Attentat im Kleinen Tiergarten Einfacher Mord oder Staatsterrorismus?
Beim Mord an einem Georgier im Kleinen Tiergarten in Berlin könnte es bald zur Anklage kommen. Eine Kernfrage lautet in dem Zusammenhang: War es Staatsterrorismus?
Der Mann, der die Ermittler vor viele Rätsel stellt, befindet sich derzeit in Untersuchungshaft an einem geheimen Ort. Vadim K. soll einen Mord begangen haben - und gilt inzwischen selbst als hochgradig gefährdet. Am 23. August 2019, gegen 13 Uhr, soll sich der Russe im Kleinen Tiergarten in Berlin seinem Opfer auf einem Fahrrad genähert haben. Dann folgten drei Schüsse aus einer Pistole mit Schalldämpfer. Das Opfer, der Georgier Zelimkhan Khangoshvili, war sofort tot.
Mord im Auftrag Russlands?
Es ist die derzeit spektakulärste Mordermittlung der Republik: Ein ehemaliger Kaukasus-Kämpfer, hingerichtet am helllichten Tag, nicht weit vom Kanzleramt entfernt. Zahlreiche Ermittler des Berliner Landeskriminalamtes (LKA) und des Bundeskriminalamtes (BKA) sind nun seit Monaten mit der Aufklärung befasst. Sie sollen die wichtige Frage klären: Hat K. den Mord im Kleinen Tiergarten im Auftrag Moskaus begangen? War es demnach kein gewöhnlicher Mord, sondern ein Akt des Staatsterrorismus?
Zwar dementierte der Kreml früh und vehement, etwas mit der Ermordung von Khangoshvili zu tun zu haben. Russlands Staatspräsident Wladimir Putin nannte das Opfer jedoch erst kürzlich bei einem Treffen mit Kanzlerin Angela Merkel einen "blutrünstigen und brutalen Menschen", der für schwere Terroranschläge verantwortlich gewesen sei.
Im Auftrag staatlicher Stellen
Bislang konnten die Ermittler trotz des erheblichen Aufwandes keinen wirklichen Durchbruch erzielen. Der Tatverdächtige K. schweigt weiterhin. Und Russlands Behörden liefern kaum brauchbare Informationen. Der Generalbundesanwalt hat das Verfahren dennoch im Dezember übernommen. In Karlsruhe sieht man "zureichende tatsächliche Anhaltspunkte" dafür, dass die Tat im Auftrag staatlicher Stellen in Russland oder in der Kaukasus-Republik Tschetschenien erfolgte.
Dass es zu einer Anklage wegen Mordes kommen wird, daran gibt es kaum Zweifel. Geklärt werden muss nun allerdings, vor welchem Gericht der Fall verhandelt werden soll. Bei einem Mord, dessen Hintergründe unklar sind, wäre die Strafkammer des Landgerichts Berlin zuständig. Die Berliner Staatsanwaltschaft würde Anklage erheben. Bei Staatsterrorismus hingegen, würde der Prozess vor dem Berliner Kammergericht stattfinden. Die anklagende Behörde wäre dann der Generalbundesanwalt.
Nach Informationen von WDR, NDR und "Süddeutscher Zeitung" hat sich der Generalbundesanwalt offenbar entschieden, das Verfahren behalten zu wollen. Die Karlsruher Behörde hat jüngst beim Ermittlungsrichter am Bundesgerichtshof einen neuen Haftbefehl gegen K. beantragt. Über den Beschluss soll zeitnah entschieden werden, dazu soll auch K. vorgeführt werden. Zwar hatte ein Berliner Amtsrichter bereits einen Haftbefehl wegen Mordes erlassen, der Generalbundesanwalt will mit dem neuen Antrag jedoch klären lassen, ob auch die Richter die Indizienlage für einen staatlichen Hintergrund der Tat als zwingend ansehen.
Mit Perücke und Handschuhen
Im neuen Haftbefehl aufgelistet sind die bisherigen Ermittlungsergebnisse. An der Tatwaffe, einer Pistole vom Typ Glock 26, wurden K. Fingerabdrücke gefunden, ebenso sichergestellt wurde ein Handschuh mit Schmauchspuren. Zwei Jugendliche hatten beobachtet, wie K. nach der Tat in ein Gebüsch flüchtete und anschließend die Tatwaffe, sein Fahrrad und eine Perücke in der Spree versenkte. Dank der Zeugen konnte der Schütze zeitnah festgenommen werden.
Zusammengetragen haben die Staatsanwälte zudem Indizien dafür, dass russische Geheimdienste in den Mord verwickelt sein könnten. So soll K. im Juni 2013 schon einmal einen Auftragsmord begangen haben. Damals war das Opfer ein russischer Geschäftsmann. Die Behörden in Russland fahndeten anschließend nach K.. Im Juli 2015 aber wurde das Fahndungsschreiben plötzlich gelöscht. Nur zwei Monate später tauchte der Mann allerdings wieder auf - diesmal mit einer neuen Identität und einem neuen, echten Pass.
Spuren führen in Moskaus Verteidigunsministerium
Beim Antrag für das Schengen-Visum von K. war eine Faxnummer verwendet worden, die zu einer Firma gehört, die mit dem russischen Verteidigungsministerium verbunden ist. Das Unternehmen "ZAO RUST" wiederum, bei dem K. angeblich als Bauingenieur arbeitet, hat nach Erkenntnissen deutscher Ermittler nur einen einzigen Mitarbeiter und befindet sich offiziell in der "Reorganisation". Im BKA wurde mittlerweile ein Gutachten zu den auffälligen Tätowierungen von K. erstellt, sie zeigen unter anderem eine Schlange und eine Raubkatze. Einzelne Motive sollen auch bei Angehörigen russischer Spezialeinheiten beliebt sein.
Khangoshvilli kämpfte gegen Russlands Militär
Auch die Wahl des Opfers könnte Richtung Moskau deuten. Khangoshvili kämpfte jahrelang im Kaukasus gegen das russische Militär. Im Dezember 2016 kam er nach Deutschland und stellte einen Asylantrag, der allerdings abgelehnt wurde. Zeitweise galt der georgische Staatsbürger als ein Anhänger der Terrorgruppe Kaukasisches Emirat - und als islamistischer Gefährder. Sein Name stand auf einer Liste mit 19 Personen, die von Russland an deutsche Sicherheitsbehörden übermittelt worden war. Khangoshvili war darauf als Ausbilder für Terroristen gelistet.
Die These der Ermittler lautet daher: Russlands Geheimdienst könnte einen ehemaligen Auftragsmörder rekrutiert und mit einer neuen Identität ausgestattet nach Berlin entsandt haben, um einen angeblichen Staatsfeind zu töten.
Zweifel an der Auftragsmord-Theorie?
Doch es gibt auch Zweifel: Der Mord war einigermaßen professionell durchgeführt worden. Würden Moskaus Agenten aber bei der Vorbereitung so unvorsichtig agieren und Faxnummer verwenden, die direkt zum russischen Verteidigungsministerium führt?
Schon kurz nach dem Mord meldete sich außerdem ein ausländischer Geheimdienst: Ein Fotoabgleich habe den Täter ziemlich zweifelsfrei identifiziert. Es handele sich um einen wegen Mordes verurteilten Polizisten aus St. Petersburg. Zeitnah erreichte den Verfassungsschutz eine anonyme E-Mail, die ebenfalls auf diese Person als Täter verwies. In den deutschen Diensten war man skeptisch: Wollte da jemand eine falsche Fährte legen? Oder war es gar eine Tat unter "falscher Flagge"?
Kein Wort vom Tatverdächtigen
K. schweigt weiterhin zu seiner Tat. Kurz nach seiner Festnahme bekam er bereits Besuch von Diplomaten aus der russischen Botschaft. Die konsularische Betreuung von inhaftierten Staatsbürgern ist ein normaler Vorgang. Diesmal aber, so sagen Ermittler, sei es ungewöhnlich schnell gegangen. K. wurde schließlich verlegt. Von der Justizvollzugsanstalt in Moabit zunächst in einen besonders gesicherten Bereich der Haftanstalt in Tegel. Dann brachte ihn die Polizei an einen geheimen Ort. Der BND hatte zuvor einen Hinweis bekommen: K. solle getötet werden.