Ein Graffiti in Neapel lässt Meloni sagen: "Wir werden Fanpage das Rückgrat brechen"
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Italien Das wahre Gesicht von Melonis Partei?

Stand: 01.09.2024 05:35 Uhr

Italiens Ministerpräsidentin Meloni schien ihr postfaschistisches Erbe erfolgreich abgeschüttelt zu haben. Doch Recherchen zeigen, wie lebendig der Extremismus in ihren Reihen weiterhin ist.

Noch im Juni war sie strahlende Gastgeberin der bedeutendsten westlichen Regierungschefs beim G7-Gipfel: Giorgia Meloni präsentierte stolz ihr Land auf der großen Bühne, umarmte Joe Biden, scherzte mit dem Kanadier Justin Trudeau, lachte mit Ursula von der Leyen, und nichts erinnerte daran, dass sie die erste extremrechte Regierungschefin eines großen EU-Landes ist.

Melonis Botschaft war vielmehr: Ich bin moderat, auf mich kann man bauen. Doch der Gipfel war noch nicht zu Ende, da zeigten Enthüllungen der italienischen online-Plattform Fanpage ein ganz anderes Bild von Melonis Partei.

Die Journalistin Selena Frasson hatte sich bei einer Jugendorganisation der Meloni-Partei Fratelli d'Italia, der Gioventù Nazionale, eingeschleust. Es gelang ihr, an internen Treffs teilzunehmen, bei denen Journalistinnen absolut unerwünscht sind, damit keine Bilder an die Öffentlichkeit gelangen.

Zögerliche Distanzierung

Der Grund dafür wird schnell klar, wenn man die Aufnahmen von Frassons versteckter Kamera sieht - Auftritte von rechtsextremen Bands in der Zentrale der Bewegung in Rom. In einem militanten Camp in den Bergen feiert der politische Nachwuchs mit "Sieg-Heil"-Rufen, der Faschisten-Gruß wird gezeigt. Zeigen die verdeckt gefilmten Aufnahmen von Frasson die geheime Seele der Fratelli?

Meloni reagierte auf die Enthüllungen zunächst zurückhaltend. Sie ist der Parteijugend verbunden, denn sie selbst ist in einer solchen Jugendbewegung groß geworden. Schließlich geht sie doch auf Distanz, nachdem internationale Medien berichteten. 

Es ist die Phase, in der Meloni auf europäischer Bühne an Einfluss zu verlieren scheint: Der erhoffte Machtzuwachs für ihre Partei nach den Europawahlen ist ausgeblieben. Deutschland, Frankreich, Spanien und Polen geben die Linie vor, nicht Melonis Italien.

Die Fratelli-Abgeordneten stimmen in Straßburg fast schon trotzig gegen die Wiederwahl von Ursula von der Leyen, trotz der im Wahlkampf in Aussicht gestellten Unterstützung, und des angeblich so guten persönlichen Verhältnisses zwischen den beiden Politikerinnen. Auch eine Aufnahme der Fratelli in die EVP-Fraktion, in der sich moderat-konservative Kräfte wie die CDU/CSU sammeln, wirkt in weiter Ferne.

Fehlendes Bekenntnis zum Antifaschismus

Da es in Italien keine große moderat-konservative Partei mehr gibt, sind die Fratelli d‘Italia auch Sammelbecken für diese Wählerschichten. Die Recherchen von Fanpage rufen jedoch die extremistische DNA der Fratelli wieder in Erinnerung. Der Post-Faschismus ist immer eine Bezugsgröße der Partei geblieben, indem eine vollständige Abgrenzung vermieden wurde. Immer wieder gibt es Kritik am fehlenden Bekenntnis zum Antifaschismus.

Die italienische Regierungschefin ignoriert diese Kritik. Das hat ihr bisher politisch auch wenig geschadet. Und doch wirkt Meloni seit diesem Sommer geschwächt - aus ganz anderen Gründen: Erstmals zeichnen sich innerhalb der Regierungskoalition Absetzbewegungen des moderat-konservativen Koalitionspartners Forza Italia ab, der Partei des verstorbenen Silvio Berlusconi.

Es geht vordergründig um das Staatsbürgerrecht, das die Berlusconi-Partei liberalisieren möchte, damit Migranten schneller in Italien Fuß fassen können. Die linke Opposition applaudiert und würde einem solchen Vorschlag zustimmen, für Meloni und Salvini ist dies jedoch ein No-Go.

Der Koalitionspartner schöpft neue Kraft

Hinzu kommen Vorwürfe gegen Arianna Meloni, Giorgias ältere Schwester. Sie ist Parteisekretärin der Fratelli d'Italia, und soll hinter den Kulissen wichtige Entscheidungen treffen. Die Zeitung Il Giornale aus dem Berlusconi-Medien-Imperium brachte die Behauptung auf, gegen Arianna Meloni ermittle die Staatsanwaltschaft.

Eine Falschbehauptung, wie sich später herausstellte. Aber der Angriff auf den Meloni-Clan war gesetzt und der Familien-Klientelismus der Fratelli (Arianna Meloni ist Parteisekretärin, Ariannes Ex-Partner Landwirtschaftsminister) wird Abend für Abend auch in den Berlusconi-Sendern breit diskutiert.

Alles ein Zufall? Forza Italia hat das Ableben seines Gründers und Finanziers Berlusconi politisch überwunden und bei den Europawahlen überraschend stark abgeschnitten. Womöglich wittert die Partei große Zustimmung im moderat-konservativen politischen Spektrum in Italien - jetzt, da die rechten Wurzeln der Fratelli wieder zu Tage treten, und Meloni auf europäischer Ebene isoliert wirkt.

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