Humanitäre Krise im Sudan "Der größte vergessene Krieg unserer Zeit"
Ein halbes Jahr dauern die Kämpfe zwischen der sudanesischen Armee und Milizen bereits an. Sechs Millionen Menschen mussten fliehen und stehen vor dem Nichts. Nun droht auch noch eine Hungerkrise.
Der Wind fegt über die karge Landschaft ganz im Osten des Tschad, wirbelt Wüstensand hoch, zerrt an den Zeltplanen. Frauen in bunten Gewändern versuchen vor den Flüchtlingszelten auf dem offenen Feuer zu kochen, ein winziges Baby blinzelt in das grelle Sonnenlicht.
Bilder der Nachrichtenagentur Reuters zeigen die, die es geschafft haben: Familien aus der stark umkämpften Region Darfur im Westen des Sudan, die über die Grenze Richtung Tschad geflohen sind. Sie leben - aber stehen vor dem Nichts.
"Mein Mann und ich haben vier Kinder", erzählt die junge Mutter Iqbal. "Das Leben ist sehr hart. Wir bekommen hier einen Zehn-Kilo-Sack Nahrungsmittel pro Monat, aber das reicht nicht aus. Das Essen reicht einfach nicht."
Hilforganisationen geht das Geld aus
Die Not in den Flüchtlingslagern ist riesig. Denn den internationalen Hilfsorganisationen fehlt es an Geld, um die humanitäre Katastrophe zu lindern. Allein im Tschad leben mindestens 800.000 Geflüchtete aus dem Sudan, sagt Pierre Honnorat vom Welternährungsprogramm der Vereinten Nationen - eine Großstadt voller Hilfsbedürftiger.
"Ab Dezember können wir nicht mehr helfen, wir haben nichts mehr. Wir brauchen dringend Finanzierungsmöglichkeiten für diese Krise", so Honnorat. "Es eilt, denn wir müssen die Nahrungsmittel ja erst kaufen und in den Tschad bringen - und dann hier zur Grenze transportieren - damit die Menschen hier wenigstens eine Mahlzeit am Tag bekommen, wenigstens eine am Tag."
Kämpfe überall im Land
Im Sudan kämpfen seit mehr als einem halben Jahr die beiden mächtigsten Männer des Landes mit ihren Truppen gegeneinander. Auf der einen Seite steht der Militärchef und De-facto-Machthaber des Landes, Abdel Fattah Burhan, mit seiner Armee, auf der anderen Seite sein ehemaliger Stellvertreter, der Milizenführer Mohammed Hamdan Dagalo, genannt Hemeti, der die sogenannten Rapid Support Forces, kurz RSF, befehligt. Die Kämpfe finden überall im Land statt, oft mitten in Wohngebieten.
"Die Lage im Sudan könnte nicht schlimmer sein", sagt Jan Egeland, Direktor des Norwegian Refugee Council, im Interview mit der ARD. Es schmerze ihn, dass die Welt eine der größten humanitären Katastrophen unserer Generation übersehe. "Ja, es gibt den Krieg in der Ukraine, die Krise in Gaza. Aber wie kann die Welt vergessen, dass hier sechs Millionen Menschen flüchten mussten - und das in wenigen Monaten? Frauen werden vergewaltigt, Krankenhäuser werden bombardiert, Flüchtlingslager beschossen", so Egeland.
"Massive ethnische Säuberungen"
Besonders schlimm ist die Lage Berichten zufolge in Darfur, einer Region ganz im Westen des Sudan. Vor allem den Milizen, die der RSF angehören, werden brutale Menschenrechtsverbrechen vorgeworfen - in der Vergangenheit und heute: Die Darfur-Krise von 2003 scheint sich aktuell zu wiederholen.
"In Darfur kommt es aktuell zu massiven ethnischen Säuberungen", sagt Egeland. "Ich erinnere mich, als ich vor 20 Jahren bei den UN gearbeitet habe, da war Darfur ein großes Thema. Der damalige Präsident George Bush und der britische Premier Tony Blair waren fest entschlossen, den Menschen in Darfur zu helfen." Heute passiere das gleiche wieder in Darfur: Hunderttausende würden vertrieben, Tausende seien bereits massakriert worden, weil sie zur falschen Ethnie gehören - und niemand scheine das wahrzunehmen.
Und ein Ende der Krise ist nicht in Sicht: Bislang scheiterten sämtliche internationalen Vermittlungsbemühungen für eine Waffenruhe. Und internationale Mächte heizen den Konflikt sogar weiter an - die Vereinigten Arabischen Emirate sollen im Sudan ihre Finger im Spiel haben, auch Russlands Wagnertruppen sind aktiv. Der Grund: Der Sudan ist reich an Rohstoffen - so kontrollieren die RSF-Milizen zahlreiche Goldminen des Landes.
"Eine ganze Zivilisation in Stücke zerrissen"
Das Verhältnis zwischen der sudanesischen Regierung und den Vereinten Nationen ist seit Monaten angespannt, der deutsche Sondergesandte Perthes wurde im Sommer zur "Persona non grata" erklärt und trat zurück. Jetzt forderte der Sudan die Vereinten Nationen auf, die Stabilisierungsmission im Sudan ganz zu beenden. Versinkt der Sudan dann endgültig im Chaos?
"Eine ganze Zivilisation wurde in Stücke zerrissen, 24 Millionen Menschen brauchen Hilfe. Wenn das, was im Sudan geschieht, irgendwo anders als in Afrika passieren würde, wäre es ganz oben auf der politischen Agenda", sagt Egeland. "Es ist der größte vergessene Krieg unserer Zeit. Wir brauchen wirklich Hilfe!"