Impfnebenwirkungen BMG twittert falsche Zahlen
Nach einer Corona-Impfung sei angeblich einer von 5000 Menschen von einer schweren Nebenwirkung betroffen, so das Bundesgesundheitsministerium auf Twitter. Doch das stimmt nicht.
Die Zahl der Nebenwirkungen von Corona-Impfungen werden seit mehr als einem Jahr in Medien und sozialen Netzwerken diskutiert. Die offiziellen Daten des mit der Überwachung und Risikobewertung von Arzneimitteln (Pharmakovigilanz) beauftragten Paul-Ehrlich-Instituts (PEI) weisen dabei ein sehr geringes Risiko aus. In seinem jüngsten Sicherheitsbericht gibt das Institut an: Im gesamten Zeitraum zwischen Beginn der Impfkampagne am 27. Dezember 2020 und dem 31. März 2022 seien bei allen Corona-Vakzinen zusammen 0,2 Meldungen über schwere Nebenwirkungen pro 1000 Impfdosen aufgetreten.
Folgt man dieser Zahl, wurde also im Schnitt alle 5000 Impfungen eine mögliche schwere Nebenwirkung gemeldet. Als "schwerwiegend" gelten dabei laut Arzneimittelgesetz Nebenwirkungen, die tödlich oder lebensbedrohlich sind, eine stationäre Behandlung erfordern oder zu bleibenden Schäden führen können. Dass PEI definiert bei den neuen Corona-Impfstoffen allerdings auch alle "unerwünschten Reaktionen von besonderem Interesse" als schwerwiegend.
PEI prüft Meldungen auf Signale
Doch dabei handelt es sich nur um Verdachtsmeldungen. Laut PEI stehen viele der Meldungen "im zeitlichen, nicht aber unbedingt im ursächlichen Zusammenhang mit einer Impfung". Dementsprechend müsse immer auch geprüft werden, ob die Impfung tatsächlich die Ursache war. Zu diesem Zweck vergleicht das Institut die Verdachtsmeldungen mit der statistischen Erwartung bei Menschen ohne Impfung.
Ergibt sich bei einem Symptom eine signifikant erhöhte Zahl an Meldungen, so ist das ein Signal für ein erhöhtes Risiko. Das bekannteste Beispiel hierfür sind die sogenannten tiefen Venenthrombosen (Sinus-/ Hirnvenenthrombose), die dem Astrazeneca-Impfstoff zugerechnet werden konnten. Sie lagen signifikant höher als der Erwartungswert in der Normalbevölkerung. Auch Hunderte Fälle von Herzmuskelentzündungen nach einer Corona-Impfung bei jungen Männern stehen laut US-Behörden in einem "wahrscheinlichen Zusammenhang" mit den sogenannten mRNA-Vakzinen.
Ministerium sorgt für Verwirrung
Am 20. Juli 2022 sorgte jedoch das Bundesgesundheitsministerium (BMG) für Verwirrung. Es schrieb in einem mittlerweile wieder gelöschten Tweet: "Eine von 5000 Personen ist von einer schweren Nebenwirkung nach einer COVID-19-Impfung betroffen."
An dieser Behauptung sind demnach zwei Dinge falsch: Zum einen lassen sich verabreichte Impfdosen nicht mit Personen gleichsetzen, denn die meisten Geimpften haben zwei, viele sogar drei Dosen erhalten. Zum anderen wird nicht deutlich, dass es sich wie beschrieben um Verdachtsmeldungen handelt, die nicht verifiziert sind.
Mittlerweile hat das BMG den irreführenden Tweet gelöscht und in einem neuen Post richtig gestellt: "0,2 Verdachtsmeldungen pro 1000 Impfdosen beträgt die Melderate ans @PEI_Germany für schwerwiegende Reaktionen."
Falschmeldung wird begierig aufgenommen
Doch wurde die Falschmeldung bis zu diesem Zeitpunkt insbesondere von Impfskeptikern und Impfkritikerinnen weit verbreitet und erhielt Tausende Retweets und Kommentare. Falschmeldungen und abstrusen Behauptungen über Zahl und Schwere der Impfnebenwirkungen wurde damit ausgerechnet aus dem Hause von Gesundheitsminister Karl Lauterbach Vorschub geleistet. Auf Anfrage des ZDF sagte das Ministerium dazu lediglich: "Es gab einen redaktionellen Fehler. Dieser wurde korrigiert."
Im April hatte eine Studie der Berliner Charité für Aufsehen gesorgt, wonach es 40 Mal häufiger zu schweren Impfnebenwirkungen bei Corona-Vakzinen komme als vom PEI angegeben. Doch an Methodik und Ergebnis wurden schnell starke Zweifel laut. So stütze sich Studienleiter Harald Matthes auf eine Online-Umfrage, an der etwa 40.000 Personen teilgenommen hatten - die jedoch nicht überprüft wurden. Zudem wurden "unerwünschte Ereignisse" wie etwa Müdigkeit oder Kopfschmerzen mit schweren Nebenwirkungen vermengt.
Genaue Zahl der Nebenwirkungen schwer einzuschätzen
Doch ein Problem bleibt: Wie hoch die Zahl derjenigen ist, die tatsächlich schwere Nebenwirkungen durch eine Corona-Impfung erleiden, ist bei aller Seltenheit äußerst schwer zu sagen. Der gesetzlichen Pflicht zur Meldung können die Ärzte in der Praxis nicht immer nachkommen, auch weiß man nicht, wie viele Menschen sich mit Nebenwirkungen gar nicht melden - oder ihre Beschwerden nicht mit der Impfung in Zusammenhang bringen. Laut dem Epidemiologen Klaus Stöhr benötigt ein Arzt für das Ausfüllen der Formulare im Schnitt 20 bis 30 Minuten ohne adäquate Vergütung. Das PEI ruft dazu auf, Impfnebenwirkungen selbst an das Institut zu melden und einen Arzt oder eine Ärztin zu kontaktieren.