt integriert?
Die AfD behauptet in der Präsentation, nur wenige Flüchtlinge würden sich in den Arbeitsmarkt integrieren. "Wenige" ist dabei eine wenig präzise Aussage. Allerdings verzeichne die Bundesagentur für Arbeit bereits Ende 2018 eine deutlich Zunahme von sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung: Im September 2018 gab es demnach 289.000 entsprechend Beschäftigte, die aus den "Hauptherkunftsländern der Geflüchteten" kamen.
Zusätzlich zu den 289.000 sozialversicherungspflichtig Beschäftigten gingen im September 2018 gut 72.000 Personen mit einer Staatsangehörigkeit aus den nichteuropäischen Asylherkunftsländern einer ausschließlich geringfügigen Beschäftigung nach. Dazu kommen noch Personen, die eine schulische Ausbildung absolvieren und nicht von der Bundesagentur erfasst werden.
Die AfD kritisiert in ihrer "Studie" auch das niedrige Rentenniveau in Deutschland; selbst hat die Partei aber bis heute kein eigenes Konzept dazu beschlossen. Ein Parteitag ist auf 2020 verschoben worden.
Keine Studie
Fazit: Die vorgelegte Präsentation der AfD kann die Kriterien für eine Studie nicht erfüllen. Viele der als Quellen angegebenen Links funktionieren nicht. Als Belege für ihre Behauptungen beruft sich die AfD sogar auf Leserbriefe oder Kommentare. Die Partei lässt mehrfach wichtige Hinweise zum Kontext von Zahlen einfach weg. Sie verspricht "Fakten statt Fake News" - führt aber teilweise selbst in die Irre.