Wahlkampf vor "Brexit"-Referendum beginnt Für die EU - aber nur halbherzig
Heute startet in Großbritannien offiziell der Wahlkampf vor dem Referendum über den "Brexit". Die Labour-Partei kämpft gemeinsamen mit dem konservativen Premier Cameron für einen EU-Verbleib - ohne volle Überzeugung.
Zwei Anhänger der britischen Labour Party, die hörbar nicht einer Meinung sind: Der eine - ein junger Student - will unbedingt drin bleiben in der EU. Der andere - Stephen, Mitte 50 - will unbedingt raus. Weil dann, wie er sagt, EU-Zuwanderer nicht länger die Löhne in Großbritannien drücken würden.
Labour-Chef Jeremy Corbyn hat für seine erste große Europa-Rede das Senate House in London gewählt: ein eindrucksvolles Art-Deco-Gebäude, in dem George Orwell in "1984" das "Ministry of Truth" angesiedelt hat. Auch für Corbyn ist - vor dem Volksentscheid - der Moment der Wahrheit gekommen. Labour sei überzeugt, ein Votum für den Verbleib in der EU sei im besten Interesse des Landes.
1975 dagegen
Wirkliche Europa-Begeisterung klingt bei Corbyn indes nicht durch. War er doch selbst lange ein linker Euro-Skeptiker. Er hat beim Referendum 1975 gegen die britische Mitgliedschaft in der Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft gestimmt - was der damaligen Labour-Linie entsprach. Auch jetzt wirkt es, als habe sich Corbyn zu einer EU-freundlichen Haltung durchringen müssen. "Großbritannien muss in der EU bleiben, weil dies der beste Rahmen für Handel und Kooperation im 21. Jahrhundert ist", sagt er. "Milliarden-Investitionen und Millionen Jobs hängen an unserer Beziehung zur EU, dem größten Markt der Welt."
Corbyn wünscht sich eine EU, die weniger auf Wettbewerbsfähigkeit und mehr auf soziale Gerechtigkeit pocht. Auch deshalb fällt sein Bekenntnis zu Europa nicht besonders leidenschaftlich aus. Trotzdem ist Corbyns politischer Gegner - der konservative Premierminister David Cameron - heilfroh, dass Labour mit ihm gemeinsam gegen einen Brexit trommelt.
Cameron ist auf Labour-Unterstützung angewiesen
Camerons Tory-Anhänger sind mehrheitlich für den EU-Ausstieg. Den zu verhindern, wird also schwer, wenn nicht Labour seine Wähler in ausreichender Zahl am 23. Juni mobilisiert. Aber auch eine Handvoll Labour-Parlamentarier weicht von der Parteilinie ab, darunter die aus Bayern stammende Abgeordnete Gisela Stuart, die der Kampagne "Vote Leave" vorsitzt. "Es ist wichtig, dass sich die Euro-Länder politisch vertiefen, enger zusammenarbeiten", sagt sie. "Aber für Großbritannien war das noch nie die Entscheidung. Und jetzt bin ich der Meinung, dass es für Großbritannien besser ist, aus der EU auszutreten.“
An der Spitze der Vote-Leave-Kampagne steht eine Labour-Abgeordnete.
Diese Haltung versteht die 21-jährige Sophie nicht: Sie studiert in London Politik und Wirtschaft, ist Mitglied bei Young Labour und wird ihr Kreuz am 23. Juni bei "Remain" machen, "weil die EU nicht nur Arbeitnehmer schützt, sondern auch Verbraucher - anders als die konservative Regierung hier. Rauszugehen wäre ein Fehler", sagt sie. "Wir sollten Reformen der EU von innen anstoßen.“
Labour-Aktivistin Sophie will auch ihre Kommilitonen motivieren, sich für das Referendum zu registrieren - und für eine EU mit Großbritannien zu stimmen.