Umbau des Justizsystems Auf wen es in Israel jetzt ankommt
Die Gegner des international kritisierten Umbaus des Justizsystems in Israel wollen nicht aufgeben - ein weiteres Protestwochenende steht bevor. Doch wie kann es jetzt weitergehen - und auf welche Akteure kommt es an?
Von Björn Dake, ARD Berlin, z. Zt. Tel Aviv
Die politische Sommerpause in Israel hat begonnen. Aber nichts deutet daraufhin, dass dieser Sommer ruhig wird. Am Montag hatte das israelische Parlament beschlossen, dass der Oberste Gerichtshof künftig nicht mehr Entscheidungen der Regierung oder deren Mitglieder als "unangemessen" einstufen darf.
Die Proteste auf der Straße gehen jedenfalls weiter. Warnungen vor einem Bürgerkrieg werden lauter. Auf die folgenden Gruppen kommt es jetzt an.
Die Protestbewegung
Die Gegner der Justizreform gehen weiter zu Zehntausenden auf die Straßen. 30 Wochen nach Beginn der Proteste versuchen die Organisatoren weiter zu mobilisieren. Noch gelingt das durch immer neue Warnungen vor einer Schwächung der Justiz und gravierenden Verschiebungen der Gewaltenteilung.
Am vergangenen Wochenende waren landesweit schätzungsweise eine halbe Million Menschen auf der Straße - bei insgesamt knapp zehn Millionen Einwohnern. Doch die Protestrufe wiederholen sich, und mit der politischen Sommerpause könnten auch die Demonstrationen abflauen.
Die Polizei
Die Polizei hält sich bei den Demonstrationen bisher zurück. Nur einzelne Beamtinnen und Beamte stehen am Straßenrand. Schlagstöcke, Helme, Schutzschilde tragen sie in der Regel nicht. Gerade mal eine Handvoll Pferde und ein Wasserwerfer standen zum Beispiel am Donnerstagabend in Tel Aviv bereit.
Die Zufahrten der Stadtautobahn waren mit Lastwagen und Absperrungen blockiert. Stacheldraht sollte Demonstranten daran hindern, die Autobahn zu blockieren. Bei solchen Aktionen gab es zuletzt einige Verletzte und Festnahmen. Die Polizei dementierte Berichte, sie bereite sich auf ein härteres Eingreifen vor.
Wesentlich aggressiver war die Stimmung, als Befürworter der Justizreform auf die Straßen gingen. Laut Medienberichten zogen Menschen nach der Demonstration durch Tel Aviv und riefen "Tod den Arabern".
Die Armee
Jeden Tag erklären weitere Reservistinnen und Reservisten, dass sie aus Protest gegen die Justizreform nicht mehr freiwillig zum Dienst kommen wollen. Mittlerweile sind es mehr als 13.000. Einzelne Einheiten könnten dann nicht mehr einsatzbereit sein. Besonders groß ist die Sorge bei der Luftwaffe.
Nächsten Montag will der Verteidigungsausschuss der Knesset in einer Sondersitzung mit Verteidigungsminister Joav Gallant über die Folgen möglicher Dienstverweigerungen beraten.
Die Gewerkschaften und die Wirtschaft
Die Gegner der Justizreform zogen in den vergangenen Tagen immer wieder vor die Zentrale des größten Gewerkschaftsverbands. Sie verlangten, dass er einen Generalstreik ausruft. Der Verband droht zwar immer wieder damit, hält sich bisher aber zurück.
Im vergangenen März hatte das Einschreiten der Gewerkschaften dazu beigetragen, dass die Regierung unter Premierminister Benjamin Netanyahu ihre Justizreform erstmal auf Eis legte. Ein Ärztestreik wurde diese Woche allerdings nach wenigen Stunden durch ein Arbeitsgericht gestoppt.
Auch Unternehmen wehren sich laut gegen die Pläne der Regierung. Einen Tag nach dem Knesset-Beschluss erschienen mehrere israelische Zeitungen mit einer schwarzen Titelseite. Finanziert wurde die Aktion von Start-ups. Laut der Umfrage eines Start-up-Verbands überlegen fast 70 Prozent der befragten Unternehmen, sich aus Israel zurückzuziehen.
Ratingagenturen warnten vor Risiken bei Investitionen in Israel. Die israelische Währung, der Schekel, verlor an Wert. Netanyahu sprach von einer "Momentaufnahme", die israelische Wirtschaft sei stark.
Die Politik
Israels Präsident Izchak Herzog flehte seine Landsleute diese Woche in einem Video an, auf Gewalt zu verzichten. Es dürfe keinen Bürgerkrieg geben. Seine Appelle, zu einem Kompromiss zu kommen, scheinen die Regierung aber nicht zu erreichen.
Netanyahu ist sichtlich bemüht, sein Image im Ausland aufzupolieren. In einer Serie von Interviews mit US-Sendern bezeichnete er die Justizreform als "kleine Korrektur". Er steht unter dem Druck seiner radikalen Koalitionspartner, die den Umbau der Justiz ohne Kompromisse vorantreiben wollen. Sie wollen unter anderem mehr Einfluss der Religion auf die Politik.
Umfragen zeigen, dass die Regierungskoalition aus sieben verschiedenen Parteien aktuell keine Mehrheit hätte. In der Regierung dürfte deshalb niemand Interesse an Neuwahlen haben. Zumal Netanyahu noch aus einem anderen Grund unter Druck ist: Er steht wegen Korruptionsvorwürfen vor Gericht.
Der Oberste Gerichtshof
Die Richterinnen und Richter betreten juristisches Neuland. Zum ersten Mal müssen sie über ein Grundgesetz entscheiden. In Israel gibt es keine geschriebene Verfassung, sondern eine Sammlung von Grundgesetzen. Das am Montag beschlossene Gesetz ist ein Zusatz zum Grundgesetz über das Justizwesen.
Der Oberste Gerichtshof hat angekündigt, sich im September mit den Beschwerden gegen das neue Gesetz zu beschäftigen. Ob er dann gleich entscheidet, ist offen. Fachleute halten es für denkbar, dass das Gericht erst auf einen konkreten Fall wartet und dann entscheidet.
Der könnte schon bald kommen. Premierminister Netanyahu hat angedeutet, dass der Chef der ultraorthodoxen Schas-Partei in die Regierung aufrücken könnte. Seine Ernennung zum Innen- und Gesundheitsminister hatte das Gericht Anfang des Jahres noch als "unangemessen" abgelehnt. Er ist unter anderem wegen Bestechlichkeit vorbestraft.
Hardliner der Koalition kündigen jetzt schon an, eine Entscheidung des Gerichts nicht anerkennen zu wollen. Netanyahu sagte nur, er hoffe, dass es nicht so weit kommt. Israel stünde dann vor einer Verfassungskrise. Fraglich ist, auf wen Polizei und Armee dann hören: Regierung oder Justiz?