Tiergartenmord Verdacht auf Staatsterrorismus
Der Generalbundesanwalt hat Anklage im Fall des Mordes an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin erhoben und macht Russland verantwortlich - ein weiterer Stresstest für die Beziehungen zum Kreml.
Schon öfter ging es im Berliner Kammergericht um brisante Aktionen ausländischer Geheimdienste in der Hauptstadt. Ein Pakistaner musste sich etwa dafür verantworten, den SPD-Politiker Reinhold Robbe, Ex-Wehrbeauftragten und Präsidenten der Deutsch-Israelischen Gesellschaft, bespitzelt zu haben - und zwar für den iranischen Geheimdienst, als Vorbereitung für ein mögliches Attentat.
Auch ein spektakulärer Entführungsfall beschäftigte das Gericht bereits. Der Exil-Vietnamese Trinh Xuan Thanh war im Berliner Tiergarten in einen Transporter gezerrt und anschließend nach Vietnam verschleppt worden. In seiner Heimat dann wurde der ehemalige Vorstandschef eines staatlichen Baukonzerns wegen Korruption und Misswirtschaft zu lebenslanger Haft verurteilt.
Bald schon wird es wieder um Geheimdienste gehen im Kammergericht in Berlin. Diesmal allerdings wird nicht das Ausspionieren von unliebsamen Dissidenten oder die Bespitzelung von Politikern verhandelt, sondern ein Mord - ein Attentat, das vom russischen Staat organisiert worden sein soll.
Mord im Auftrag staatlicher Stellen?
Zelimkhan Khangoshvili, ein Tschetschene mit georgischem Pass, war am 23. August 2019 um die Mittagszeit im Kleinen Tiergarten in Berlin-Moabit ermordet worden - am helllichten Tag, per Kopfschuss, unweit von Bundestag und Kanzleramt.
Der Generalbundesanwalt hat nun Anklage in dem Fall erhoben. Er wirft dem mutmaßlichen Schützen einen heimtückischen Mord vor. Der muskelbepackte Mann mit auffälligen Tätowierungen war durch einen Zeugenhinweis kurz nach der Tat festgenommen worden. Seine DNA fand sich auch auf der Tatwaffe. Auf der Anklagebank aber wird nicht nur er sitzen - sondern de facto auch der russische Staat. Denn die Karlsruher Staatsanwälte sind davon überzeugt, dass das Attentat im Auftrag staatlicher Stellen in Russland verübt wurde - kein gewöhnlicher Mord also, sondern vielmehr Staatsterrorismus.
Russlands Staatspräsident Wladimir Putin hatte das Mordopfer aus dem Kleinen Tiergarten, als "blutrünstigen und brutalen Menschen" bezeichnet. Der ehemalige Kaukasus-Kämpfer Khanghoshvili, der als Asylbewerber in Berlin lebte, galt in Russland als Terrorist. Mehrfach soll es in der Vergangenheit schon zu Mordanschlägen auf ihn gekommen sein, in Georgien und der Ukraine.
"Hybride Kriegsführung"
Mit großer Anspannung war die Anklage in den vergangenen Wochen im Berliner Regierungsviertel erwartet worden - und wie genau sie formuliert sein würde: Ob konkret Russland als Drahtzieher genannt werden würde und sich damit das Verhältnis zwischen Berlin und Moskau weiter verschlechtern könnte. Zuletzt war der Ton ohnehin erkennbar schärfer geworden.
Nach jahrelanger Ermittlungsarbeit durch das BKA, die Bundespolizei und die Geheimdienste hatte der Generalbundesanwalt im Mai überraschend einen Haftbefehl gegen einen russischen Hackersoldaten erwirkt. Dmitriy Badin soll als Angehöriger der Einheit 26165 des russischen Militärgeheimdienstes GRU - auch bekannt als "Fancy Bear" - am Cyberangriff auf den Bundestag im Frühjahr 2015 beteiligt gewesen sein. Damals waren die Hacker auch in die E-Mail-Postfächer der Bundeskanzlerin eingedrungen. Mit dem 52-seitigen Haftbefehl macht die deutsche Justiz erstmals direkt Moskau für den Bundestagshack verantwortlich.
Angela Merkel sprach von einem ungeheuerlichen Vorgang und von "harten Evidenzen", dass russische Kräfte für die Cyberattacke auf das Bundestagsnetz verantwortlich waren. Russland betreibe eine "hybride Kriegsführung", zu der auch Desinformation und Hackerangriffe gehörten, so die Kanzlerin. Man behalte sich daher Schritte gegen Russland vor. Das Auswärtige Amt bestellte den russischen Botschafter ein und protestierte. Die russische Seite wiederum sprach von einer "abgedroschenen Geschichte" und wies jede Verantwortung zurück.
Der mutmaßliche Täter schweigt
Nun folgt die Anklage im Ermittlungsverfahren "Tiergarten". Die Bundesanwälte sind überzeugt davon, dass der Todesschütze von russischen Stellen zumindest unterstützt - vermutlich sogar beauftragt - wurde. Der Russe, der als Vadim Krasikov identifiziert werden konnte, schweigt seit seiner Festnahme. Aber es gibt eine Reihe von Indizien. So reiste Krasikov kurz vor dem Attentat in Berlin mit einem Schengen-Visum ein, das über eine Faxnummer beantragt worden war, die dem russischen Verteidigungsministerium zugeordnet wird.
Außerdem soll der Beschuldigte mit einer neuen Identität ausgestattet worden sein: Es soll sich um einen Kriminellen handeln, der noch 2013 wegen Mordes in Russland gesucht worden war. Ganz plötzlich aber verschwand die Fahndungsausschreibung nach Krasikov - und der Mann soll fortan mit einem neuen russischen Pass unter falschem Namen gereist sein. Offenbar im Auftrag der russischen Geheimdienste, so sehen es die Ankläger.
Es gilt als unwahrscheinlich, dass der Angeklagte vor Gericht auspacken wird darüber, wer ihn nach Berlin geschickt hat, um den ehemaligen Kaukasus-Kämpfer zu töten. Eine solche Aussage könnte zu größten diplomatischen Verwerfungen führen. Wie gründlich und tiefgreifend die Hintergründe der Tat ausgeleuchtet werden sollen, das entscheiden auch die Richterinnen und Richter des Strafsenats am Berliner Kammergericht.
Vor 23 Jahren wurde das Gericht in einem ähnlichen Kriminalfall schon einmal ziemlich deutlich. Im April 1997 erging das Urteil zum Attentat im Berliner Restaurant "Mykonos", bei dem vier iranisch-kurdische Exil-Politiker erschossen worden waren. Im Urteil gegen das Mordkommando wurde der iranische Geheimdienst als Drahtzieher genannt - aber nicht nur, auch die Namen von iranischen Regierungsmitgliedern, die den Mordanschlag in Auftrag gegeben haben sollen.