Sudanesische Flüchtlinge in Ost-Libyen Die Schattenmenschen
Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und Milizen haben Millionen Menschen vertrieben. Einige von ihnen, meist Frauen und Kinder, leben in Libyen - unter menschenunwürdigen Bedingungen.
Es ist eine schwarze, mondlose Nacht. An einer der Ausfallstraßen von Shahad, einer kleinen Stadt in Ost-Libyen stehen ein paar Baracken. Die Menschen sind fast nicht zu erkennen in der Dunkelheit. Als unser Auto hält, sind wir sofort umringt von Kindern. Kleine, dunkle Gestalten, die uns ihre Hände entgegenstrecken. Wer hier lebt, hat nichts außer dieses Lager.
Sie stammen aus dem Sudan, berichtet Fatuma. Sie haben die Not hinter sich gelassen, den Krieg. Manche sind erst jetzt gekommen, manche sind schon lange da.
Leben zwischen und vom Müll
Fatuma lässt uns in ihren Raum, den man kaum so nennen kann: Ein zugiger Verschlag, der an einen Kuhstall erinnert, vollgestopft mit Plastikmüll, Lumpen und Altkleidern. Alles, was sie finden konnten, sammeln sie hier, um ein bisschen Geld damit zu machen. "Wir sammeln Müll von den Dämmen und Straßen, Coladosen, Plastiktüten, Nylon, das sammeln wir und verkaufen es an Recyclingfirmen. Wir gehen auch putzen. Davon leben wir."
Die Frauen sammeln alles, was sich irgendwie verkaufen lässt.
Zwischen den Müllbergen schlafen sie, Fatuma und ihre fünf Kinder. Das Wellblechdach über ihnen ist nicht dicht. Es ist eisig kalt im Winter, sagen sie. Eine einzelne Glühbirne taucht die Baracke in ein Dämmerlicht und lässt die Szene fast gespenstisch wirken. "Wir brauchen Decken im Winter, niemand hat hier Decken. Wir müssen essen und trinken. Niemand hilft uns außer Gott."
Die Männer sind verschwunden - aus vielen Gründen
Nebenan wohnt Fatih mit seiner Mutter und seiner Familie. Der 15-Jährige und sein blinder Opa sind die einzigen Männer hier. Ansonsten gibt es nur Frauen und Kinder. Wo die Männer sind? Die Frauen schauen betreten. Manche wurden verlassen, manche wollen nicht darüber sprechen. Vielleicht haben die Männer die lebensgefährliche Überfahrt gewagt nach Europa, die meisten Schmugglerboote auf dem Mittelmeer kommen aus Libyen. Vielleicht werden sie als Arbeitssklaven gehalten, bei den Milizen, die hier das Sagen haben. Wir wissen es nicht.
Der 15-jährige Fatih und sein blinder Opa sind die einzigen Männer in dem Lager.
Die Frauen aus dem Sudan sitzen hier fest und, es sind so viele: Hinter der ersten Reihe der Baracken steht eine zweite - hier hat jede nur einen winzigen Verschlag. Trotzdem versuchen sie, es sich irgendwie schön zu machen.
Ein kleines bisschen Geborgenheit
Aziza hat ein Bett aufgetrieben, damit ihre vier Kinder schlafen können. Alle vier haben einen Gendefekt und sind geistig behindert. Sie müssen noch gewickelt werden. Dieses Bett in dem Stall, mit einem Moskitonetz darüber, fast ein Himmelbett - ein kleines Wunder, ein winziges Paradies inmitten der größten Not.
Aziza hat für ihre behinderten Kinder ein Bett besorgen können.
Die Kinder werden zum Betteln losgeschickt, jeden Tag, und zum Müll sammeln. Aber die Menschen in Ost-Libyen haben selbst meist nicht viel. Und trotzdem - alles sei noch besser als der Sudan, sagen die Frauen. Und sie machen sich Sorgen: "Wir haben Familie im Sudan, aber wir können sie nicht mehr erreichen. Das Telefon ist tot." Wer es aus dem südlichen Afrika hierhin geschafft hat, hat oft eine lebensgefährliche Reise hinter sich und landet im Elend - rechtlos jeder Form von Übergriffen ausgeliefert.
Hinter den Baracken steht eine Villa. Sie gehöre dem Chef, der Ausländerbehörde, sagen die Frauen. Er lasse die Menschen in den Vorschlägen leben, die vermutlich vorher mal ein Stall waren und kassiere dafür kräftig Miete, erzählen sie.
Keine Dokumente, keine Schule, keine Bildung
An der Wand der Baracke einige Kritzeleien auf Arabisch: Da hat der 15-jährige Fatih versucht, sich selbst Lesen und Schreiben beizubringen. Er möchte später Arzt werden, sagt er. Keines der Kinder geht hier zur Schule, erzählen sie: Dazu bräuchten sie Geld, das sie nicht haben - und einen Pass. Und den hat hier kaum einer. Es gibt keine Papiere. Keine Dokumente, keine Bildung.
"Wir sind Menschen, die es nicht gibt", sagt eine der Mütter. Schattenmenschen. "Mein Traum für die Zukunft? Ich wünsche mir nur eines: Dass meine Kinder etwas lernen können, dass sie zur Schule gehen können, dass sie auf dem rechten Weg bleiben."
Europa ist weit - zu weit
Ein paar Frauen haben einen winzigen Fernseher aufgetrieben, der ihnen geschenkt wurde. Mit einer kleinen Antenne darüber. Gerade flimmert ein Heimatfilm aus Europa mit arabischen Übersetzungen über den Bildschirm, eine Schnulze aus den Bergen. Die perfekte Idylle, es gibt Häuser, Natur, Sauberkeit.
Für ein paar Minuten entfliehen die Frauen ihrem Sein - träumen sich nach Europa. Ob auch sie mal auf eines dieser wackligen Boote gehen? Nein, beteuern sie, und schauen schnell wieder auf den Fernseher: Die Illusion von Glück auf der anderen Seite des Meeres.