Russische Außenpolitik Die Gabelstrategie des Kreml

Stand: 13.02.2016 10:40 Uhr

Russland betreibt in Syrien ein doppeltes Spiel - dieser Vorwurf prägte den Auftakt der Münchener Sicherheitskonferenz. Das Muster aus militärischem Eingreifen und gleichzeitigen Verhandlungen ist aber nicht neu.

Von Silvia Stöber, tagesschau.de

Russland sitzt am Verhandlungstisch in Wien, Genf und nun in München, um eine Lösung für Syrien zu finden. Zeitgleich unterstützen russische Kampfjets die syrische Armee beim Vormarsch auf Aleppo. Gelingt die Einnahme, hätten die syrische Führung und ihre Verbündeten Russland und dem Iran eine weitaus stärkere Position bei den Verhandlungen mit den Rebellen.

Nicht zum ersten Mal fährt die Regierung in Moskau zweigleisig: "Wenn die russische Führung militärisch aktiv wird, dann verbindet sie dies häufig mit Gesprächen auf diplomatischer Ebene, um sich im Fall von Niederlagen abzusichern oder militärische Gewinne festzuschreiben", sagt Wolfgang Zellner, stellvertretender Forschungsdirektor am Institut für Friedensforschung und Sicherheitspolitik an der Uni Hamburg.

"Ähnlich wie in Aleppo jetzt ging Russland vor genau einem Jahr in der Ostukraine vor. Während russische Vertreter im Februar 2015 das Minsker Abkommen aushandelten, nahmen separatistische Milizen unterstützt von russischem Militär die Stadt Debalzewo ein. Aus einer militärisch vorteilhaften Situation heraus handelten die russischen Vertreter ein für die Ukraine schwieriges Abkommen aus."

Auch während der Verhandlungen um eine Friedensvereinbarung nach dem Fünf-Tage-Krieg in Georgien 2008 nahm die russische Armee noch strategisch wichtige Gebiete ein. Den von der EU vermittelten Friedensplan setzte Russland in wichtigen Punkten niemals um.

Gegenseitige Abschreckung

Beim Krieg 2008 in Georgien bewies die russische Führung um Wladimir Putin erstmals ihre Bereitschaft, militärische Gewalt zur Durchsetzung ihrer Interessen jenseits der Landesgrenzen einzusetzen.

"Putins vorrangiges Ziel ist Sicherheit für Russland und sein System", sagt die Putin-Biografin Fiona Hill von der Brookings Institution in Washington. Die bestehende Sicherheitsarchitektur - und insbesondere die Aufnahme osteuropäischer Länder in die NATO - nähmen Putin und sein Team als Einkreisung Russlands wahr. Um die USA und die NATO von militärischen Handlungen gegen russische Kräfte abzuhalten, setze er auf Abschreckung und auf Spaltung.

Luftraumverletzungen zur Einschüchterung

So verletze russisches Militär häufig europäischen Luft- und Seeraum, bemerkt Hill. Thomas Frear vom European Leadership Network pflichtet ihr bei. Westliche Militärflugzeuge verhielten sich nicht so aggressiv wie russische.

Zwar habe es auch im internationalen Luftraum vor russischem Territorium Luftraumverletzungen gegeben. So hätten russische Kampfjets US-Aufklärungsflugzeuge über der Ostsee nahe der russischen Enklave Kaliningrad abgefangen. Doch die Zahl solcher Vorfälle sei sehr viel geringer als die russischen Luftraumverletzungen, so Frear. Gar keine Hinweise gebe es, dass westliche Flugzeuge in russischen Luftraum eingedrungen seien. Auch der renommierte russische Verteidigungsexperte Ruslan Puchow macht auf Nachfrage keine Angaben dazu.

Unberechenbare Außenpolitik

Zudem setzt Putin auf die Methode Unberechenbarkeit. "Putin sieht eine erhebliche Stärke darin", sagt der russische Außenpolitikexperte Wladimir Frolow. Ein Beispiel ist die Annexion der Krim im März 2014, die selbst Experten in Russland überrascht hat.

Ob Russland damit international Vertrauen verliert und ob dies ihm langfristig schadet, berücksichtige Putin nicht, sagt Frolow. Der staatliche Apparat, auch die international angesehenen Mitarbeiter des Außenministeriums, hätten sich diesem Verhalten angepasst. Ohnehin sei es Putin, der mit einem kleinen Kreis langjähriger Mitstreiter zumeist aus dem Geheimdienstbereich die Außenpolitik bestimmt.

Putin setzt auf persönliche Beziehungen

Auf eine einsame, womöglich emotionale Entscheidung Putins führen Experten die äußerst scharfe Reaktion Russlands nach dem Abschuss eines seiner Kampfjets durch die Türkei zurück. Jedenfalls halten sie die harten Sanktionen, die Russland daraufhin gegen türkische Produkte verhängte und die aggressive Rhetorik der russischen Führung gegen die Türkei für überzogen.

Offensichtlich habe sich Putin persönlich gekränkt gefühlt vom türkischen Präsidenten Recep Tayyip Erdogan, sagt der Nahost-Experte Alexej Malaschenko vom Carnegie Center in Moskau. Putin habe geglaubt, dass er eine enge persönliche Beziehung zu Erdogan aufgebaut habe, so wie er dies auch mit Politikern wie Nicolas Sarkozy oder Angela Merkel angestrebt habe.

Putin bevorzuge bei wichtigen Entscheidungen direkte Vereinbarungen mit Führern anderer Staaten, sagt auch Hill. Wenn es zu diplomatischen Konflikten wie im Falle der Türkei kommt, dann werfe er den jeweiligen Staatschefs persönlich den Bruch von Vereinbarungen vor, die hinter verschlossenen Türen getroffen worden waren.

Russlands Verantwortung

Der Schwierigkeit, der russischen Führung zu vertrauen, steht ihre zunehmende Verantwortung für die weltweite Sicherheitslage gegenüber. Diese Verantwortung hat sie nicht nur aufgrund ihres Vetorechts im UN-Sicherheitsrat. Sie wächst dadurch, dass Putin in Konflikten Mitsprache verlangt und aktiv eingreift.

Dabei liegt es an ihm, die viel kritisierten Fehler der USA im Irak und anderswo nicht selbst zu begehen. Denn Experten wie Frolow halten es für möglich, dass Russland auch in Libyen und Afghanistan aktiv werden könnte - auf diplomatischer Ebene und womöglich begrenzt in militärischer Form.