Sudan "Für viele die zweite oder dritte Vertreibung"
Seit acht Monaten bekämpfen sich Sudans Armee und die paramilitärische RSF. Tausende sind tot, Hunderttausende auf der Flucht. Experten kritisieren: Die Welt sehe weg - um nicht andere Allianzen zu gefährden.
Nasik Abou Zaid hört sich Nachrichten auf ihrem Handy an. Die sudanesische Medizinerin ist Vorsitzende von "Ärzte für Menschenrechte". Normalerweise leitet sie das Büro der Nichtregierungsorganisation in der sudanesischen Hauptstadt Khartum und kümmert sich um Kranke und Trauma-Patienten. Aber wie viele ihrer Landsleute ist auch die sudanesische Ärztin vor acht Monaten vor den Kämpfen im Sudan ins Nachbarland Ägypten geflohen.
In ihrer Heimat, sagt sie, sei das Gesundheitswesen sei zusammengebrochen, mehr als 90 Prozent aller medizinischen Versorgung eingestellt - besonders in den Gegenden, wo die Konflikte stattfinden.
Die zweite oder dritte Vertreibung
Die Gefechte zwischen der sudanesischen Armee und den paramilitärischen Rapid Support Forces (RSF) weiten sich aus. Zu Beginn des Machtkampfes zwischen De-Facto Staatschef und Armeechef Abdel Fattah al-Burhan und dem ehemaligen Vize-Machthaber Mohammed Hamdan Daglo fanden die Kämpfe vor allem rund um Khartum und in der Region Dafur im Westen Sudans statt.
In den vergangenen Wochen sind die RSF-Kämpfer unter Daglos Führung auch in den Bundesstaat Jezira südöstlich der Hauptstadt vorgerückt. Mit der Folge, dass noch mehr Menschen auf der Flucht seien, sagt Adnan Hizam, ein Sprecher des Internationalen Komitees vom Roten Kreuz:
In den vergangenen Wochen sind hunderttausende Sudanesen auf der Suche nach Sicherheit und einer Unterkunft vertrieben worden, für einige von ihnen ist es bereits die zweite oder dritte Vertreibung. Wir haben es jetzt mit mehr als sechs Millionen Binnenflüchtlingen zu tun. Dies ist ein Rekord in der Geschichte des Sudan, der schon unter vielen Konflikten gelitten hat.
Sudanesische Armee ist unterlegen
Krieg, Vertreibung, Hunger: Viele der mehr als 45 Millionen Sudanesen und Sudanesinnen kennen das schon seit Jahrzehnten. Die aktuellen Berichte der Fliehenden sind schockierend - von zerstörten Dörfern, Plünderungen und Vergewaltigungen.
Beiden Seiten werden Kriegsverbrechen vorgeworfen, aber die Angst vor der RSF-Miliz sei besonders groß, bestätigt Abu Zaid: "Um die Familien aus ihren Häusern zu vertreiben, drohen sie mit Vergewaltigung. Jetzt wissen die Menschen das, und wenn RSF-Milizen in der Nähe angreifen, nehmen sie ihre Töchter und fliehen."
Der Sudan-Analyst Roman Deckert arbeitet seit mehr als 25 Jahren zum Sudan und ist derzeit für die Berliner Nichtregierungsorganisation MiCT tätig. Ihm bereitet es Sorge, dass die Miliz sich immer weiter ausbreitet. "Die reguläre Armee ist so eine dermaßen schlechte Armee, in jeder Hinsicht, moralisch wie kriegstechnisch, dass sie auf dem Schlachtfeld weit unterlegen ist", sagt er. "Es schaut so aus, als ob Daglo und seine Milizen das ganze Land übernehmen könnten."
Dazu passt, dass Millizenführer Daglo seit kurzem offenbar in diplomatischer Mission in der Region unterwegs war, zuletzt in Äthiopien, angeblich, um Gespräche über ein Kriegsende zu führen. Wohl aber eher, um sich als legitimer Machthaber zu positionieren, meint Deckert.
Er befürchtet, dass sich für die Menschen im Sudan die Lage noch verschlimmert, wenn die RSF das Land übernehmen: "Das bedeutet für die Menschen, dass zunächst einmal eine Phase des Terrors droht, in der sie ihres Lebens nicht sicher sind, in der sie ihr Hab und Gut verlieren."
Das Land fühlt sich von der Welt vergessen
Allerdings, schätzt Deckert, werde Sudans reguläre Armee nicht so einfach aufgeben. Armeechef Al-Burhan werde von Ägypten und Saudi-Arabien unterstützt, die RSF-Miliz hingegen von den Vereinigten Arabischen Emiraten. Ein klassischer Stellvertreterkrieg, meint der Sudan-Analyst.
Besonders bitter findet Decker, dass der Westen beim Konflikt im Sudan wegschaut: "Hier muss man konstatieren, dass die USA und die auch die europäischen Staaten andere Prioritäten haben. Die Vereinigten Arabischen Emirate sind als Verbündete einfach zu wichtig" - nicht zuletzt, weil der Golfstaat Flüssiggas nach Deutschland liefert.
Auch die sudanesische Ärztin Abou Zaid hat das Gefühl, die Welt habe den Sudan vergessen. Neben Medikamenten gegen Diabetes oder Bluthochdruck fehlt es ihr an Spezialnahrung für unterernährte Kinder. In einigen Gegenden, warnt sie, könnten Hilfsorganisationen die Menschen kaum noch versorgen.