Britische Regierungspolitik Polittheater statt Pragmatismus
Ob die versprochenen Steuersenkungen oder die Farce um die Flüchtlingspläne - die Politik der Tory-Regierung dient nur dazu, den rechten Parteiflügel ruhig zu halten und der Opposition zu schaden.
Als Rishi Sunak vor gut einem Jahr als britischer Premierminister in die Downing Street einzog, versprach er einen Neustart. Nach der beispiellosen Farce der Johnson-Jahre sollte nun wieder eine Politik der Vernunft in Westminster einziehen. Ein Jahr später ist nichts davon eingetreten.
Ein Skandal jagt den nächsten und auch die Entlassung seiner am ganz rechten Rand agierenden Innenministerin Suella Braverman sorgte nicht für Ruhe in der Partei. Im Gegenteil, mit der Ernennung des als moderater geltenden David Cameron zum Außenminister hat Sunak den rechten Flügel seiner Partei nur noch mehr provoziert. Auf der Strecke bleibt damit jede kohärente Politik, die das wirtschaftlich seit dem Brexit gebeutelte Land wieder auf solidere Beine stellen könnte.
Haushalt ein wenig elegantes Kuckucksei
Der gestern mit großer Euphorie bekannt gegebene Haushalt ist nur das jüngste Beispiel dafür. Finanzminister Jeremy Hunt kündigte jede Menge Steuersenkungen an, deren Gegenfinanzierung aber erst in der Zukunft stattfinden soll, durch harsche Einschnitte bei Sozialleistungen und öffentlichen Einrichtungen. Es ist ein wenig elegantes Kuckucksei, gelegt für die oppositionelle Labour-Partei, die derzeit in den Umfragen gut 20 Prozentpunkte vor Sunaks konservativen Tories liegt.
Mit diesem Steuersenkungspaket dürfte der Labour-Chef Keir Starmer 2024 im Falle eines Wahlsiegs einen öffentlichen Haushalt erben, der ausgebrannter kaum sein könnte. Der einzige potenzielle Ausweg wäre, dass er bereits im Wahlkampf ankündigt, die Steuern wieder anzuheben - was Starmer aber kaum tun kann, wenn er die Wahlen gewinnen will.
Womit der neue Haushalt nichts weiter als ein zynischer Kunstgriff der Tories ist, der es dem Labour-Chef noch schwerer machen wird, im Falle eines Wahlsiegs auch nur ein einziges der gegenwärtigen Probleme Großbritanniens wirklich zu lösen, wie etwa die dringend nötige Sanierung des heruntergewirtschafteten Gesundheitssystems.
Was die Briten seit der Zeit unter dem ehemaligen Premier Boris Johnson mit den regierenden Tories erleben, ist das traurige Schauspiel einer ehemals konservativen Partei, deren Flirt mit dem Rechtspopulismus dazu führte, dass sie nicht mehr regiert - also Probleme zum Wohle des Landes zu lösen versucht. Stattdessen führt sie nur noch Politik-Pirouetten auf, um an der Macht zu bleiben.
Lärm als Kalkül im Kampf gegen Labour
Die verfahrene Flüchtlingspolitik Sunaks ist ein weiteres Beispiel für diese Art der rein performativen Politik. Die Idee, Flüchtlinge nach Ruanda zu fliegen, um sie dort dem guten Willen der Machthaber in Kigali zu überlassen, war von Anfang an nichts weiter als der ebenfalls zynische Versuch, den Rechtsstaat als Gegner zu inszenieren, um von der eigenen Unfähigkeit abzulenken, eine nachhaltige Flüchtlingspolitik zu entwickeln.
Denn schon Johnson, der die "Ruanda Policy" erfand, wusste genau, dass die nicht nur an den britischen Gerichten, sondern auch an allen internationalen Flüchtlingskonventionen scheitern würde. Ganz davon abgesehen, dass jeder einzelne Flüchtling, der auf diese Weise nach Ruanda geflogen würde, den Steuerzahler an die 180.000 Euro kosten würde und Ruanda mehrfach erklärte, maximal ein paar tausend Menschen aufnehmen zu können.
Aber der Lärm darum, so das Kalkül, eigne sich eben gut dafür, die sozialdemokratische Opposition als Versager beim Umgang mit Migranten darzustellen, sollte sie es auch nur wagen, dagegen anzugehen. Dass auf diese Weise ganz nebenbei auch das Prinzip der Rechtsstaatlichkeit zunehmend unterminiert wird, kümmert dabei so gut wie niemanden mehr bei den Tories, auch Sunak nicht.
Tory-Partei außer Kontrolle
Der britische Premier mag im tiefsten Herzen ein Pragmatiker sein, gegen die Dynamik der seit Johnson völlig außer Kontrolle geratenen Tory-Partei kommt auch er ganz offenbar nicht an, wie sein jüngster Umgang mit dem britischen Supreme Court zeigt.
Nachdem dieser in der vergangenen Woche der "Ruanda-Policy" eine vernichtende Absage erteilt hatte, mit der Begründung, Ruanda sei eben kein sicheres Land für Flüchtlinge, erklärte der stellvertretende Fraktionsvorsitzende der Tories, man solle das Urteil einfach ignorieren und die Asylbewerber trotzdem dorthin ausfliegen. Es war ein offener Aufruf zum Rechtsbruch, für den er in jeder normalen Demokratie umgehend hätte entlassen werden müssen.
Nicht aber im heutigen Großbritannien. Stattdessen folgte Sunak seinem Rat und verkündete bereits am nächsten Tag, dann eben ein Notfallgesetz vorzulegen, das Ruanda zu einem sicheren Land erklären werde. Ein Schritt, der das Debakel um die "Ruanda-Policy" einfach nur in die Länge ziehen wird, denn jedes selbstgemachte Notfallgesetz wird im Zweifelsfall wieder an den Gerichten oder schon zuvor am House of Lords scheitern.
Sunak in der Tradition Johnsons
Das Ganze ist - wie der gestern vorgelegte Haushalt - nicht mehr und nicht weniger als eine politische Farce, mit dem einzigen Zweck, den rechten Flügel in der eigenen Partei für eine Weile ruhig zu halten und so gleichzeitig die Debatte zum Schaden der Labour-Partei möglichst lange hinzuziehen.
Statt eines Neustarts als Pragmatiker hat Sunak so vielmehr in der Tradition Johnsons eine neue Variante des politischen Schattenboxens kultiviert. Zum Schaden des Landes, das damit auch mit ihm keine pragmatisch agierende Regierung mehr vor sich hat, sondern ein sich permanent im Kreis drehendes Polittheater.