Wladimir Putin
Analyse

Russland und die Ukraine Putins hybride Kriegsführung

Stand: 22.02.2022 13:30 Uhr

Die eigenen Absichten verschleiern, die Grenze zwischen Krieg und Frieden verwischen, militärischen und politischen Druck mit Desinformation kombinieren: Russlands Präsident Putin zeigt, wie hybride Kriegsführung geht.

Eine Analyse von Patrick Gensing, tagesschau.de

Russland entsende "Friedenstruppen" in die Ukraine, hat Präsident Wladimir Putin am Montagabend angekündigt. Die russischen Staatsmedien tragen diese Rhetorik in die Welt hinaus; RT Deutsch berichtet beispielsweise: "Putin beauftragt Friedenstruppen".

Was nach friedlichen Absichten klingen soll, verschleiert die tatsächlichen Ereignisse: Russland verletzt internationales Recht und die staatliche Souveränität sowie territoriale Integrität der Ukraine.

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Michael Grytz, ARD Brüssel, tagesthemen, tagesthemen, 22.02.2022 22:40 Uhr

Militär, Cyberangriffe, Desinformation

Verschleierung auf mehreren Ebenen ist ein typisches Merkmal einer hybriden Kriegsführung, bei der klassische und verdeckte Militäreinsätze, politischer sowie wirtschaftlicher Druck, Computerangriffe und Propaganda sowie Desinformation kombiniert werden. Zu dem Arsenal dieser Strategie gehört es ebenfalls, die Grenze zwischen Krieg und Frieden zu verwischen - so wie es bereits seit Jahren in der Ostukraine geschieht.

Dafür setzt Russland - wie auch bei anderen Konflikten - auf ein weiteres Mittel der hybriden Kriegsführung: Auf der Krim tauchten 2014 "grüne Männchen" auf - russische Soldaten ohne Hoheitszeichen. Stritt Putin zunächst jede Beteiligung ab, erklärte er später, er habe den Befehl zur Heimholung der Krim gegeben. Auch die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine wollte Moskau lange nicht zugeben.

Dazu kommt der Einsatz von Söldnern bei verschiedenen Konflikten. In Syrien waren es offenkundig russische Söldner, für die Moskau im Zweifelsfall keine Verantwortung übernahm.

Cyberattacken

Auch Cyberattacken sind Fachleuten zufolge Teil der hybriden Strategie - bekannte Beispiele gab es unter anderem 2007 in Estland und 2008 in Georgien.

Die Ukraine meldete zuletzt ebenfalls umfangreiche Cyberattacken, genauso hatte es solche Angriffe unter anderem in Deutschland gegeben. Recherchen von BR und WDR zeigen: Die Spuren führen zum russischen Geheimdienst.

"Abwehr solcher Attacken schwierig"

Das Bundesverteidigungsministerium schreibt, bei der hybriden Strategie werde entweder anonym operiert oder die Beteiligungen an Vorfällen und Konflikten werde bestritten. Die Schwelle zu einem offiziellen Krieg werde nicht überschritten. "Eben dies macht die Abwehr solcher Attacken so schwierig: Wenn es keinen eindeutigen Angriff oder Angreifer gibt, fällt die Gegenwehr schwer."

Analysten sprechen von einem Konflikt mit niedriger Intensität oder im Zusammenhang mit den russischen Truppen im Grenzgebiet zur Ukraine von einem "beinahe Krieg".

"Für die NATO höchste Priorität"

Die NATO und die Ukraine diskutierten erst im Oktober 2021 auf einer Konferenz in Brüssel über das Thema. Dabei ging es explizit auch um Reaktionen auf solche Angriffe. "Die Fähigkeit, hybride Taktiken staatlicher oder nichtstaatlicher Akteure zu verhindern, ihnen entgegenzuwirken und auf sie zu reagieren, hat für die NATO höchste Priorität", sagte James Mackey von der NATO-Abteilung für politische Angelegenheiten und Sicherheitspolitik.

"Russland setzt hybride Taktiken ein, um seine Besetzung von Gebieten zu legitimieren", sagte Sergiy Mukosii, Leiter der Verteidigungsabteilung der ukrainischen NATO-Mission. Hybride Taktiken können neben Desinformation und Cyberangriffe auch die Bemühungen zur Schwächung öffentlicher Institutionen und zur Destabilisierung von Gesellschaften umfassen, erklärte Mukosii.

Falsche Behauptungen

Wichtiger Teil einer hybriden Kriegsführung sind mutmaßlich inszenierte Ereignisse, um einen Konflikt anzuheizen oder Vorwände für das eigene Handeln zu schaffen, sowie das Streuen von verschiedenen Narrativen, also Erzählungen.

Die Putin-Rede vom Montag ist dafür ein gutes Beispiel, denn darin entwickelte er diverse historisch fragwürdige bis falsche Thesen, zudem eine längst widerlegte Behauptung in Sachen NATO-Osterweiterung.

Unklarheit als Ziel

Bei der Anerkennung der "Volksrepubliken" auf dem Staatsgebiet der Ukraine bleibt Putin erneut im Ungefähren, erschwert so eine Reaktion auf seine Schritte und behält sich eine weitere Eskalation vor.

So ist bislang nicht klar, wie Russland die Grenzen der von Moskau anerkannten "Volksrepubliken" definiert. Eine heikle Frage, denn die Separatisten halten jeweils nur Teile der Regionen Donbass und Donezk. Sollte Russland auch die von Kiew gehaltenen Gebiete als Teil der "Volksrepubliken" ansehen, wäre dies ein Hebel für die nächste Eskalationsstufe: einen direkten Angriff auf die ukrainische Armee.

Der russische Präsident agiert zudem - mutmaßlich bewusst - unberechenbar. "Putin sieht eine erhebliche Stärke darin", sagte der russische Außenpolitikexperte Wladimir Frolow bereits 2016 im Gespräch mit tagesschau.de.

Mehrdeutigkeit als zentraler Punkt

Der Politikwissenschaftler Sam Greene meint zu dem Druck auf die Ukraine, den Putin immer weiter erhöht, der russische Präsident habe die rhetorische Grundlage für Krieg geschaffen, spreche dies aber nicht aus. Er habe eine militärische Präsenz in den "Volksrepubliken" auf dem Staatsgebiet der Ukraine angekündigt, verrät aber nicht, von welchem Gebiet die Rede ist.

"Die praktizierte strategische Mehrdeutigkeit geht weiter", meint Greene: "Wir wissen immer noch nicht, wohin die Reise geht" - und genau das sei bei Putin der zentrale Punkt.

Der hybride Angriff auf die Ukraine zeigt: Der ehemalige KGB-Agent Putin ist ein Meister der Verschleierungstaktik - und treibt die internationale Politik so vor sich her. Putin testet dabei immer wieder aus, wie weit er mit dieser hybriden Taktik gehen kann. Der Fall der Ukraine zeigt: sehr weit.

Dieses Thema im Programm: Über dieses Thema berichtete Deutschlandfunk Kultur am 18. Februar 2022 um 18:05 Uhr.