Griechenland Wo Pressefreiheit Mut braucht
Ein Mord, ein Abhörskandal, Klagen gegen missliebige Berichterstattung: Griechenland belegt auf der Rangliste der Pressefreiheit den niedrigsten Platz aller EU-Staaten. Wie griechische Journalisten damit leben - und arbeiten.
Die Witwe Statha Karaivaz geht fast nie an den Ort, an dem ihr Mann erschossen wurde. Es schaudert sie bis heute. Jetzt steht hier eine Gedenktafel aus schwarzem Stein. Es war Freitagnachmittag, der 9. April 2021, als eine Nachbarin anrief: Im Viertel gebe es eine Schießerei. Giorgios Karaivaz war immer sehr vorsichtig, parkte das Auto in der Garage. An diesem Tag nicht. Überwachungskameras filmten zwei Männer auf einem Motorrad, einer stieg ab und erschoss den Journalisten aus nächster Nähe.
"Es war Mord", sagt Vassilis Panagiotopoulos von "Reporter ohne Grenzen". Giorgios Karaivaz, ein angesehener Polizeireporter, trat in vielen Sendungen auf - seine wichtigsten Themen: Korruption bei der griechischen Polizei und die Beziehungen zwischen Großunternehmern, Politik und organisierter Kriminalität.
Für "Reporter ohne Grenzen" ist der bis heute nicht aufgeklärte Mord an dem Journalisten ein klarer Angriff auf die Pressefreiheit. In ihrer Rangliste der weltweiten Pressfreiheit belegt Griechenland Platz 107, den niedrigsten Platz aller EU-Länder. "Zwei Jahre nach dem Mord an Giorgios Karaivaz haben wir keine wesentlichen Fortschritte gesehen. Wir haben keine zufriedenstellenden Antworten zum Stand der staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen bekommen - und das ist einer der wesentlichen Gründe für das schlechte Ranking", so Panagiotopoulos.
Pressefreiheit in Griechenland in Bedrängnis
Spionage per "Predator"-Software
Es gibt noch weitere Gründe. Der Journalist Thanasis Koukakis recherchiert und publiziert vor allem zu Fällen von Wirtschaftskriminalität. Er erzählt, dass in Griechenland auch der Geheimdienst gegen die Pressefreiheit verstoßen haben soll. Koukakis schrieb für die "Financial Times" mehrere Artikel, in denen er die aktuelle griechische Gesetzgebung kritisierte: Sie begünstige Geldwäsche und Steuerhinterziehung, so seine These.
Die Regierung habe zunächst versucht, Druck auf die Zeitung auszuüben und die Berichterstattung zu verhindern, erzählt er. Gleichzeitig sei er selbst ins Visier des Geheimdienstes geraten: "Ab dem Moment fing der griechische nationale Nachrichtendienst an, mich zu überwachen. Erst mit herkömmlicher Technologie, dann mit der Software 'Predator'".
Über die auf das Smartphone verdeckt installierte Spionagesoftware sollen Journalisten, der Oppositionsführer und sogar Minister der Regierung abgehört worden sein, besagen die Recherchen von Koukakis und mehreren anderen Kollegen.
Der Ehemann von Statha Karaivaz war ein bekannter Polizeireporter - 2021 ermordeten ihn Unbekannte.
Millionenklage des Geheimdienstschefs
Ein landesweiter Skandal, in dem der Geheimdienst der Regierung von Ministerpräsident Kyriakos Mitsotakis als verantwortlich beschuldigt wurde. Der zuständige Bürochef Grigoris Dimitriadis, ein Neffe Mitsotakis, wurde entlassen. Aber bis heute sind die Verantwortlichkeiten nicht vollständig geklärt - und in den großen Medien wurde kaum darüber berichtet.
Thodoris Chondrogiannos arbeitet für "Reporters United", ein Rechercheteam mit Sitz in Athen. Die Journalisten gehörten zu denen, die den Skandal aufdeckten. In der Folge verklagte der geschasste Bürochef Dimitriadis sie auf enorme Summen. "Noch am Tag seines Rücktritts reichte er eine Klage gegen uns ein. Dimitriadis verlangte von allen Beklagten einen Betrag von mehr als einer halben Million Euro", sagt Chondrogiannos. "Diese Summe ist für griechische, aber auch europäische Verhältnisse sehr hoch."
Mit teuren Prozessen unabhängige Journalisten in die Knie zu zwingen sei in Griechenland ein übliches Verfahren, meint er. Man versuche ständig, "Reporters United" auf diesem Weg einzuschüchtern.
Der Wirtschaftsjournalist Thanasis Koukakis sagt, er sei erst unter Druck gesetzt und dann ausgespäht worden.
"Selbstzensur von Journalisten"
Oft sind aber gerade sie die Einzigen, die über Missstände berichten. Viele große Mediengruppen gehören mächtigen Geschäftsleuten, zumeist Reedern mit großem wirtschaftlichem wie politischem Einfluss. Ein Beispiel: Vangelis Marinakis, Schiffseigner, Besitzer des Fußballclubs Olympiakos Piräus und zugleich Besitzer eines Medienimperiums. Wenn ein Medienhaus einem Reeder gehöre, erklärt Chondrogiannos, berichte es nicht über diesen oder andere Reeder: "Das führt zur Selbstzensur von Journalisten, die dort arbeiten."
"Reporter ohne Grenzen" sieht in Griechenland strukturelle Probleme als Bedrohung für die Pressefreiheit. "Es ist dieses Dreieck der Macht: Wir haben Medien, Geschäftsleute und die Politik. Das ist nicht nur in Griechenland so. Aber die Kombination dieser Faktoren, das ist einzigartig: Wir haben einen Überwachungsskandal, einen Mord an einem Journalisten, die Klagen und auch das Problem der Eigentumsverhältnisse", sagt Panagiotopoulos. Es brauche viel Mut in Griechenland, für die Pressefreiheit zu streiten.
Diese und weitere Reportagen sehen Sie am Sonntag um 18:30 Uhr im "Weltspiegel".