Umbau der Justiz Israel kommt nicht zur Ruhe
Nach dem Ja der Knesset zu einem Kernelement der Justizreform reißen die Proteste in Israel nicht ab. Ex-Regierungschef Olmert machte der Regierung deshalb schwere Vorwürfe. Ärzte und Soldaten streikten.
In Israel hält der Widerstand gegen die Pläne der Regierung, das Justizsystem des Landes umzubauen, an. Gestern hatte die Knesset einen Kernpunkt gebilligt, der den Einfluss des Obersten Gerichts schwächt. Vor diesem Hintergrund sprach Israels früherer Premier Ehud Olmert von einer "ernsten Bedrohung". Die Regierung habe beschlossen, das Fundament der Demokratie zu untergraben. "Und das ist nicht etwas, das wir akzeptieren oder tolerieren können", sagte Olmert in einem Interview mit dem Sender Channel 4 News. So etwas habe es noch nie gegeben, warnte er. "Wir gehen in einen Bürgerkrieg."
Streiks im Gesundheitssektor
Als Reaktion auf die Abstimmung in der Knesset traten gestern Tausende Ärzte, Schwestern und weiteres medizinisches Personal in den Streik. Israels Ärztekammer und der Medizinerverband hatten am Montag dazu aufgerufen. Die Arbeitsniederlegung begann am Morgen. In Teilen des Landes wechselte das Schichtsystem in den Feiertagsmodus, Krankenhäuser behandelten Medien zufolge nur noch Notfälle. Notaufnahmen liefen demnach aber weiterhin im Normalbetrieb.
Eigentlich sollte die Arbeitsniederlegung 24 Stunden dauern, doch im Laufe des Tages erklärte ein Arbeitsgericht diese für unzulässig. Es ordnete eine einstweilige Verfügung an und forderte ein Ende der Streiks. Die Richter gaben damit einem Antrag der Regierung statt. Die hatte laut Medienberichten das Ende des Ausstandes gefordert.
Strafen gegen Reservisten
In der vergangenen Woche hatte es bereits einen zweistündigen Warnstreik in mehreren medizinischen Einrichtungen des Landes gegeben. Israels Dachverband der Gewerkschaften (Histadrut) kündigte nach der Entscheidung des Arbeitsgerichts an, in den nächsten Tagen über einen möglichen Generalstreik beraten zu wollen.
Zeitgleich ging das Militär gegen Reservisten vor, die aus Protest den Dienst an der Waffe verweigerten. Ein Reservist erhielt wegen Nichtbeachtung des Einberufungsbefehls eine Geldstrafe über 1000 Schekel (244 Euro), ein anderer eine 15-tägige Gefängnisstrafe auf Bewährung. Oppositionsführer Jair Lapid rief die Soldaten auf, den Dienst nicht zu verweigern.
Israel hat keine schriftliche Verfassung
Mit dem neuen Gesetz ist es dem Obersten Gericht künftig nicht mehr möglich, eine Entscheidung der Regierung oder einzelner Minister als "unangemessen" zu bewerten. Das Gesetz ist Teil eines größeren Pakets und einer der umstrittensten Bestandteile der Justizreform. Der Staat Israel hat keine schriftliche Verfassung und fußt stattdessen auf einer Sammlung von Grundgesetzen. Daher kommt dem Höchsten Gericht eine besondere Bedeutung bei der Wahrung von Rechtsstaatlichkeit und Menschenrechten zu.
Unterdessen erreichten das Oberste Gericht mehrere Petitionen - unter anderem von der Rechtsanwaltskammer, die mehr als 70.000 Anwälte vertritt. Die Kammer begründete die Petition damit, dass der Gesetzentwurf Teil einer umfassenderen Bemühung sei, das Rechtssystem grundlegend zu ändern. Rechtsstaatlichkeit und Gewaltenteilung könnten dann nicht mehr garantiert werden, hieß es Berichten zufolge in der Begründung.
Wie wird das Oberste Gericht entscheiden?
Unklar war zunächst, wie das Oberste Gericht reagieren wird. Die Präsidentin Esther Chajut brach einen Besuch in Deutschland ab, um sich in Israel damit zu befassen. Die höchsten Richter Israels müssten demnach über die beschlossenen Einschnitte in ihre Kompetenzen selbst entscheiden. Medienberichten zufolge könnte die Prüfung der Petitionen jedoch mehrere Monate dauern.
Nach Angaben des Rechtsexperten Aejal Gross von der Universität Tel Aviv würde das Oberste Gericht komplett neues Terrain betreten. In Israel sei bisher noch nie ein Grundgesetz aufgehoben worden, nur reguläre Gesetze, die gegen das Grundgesetz verstoßen, schreibt Gross. Sollte das Gericht dennoch dagegen vorgehen, warnte er vor möglichen Konsequenzen. "Sollte dies der Fall sein und die Regierung sich weigern, dem Urteil Folge zu leisten, könnte dies zu einer regelrechten Verfassungskrise führen."
Wasserwerfer gegen Demonstranten
Gegen die Reformpläne gibt es seit Monaten Massenproteste. Kritiker der Regierung sehen in dem Reformvorhaben einen Versuch, die demokratische Gewaltenteilung auszuhebeln und der Regierung willkürliche Entscheidungen zu ermöglichen. Die Regierung argumentiert, gewählte Volksvertreter müssten gegenüber einer übergriffigen Justiz gestärkt werden.
Auch nach der Abstimmung am Montag kam es landesweit zu Demonstrationen. Hunderttausende protestierten in Tel Aviv. Sie verbrannten Reifen, zündeten Feuerwerkskörper und schwenkten Nationalflaggen. In Jerusalem setzten berittene Polizisten Wasserwerfer und übel riechendes Spray gegen Demonstranten ein. Knapp 40 Personen wurden festgenommen.
Der Polizei zufolge wurden mindestens zehn Beamte angegriffen und verletzt. 32 Menschen wurden nach Angaben von Organisatoren landesweit verletzt, 19 davon mussten demnach ins Krankenhaus.