Parteitag in Liverpool Labour gibt sich staatstragend
Auf ihrem Parteitag inszeniert sich die Labour-Partei als Gegenentwurf zu den Tories - geordneter und handlungsfähiger als die Regierung Sunak. Oppositionsführer Starmer sucht dabei die Nähe zur Wirtschaft - und zur EU.
In diesem kleinen Raum im Kellergeschoss des Konferenzzentrums ist die Stimmung richtig gut. Hier treffen sich Labour-Abgeordnete aus Schottland, Lokalpolitiker und Unterstützer. Der Raum ist voll.
Als Michael Shanks den Raum betritt, tost der Applaus auf. Es gibt Jubelrufe, stehende Ovationen. Der 35-jährige Politiker hat gerade erst die Nachwahl in einem Bezirk gewonnen, in einem Wahlkreis in der Nähe von Glasgow in Schottland. Es ist ein Sieg, der der ganzen Partei Rückenwind gibt. Labour kann in Schottland endlich wieder gewinnen - dort, wo Labour früher stark war, bis die Schottische Nationalpartei (SNP) alle anderen verdrängt hat.
Die SNP hat gerade mehrere Skandale durchlebt, die Partei ist in Turbulenzen. Von den 59 schottischen Abgeordneten im britischen Unterhaus gehören nun zwei Labour an und die Hoffnung ist groß, dass es bald wieder deutlich mehr sind.
Bedeutend ist das deswegen, weil Labour bei den nächsten Wahlen 2024 in Schottland Wahlkreise holen muss, wenn sie die Mehrheit im Unterhaus in London erlangen wollen. Lange schien die Schottische Nationalpartei unbesiegbar. Das ist nun anders.
Tories und Sunak unter Druck
Doch die Wahlen sind längst noch nicht gewonnen. Labour bringt sich auf diesem Parteitag in Position und versucht das Leitbild einer Partei zu verkörpern, die schlicht in der Lage ist, zu regieren. "Wir müssen dem ewigen Niedergang, verursacht durch die Tories, ein Ende bereiten und ein Jahrzehnt der Erneuerung beginnen", sagte Parteichef Keir Starmer in seiner Rede auf dem Parteitag in Liverpool.
Keine Schnörkel, keine schrillen Töne, kein Übermut - dafür solide Regierungsarbeit. Starmer profiliert sich als Gegenentwurf zur volatilen und teils populistischen Politik der konservativen Regierung, die in vielen Bereichen ihre Ziele nicht erfüllen kann.
Das Kabinett um Rishi Sunak musste gerade erst eines der größten Infrastrukturprojekte im Vereinigten Königreich abbrechen, eine Bahn-Hochgeschwindigkeitsstrecke in den Norden. Bei der Reform des Gesundheitsdiensts NHS kommt die Regierung nicht voran. Und auch beim Versprechen, die Zahl der Flüchtlinge, die in Booten über den Ärmelkanal kommen, zu reduzieren, kann Sunak nicht liefern.
Wirtschaftliche Interessen stärker im Fokus
Labour will das Thema Wirtschaft in den Mittelpunkt des Wahlkampfes stellen. Das Wachstum soll stimuliert werden. Wohlstand für alle ist das designierte Ziel: "Einige alte Ideen sind gar nicht so schlecht. Wo es Jobs gibt, wo Grund und Boden günstig ist, werden wir die Schaufeln in den Boden rammen, Kräne aufstellen und neue Städte bauen", so Starmer. Er versprach auch, dass Eigenheime für Familien wieder erschwinglicher werden sollen.
Der Parteichef hatte Vertreter von etwa 200 Unternehmen auf den Parteitag eingeladen. Bei einer Veranstaltung bot er den Managern eine Partnerschaft an. Mit Labour würden auch sie in die Regierung einziehen. Das sind neue Töne, die unter dem Vorgänger von Starmer an der Spitze der Partei, Jeremy Corbyn, undenkbar waren.
Der Parteitag von Labour verlief nicht ohne Zwischenfälle: Ein Mann stürmte während der Rede von Keir Starmer auf die Bühne und bewarf den Oppositionsführer mit Glitzerstaub.
"Bereit, Großbritannien wieder aufzubauen"
Rachel Reeves, die Finanzministerin werden soll, wenn Labour die Wahlen gewinnt, kündigte eine ganze Reihe konkreter Maßnahmen an: "Wir sind bereit zu liefern, bereit zu führen und bereit, Großbritannien wieder aufzubauen", sagte sie in Liverpool. Es ist eine drastische Rhetorik, derer sich Labour bedient. Doch damit trifft die Partei das Empfinden vieler Menschen angesichts langer Wartezeiten im Gesundheitssektor, Kinderarmut, kaputter Straßen und verrotteter Schulgebäude.
Reeves versprach, mit vereinfachten Genehmigungsverfahren Infrastrukturprojekte anzuschieben, Steuervergünstigungen für Reiche zu streichen und eine solide Finanzpolitik zu verfolgen. Zudem soll die Finanzbehörde OBR gestärkt werden. Als die ehemalige Premierministerin Liz Truss die Steuern senkte, ohne eine Gegenfinanzierung zu definieren und die Märkte abstürzten, hatte sie explizit die Warnungen dieser Behörde ignoriert.
Labour kündigte außerdem die Stärkung der Regionen an, etwa durch den massiven Ausbau erneuerbarer Energien. So sollen Jobs geschaffen werden, Starmer versprach zudem günstigere Energie. Das Thema Brexit spielte hingegen keine Rolle. Labour will den Austritt aus der Europäischen Union nicht rückgängig machen, wohl aber die Beziehungen zur EU verbessern. Eine erneute Brexit-Debatte würde der Partei - so das Kalkül an der Spitze - massiv schaden.
Die Herausforderung, auch nur einen Bruchteil dieser Versprechen einzulösen, ist jedoch riesig. Vor allem stellt dieses Programm auch die Einheit der Partei auf die Probe. Derzeit ist Labour noch vereint in der Vorfreude, die Macht übernehmen zu können. Nach 13 Jahren konservativer Regierung ist das gemeinsame Ziel, das oft proklamierte "Chaos" der Tories zu beenden.
Labour auf Regierungskurs
Längst geht es in den Sitzungssälen in Liverpool nicht mehr um die Frage, ob und wie Labour an die Regierung kommt. Die Frage, die sich viele stellen, lautet hingegen: "Wie regieren wir?" In den zahlreichen Treffen der unterschiedlichen Gruppen auf dem Parteitag in Liverpool werden Forderungen an die Parteiführung gestellt.
Die Labour-Lokalpolitiker betonten in ihrer Runde die Bedeutung der Regionen und wollen mehr Eigenständigkeit bei der Wirtschaftsförderung, Bildung und Infrastrukturprojekten. Im Sitzungssaal nebenan wurde darüber gesprochen, wie Steuerhinterziehung besser verhindert werden kann und welche Gesetze endlich auf den Weg gebracht werden können, wenn Labour die Tories aus dem Amt gedrängt haben wird.
Bei den ganz Linken, die zum Beispiel in der Gruppe "Socialist Campaign Group" organisiert sind, sind viele enttäuscht darüber, dass die linken Positionen nicht mehr so laut in der Partei zu vernehmen sind. Das scheint aber der Preis zu sein, den sie für die Einheit der Partei zahlen müssen. Der Chef der Bahngewerkschaft, Mick Lynch, sprach hier. Unter tosendem Beifall fasste er die Stimmung im Saal ganz gut zusammen: Es gehe vor allem darum, die Regierungszeit der Tories endlich zu beenden. Das mag ausreichen für die kommenden Monate bis zu den Wahlen.